— 1934
3m sechsten Stock.
Feuergarbe rauschte zum
Himmel, in rothem und blauem
Licht erglänzten die Alsterufer,
Tausende von Menschen wog-
ten durch die Straßen der
alten Hansestadt Hainburg,
Neugierige, professionsmäßige
Bummler und — Arbeiter,
die auch einmal „etwas sehen"
wollten. Musikklänge ertönten,
„Die Wacht an: Rhein" wurde
aufgespielt, auch „Deutschland,
Deutschland über Alles" und
was dergleichen patriotische Lie-
der mehr sind; gewohnheits-
mäßig summte die Volksmenge
mit, aber eine rechte Stim-
mung wollte doch nicht auf-
kommen; die politische Atmo-
sphäre war mit erstickenden
Dünsten erfüllt und für die
Meisten begann ain nächsten Tag das Elend wieder in alter Weise.
Nur die Großen, die Millionäre waren fröhlich in ihren Palästen,
sie feierten ihren Abgott, ihren Züchter, der morgen seinen achtzigjährigen
Geburtstag begehen sollte.
Ja, das Vaterland kann ruhig sein, so lange es »och so gute
Patrioten giebt.
„Jawohl, Herr", sagte Je-
mand an meiner Seite, „auch
ich habe den Feldzug gegen die
Franzosen mitgemacht. O, diese
Lumpen!"
„Sind Sie vielleicht Grnnd-
eigenthümer?" fragte ich den guten
Menschen.
„Grundeigenthümer? Nein.
Ich niuß das ganze Jahr hin-
durch arbeiten, wenn ich leben
will."
„Also, was haben Sie denn
gegen die Franzosen und was
haben Sie zu vertheidigen?"
„Das Vaterland, Herr, das
Vaterland!"
„So so, das Vaterland;
nun, wenn's Ihnen mal schlecht
gehen sollte, dann wird das
Vaterland sich Ihrer erinnern
und Sie für Ihren Patriotis-
mus belohnen."
„Sie sind wohl ein Soz....",
den Rest des Satzes hörte ich
nicht, da ein Schwall Menschen
uns trennte.
Ein Betrunkener taumelt da-
her, er stößt die Leute und fällt gegen eine junge Frau, die sich
durch die Menge drängt. Ich eile hinzu und biete ihr meinen
Schutz an; wir erkennen uns, waren wir doch Nachbarskinder gewesen.
Es hieß seiner Zeit, daß sie eine glänzende Heirath geinacht; jetzt
war ihre Kleidung dürftig, und als ich ihr nochmals ins Gesicht sah,
weinte sie.
Ich reiche ihr die Hand. „Waö hast Du", frage ich, „und warum
weinst Du?"
„Ach", sagte sie in Thränen ansprechend, „ich Hab' ein Kind, das
im Sterben liegt, es stirbt vor Hunger. Ich kehre heim, wie ich fort-
gegangen, — mit leeren Händen. Ich fand Keinen zu Hanse. Alles
war zur Festlichkeit gegangen."
„Hier ist Geld, kauf, was Du brauchst; ich warte und begleite
Dich nach Hause."
In einer winkeligen Straße vor einem großen schwarzen Hanse
halten wir still. „Hierher hat's mich verschlagen. Aber beeilen wir uns."
Wir erklettern sechs Treppen und betreten eine Dachstube. In einer
kleinen Bettstelle befindet sich ein Kind, das zu schlumnrern scheint.
Plötzlich platzt eine funkelnde Rakete und der Himinel wird licht.
„Schau, man sieht daö Feuerwerk von hier."
Meine arme Freundin hört mich nicht. Sorgsam bereitet sic ihrem
Kinde eine Suppe.
Durch das halboffene Fenster dringt der Schall von Musik und
das dumpfe Geräusch der Straße. Ein jäher Blitz hat abermals das
schwarze Gelvölk durchbohrt. Eine Feuergarbe nach der anderen steigt
auf, in Tausenden von farbigen Kugeln lösen sie sich auf und gehen
tute ein Lichtregen nieder.
Das Kind ist aufgewacht. Die großen Arigen in seinem blassen
Gesichtchen glühen lute Kohlen. Es erhebt sich, uin das Spiel der
Leuchtkugeln besser sehen zu können.
„O, Mutter, das ist schön,
das — ist — schön!"-
Das Kind greift noch ein-
mal mit den Händchen in die
Luft und läßt dann seinen blon-
den Kopf schwer aufs Bett zu-
rücksinken. Die Mutter eilt hin-
zu und umschlingt ihren Lieb-
ling, sie küßt ihn leidenschaftlich
und ruft ihn mit den zärtlichsten
Namen. Doch umsonst, das ent-
flohene Leben ist iticht zurück-
zurufen. Es ist aus, das Leiden
hat aufgehört.
Und die Feuergarben steigen
rasch auf und allmälig ver-
schwinden sie; ich denke an das
junge Leben, was aus Mangel
an Nahrung in meiner Nähe
soeben erloschen. Ich denke an
die schluchzende Mutter, die im
Wohlstand geboren und erzogen
und auf der Sonnenhöhe des
Lebens Schiffbruch gelitten; ich
denke auch an den patriotischen
Arbeiter und an alle, die auf
den Schlachtfeldern fürs Vater-
land verbluteten; Dänen, Oester-
reicher, Franzosen und Deutsche;
wie ein rothes Meer rauscht die Sünde, das Unrecht und das un-
schuldig vergossene Blut heran und die Flrsih schwillt immer höher,
— und hoch oben auf den Gipfeln sitzen sie, die Herren der Erde,
und merken cs nicht.
3m sechsten Stock.
Feuergarbe rauschte zum
Himmel, in rothem und blauem
Licht erglänzten die Alsterufer,
Tausende von Menschen wog-
ten durch die Straßen der
alten Hansestadt Hainburg,
Neugierige, professionsmäßige
Bummler und — Arbeiter,
die auch einmal „etwas sehen"
wollten. Musikklänge ertönten,
„Die Wacht an: Rhein" wurde
aufgespielt, auch „Deutschland,
Deutschland über Alles" und
was dergleichen patriotische Lie-
der mehr sind; gewohnheits-
mäßig summte die Volksmenge
mit, aber eine rechte Stim-
mung wollte doch nicht auf-
kommen; die politische Atmo-
sphäre war mit erstickenden
Dünsten erfüllt und für die
Meisten begann ain nächsten Tag das Elend wieder in alter Weise.
Nur die Großen, die Millionäre waren fröhlich in ihren Palästen,
sie feierten ihren Abgott, ihren Züchter, der morgen seinen achtzigjährigen
Geburtstag begehen sollte.
Ja, das Vaterland kann ruhig sein, so lange es »och so gute
Patrioten giebt.
„Jawohl, Herr", sagte Je-
mand an meiner Seite, „auch
ich habe den Feldzug gegen die
Franzosen mitgemacht. O, diese
Lumpen!"
„Sind Sie vielleicht Grnnd-
eigenthümer?" fragte ich den guten
Menschen.
„Grundeigenthümer? Nein.
Ich niuß das ganze Jahr hin-
durch arbeiten, wenn ich leben
will."
„Also, was haben Sie denn
gegen die Franzosen und was
haben Sie zu vertheidigen?"
„Das Vaterland, Herr, das
Vaterland!"
„So so, das Vaterland;
nun, wenn's Ihnen mal schlecht
gehen sollte, dann wird das
Vaterland sich Ihrer erinnern
und Sie für Ihren Patriotis-
mus belohnen."
„Sie sind wohl ein Soz....",
den Rest des Satzes hörte ich
nicht, da ein Schwall Menschen
uns trennte.
Ein Betrunkener taumelt da-
her, er stößt die Leute und fällt gegen eine junge Frau, die sich
durch die Menge drängt. Ich eile hinzu und biete ihr meinen
Schutz an; wir erkennen uns, waren wir doch Nachbarskinder gewesen.
Es hieß seiner Zeit, daß sie eine glänzende Heirath geinacht; jetzt
war ihre Kleidung dürftig, und als ich ihr nochmals ins Gesicht sah,
weinte sie.
Ich reiche ihr die Hand. „Waö hast Du", frage ich, „und warum
weinst Du?"
„Ach", sagte sie in Thränen ansprechend, „ich Hab' ein Kind, das
im Sterben liegt, es stirbt vor Hunger. Ich kehre heim, wie ich fort-
gegangen, — mit leeren Händen. Ich fand Keinen zu Hanse. Alles
war zur Festlichkeit gegangen."
„Hier ist Geld, kauf, was Du brauchst; ich warte und begleite
Dich nach Hause."
In einer winkeligen Straße vor einem großen schwarzen Hanse
halten wir still. „Hierher hat's mich verschlagen. Aber beeilen wir uns."
Wir erklettern sechs Treppen und betreten eine Dachstube. In einer
kleinen Bettstelle befindet sich ein Kind, das zu schlumnrern scheint.
Plötzlich platzt eine funkelnde Rakete und der Himinel wird licht.
„Schau, man sieht daö Feuerwerk von hier."
Meine arme Freundin hört mich nicht. Sorgsam bereitet sic ihrem
Kinde eine Suppe.
Durch das halboffene Fenster dringt der Schall von Musik und
das dumpfe Geräusch der Straße. Ein jäher Blitz hat abermals das
schwarze Gelvölk durchbohrt. Eine Feuergarbe nach der anderen steigt
auf, in Tausenden von farbigen Kugeln lösen sie sich auf und gehen
tute ein Lichtregen nieder.
Das Kind ist aufgewacht. Die großen Arigen in seinem blassen
Gesichtchen glühen lute Kohlen. Es erhebt sich, uin das Spiel der
Leuchtkugeln besser sehen zu können.
„O, Mutter, das ist schön,
das — ist — schön!"-
Das Kind greift noch ein-
mal mit den Händchen in die
Luft und läßt dann seinen blon-
den Kopf schwer aufs Bett zu-
rücksinken. Die Mutter eilt hin-
zu und umschlingt ihren Lieb-
ling, sie küßt ihn leidenschaftlich
und ruft ihn mit den zärtlichsten
Namen. Doch umsonst, das ent-
flohene Leben ist iticht zurück-
zurufen. Es ist aus, das Leiden
hat aufgehört.
Und die Feuergarben steigen
rasch auf und allmälig ver-
schwinden sie; ich denke an das
junge Leben, was aus Mangel
an Nahrung in meiner Nähe
soeben erloschen. Ich denke an
die schluchzende Mutter, die im
Wohlstand geboren und erzogen
und auf der Sonnenhöhe des
Lebens Schiffbruch gelitten; ich
denke auch an den patriotischen
Arbeiter und an alle, die auf
den Schlachtfeldern fürs Vater-
land verbluteten; Dänen, Oester-
reicher, Franzosen und Deutsche;
wie ein rothes Meer rauscht die Sünde, das Unrecht und das un-
schuldig vergossene Blut heran und die Flrsih schwillt immer höher,
— und hoch oben auf den Gipfeln sitzen sie, die Herren der Erde,
und merken cs nicht.