Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
—• 1938

Vierhundertdierunddreißig Monate Gesangntß.

"Wie rühmt man oft, daß Alannesmnth,
Daß Thatkraft den Germanen ziere,
And daß er freudig Gut und Blut
Wohl für fein gutes Recht riskire.

Ja — Gut und Rürt fürs gute Recht!
Das Gut, das Rlut wird hingenommen,
Doch wird der Deutsche dabei schlecht
Zu feinem guten Rechte kommen.

Da schaut nach Auchsmühl! Arm und klein
Gin Dörfchen auf der dürren Laide,

Gs hat nicht Korn, es hat nicht Wein,
Gs hat nicht grüne, faft'ge Weide.

Der Wald allein der ist fein Stolz,
Der rings der Kütten Raum umkräinet
And mit der Stämme mark'gem Loh
Der armen Rauern Gut ergänzet.

Schon manch Jahrhundert zog dahin,
Daß jene räuberischen Lerren
Gezeigt das eifrige Remühn,

Den Wald dem Rauer abzusperren.
Doch es gelang den „Ädten" schlecht
Des Rauern Anrecht zu entwenden.
Är hielt mit Zähigkeit sein Recht
Verbrieft, versiegelt in den Länden.

Und wieder hat ein Junkerlein
Sich gegen dieses Recht empöret;

Gs prozessirt jahraus, jahrein
Das Dorf um das, was ihm gehöret.
And bei den Rauern stieg die Roth,
Sie war nicht länger zu ertragen,

Da endlich scholl das Aufgebot:

„Wir wollen unser Recht uns schlagen!

Sie wagten es — doch solche That
Lat ihre Lage arg verschlimmert,

Der sie vergessen sonst - der Staat,
Jetzt hat er sich um sie bekümmert.

Die Soldateska zog heran
Da strömte Rlut! da lagen Leichen!
Warum auch will der Rauersmann
Durchaus sein gutes Recht erreichen!

Dann Karn Justitia hinterdrein.

Sie will des Staates Würde schützen,
And hundertvierzig Räuerlein,

Die müssen jetzt im Kerker sitzen!

Ihr Rauern, schöpft die Lehre hier:
Wollt siegreich Ihr das Recht erstreben,
So müßt zuvor in Deutschland Ihr
Die Freiheit auf den Schild erheben.

-Vlihdraljt-

Berlin. Die finanzielle Lage Berlins muß als eine verzweifelte angesehen werden,
denn der Magistrat ist gezwungen, die Gaskandelaber auf dem Oranienplatz einen nach dem
anderen zu versetzen.

— Im Panoptikum tritt gegenwärtig ein Mann auf, der zwanzig Worte über öffent-
liche Angelegenheiten reden kann, ohne gegen einen Paragraphen der Umsturzvorlage zu
verstoßen. Der Andrang zu dieser Merkwürdigkeit ist ungeheuer.

Friedrichsruh. Da Fürst Bismarck sich noch nicht klar darüber ist, ob er sich für
Gold- oder Silberwährung entscheiden soll, so hat er den Eisenbahnbediensteten in Friedrichsruh

Meldungen. —-

anläßlich der Strapazen bei seinem achtzigjährigen Geburtstag drei Bronze-Medaillen
verehrt.

Sachsen. Ahlwardt hat noch einige neue Parteien als Reserve gegründet, für den
Fall, daß er aus seiner gegenwärtigen Partei wieder ausgeschlossen wird.

— Im sechsten sächsischen Wahlkreis ist auf allen Kanzeln über Psalm 112, 9, letzter
Satz, gepredigt worden.

Oesterreich: Das Ministerium hat eine gegen den Umsturz gerichtete Verordnung
erlassen, laut welcher Erdbeben in der ganzen Monarchie fernerhin strengstens verboten sind.

Wie neue RiebeSgabe.

Täglich wird's im Reiche toller;
Tausend Millionen baar
Fordert der Professor Lchmoller
Für der armen Junker Zchaar.

Hei. wie wollen sie sich pflegen!

Welch ein Leben flott »nd frisch.

Wird der Reichstag ihnen legen
Lolch ein Lämmchen auf den Tisch!
Das Gebräu von Malz und Hopsen
Trinkt dann, wer gemein und roh.
Doch der Junker läßt die Pfropfen
Lpringen nur von Veuve Cliquot.

Dann erst weiht die Junkerklasse
Lich dem Lport mit neuem Muth,

Und nur Pferde reinster Rasse
Züchtet man auf seinem Gut.

Niemals war der Junker böse
Hübschen Frau'n. er hat Geschmack.
Und manch schlanke Ralleteuse
Greift euch in den großen Lack.

Ja. man wird das Geld nicht schonen.
Wenn der Reichstag es spendirt.

Und die tausend Millionen
Lind gar bald verjubilirt.

Der tapfere Roller.

Der muthigstc Mann im ganzen Deutschen
Reiche ist gegenwärtig zweifellos Herr von Koller.
Es gehörte schon ein ganz ungewöhnlicher Muth
dazu, die Umsturzvorlage nicht znrückzn-
ziehen, und Köllcr hat diesen Muth seit Monaten
unentwegt bewiesen.

Wer über so viel Tapferkeit verfügt, der ist
aber mit einen: einzelnen Erfolg nicht zuftieden,
sondern er sucht immer neue Lorbeeren. Herr
von Köller hat den Spruch Goethes:

„Geh' den Frauen zart entgegen.

Du gewinnst sie, ans mein Wort,

Doch wer kühn ist und verwegen.

Kommt fürwahr noch eher fort —"

ganz bestimmt nicht gelesen, denn man weiß ja,
daß er sich gegen die Literatur ablehnend verhält
und daß ihm die Klassiker nicht amtsbekannt sind.
Aber ganz instinktiv handelt er nach dem ihm
unbekannten Spruche Goethes und geht gegen die
Frauen kühn und verwegen vor, er löst die Frauen-
vereinigungen auf und läßt im Ministerium des
Innern einen Gesetzentwurf ausarbeiten, nach
welchem den Frauen der Besuch politischer Ver-
sammlungen überhaupt verboten sein soll.

Köller handelt dainit ganz in: Sinne seiner
Kollegen, der hinterpommerschen Junker, denen
Frauenvereinigungen gar nichts gelten, wäh-
rend ihnen die cinzelire Frau oft ganze Hypo-
theken werth ist. Wozu brauchen sich die Frauen
zu vereinigen? Die Frau hat irach junkerlicher
Anschauung den Zweck, den Gardelieutenant an-
zuschmachten; will sie geheirathet sein, dann hat
sie die Schulden ihres Bräutigams zu zahlen und
für ein standesgemäßes Einkommen zu sorgen.
Jin klebrigen sind den Junkern die Frauen Luxus-
gegenstände, wie die Rennpferde und die Jagd-
hunde auch. Wann hätten jemals die Jagdhunde
oder die Rennpferde Vereinigungen gegründet? Also
brauchen auch die Frauen keine Vereinigungei:.

Aber Herr von Köller ist eii: Man::, der nichts
halb thut. Wenn er sich blamirt, dann blamirt
er sich voll und ganz.

Es ist ihm aus den gegen die Umsturzvorlage
eingereichten Petitionen, welche die Künste schützen
wollen, amtlich bekannt geworden, daß es neun
Musen giebt, die eine Vereinigimg bilden, als
deren Rädelsführer ein gewisser Apollo erscheinen
dürfte. Diese neun Musen sind unstreitig Frauen-
zimmer, ihre Vereinigung fällt daher ::ntcr das
Verbot und es ist ihnen eine weitere öffentliche
Thätigkeit zu verbieten. Da nun aus Schutzmanns-
Rapporten und Fcucrwehr-Dienstreglements her-
vorgegangen ist, daß die Musen insbesondere auf
der Bühne ihr Wesen treiben, so mar es selbst-
verständlich, daß Herr von Köller seinen verbots-
fteudigen Heldcnmnth gegei: die Bühne richten
mußte.

Eine Untersuchung über Zweck und Wesen der
Bühne ergab sehr bedenkliche Resultate. Fast

sammtliche Stücke, welche aufgeführt werden, haben
einen strafwürdigen Inhalt. So z. B. erlauben
sich in: „Egmont" die Schauspieler über Herzog
Alba, den Köller einer früheren Zeit, gehässige
Benterkungen, ohne dafür den Beweis der Wahr-
heit antreten zu können; in: „Faust" wird die
Lehre von de»: Teufel und von der Hölle zum
Gegenstand profaner Scherze und Spitzfindigkeiten
gemacht; i>: „Kabale und Liebe" kommen starke
Beamtcnbeleidigungei: vor und in: „Tell" ivird
sogar ein Attentat verübt!

Neben diesen Ordnungswidrigkeitcn, welche
erst nach Einführung des Umsturzgesetzes voll-
ständig ausgerottet werden können, hat Herr von
Köllcr aber noch die „Freie Bühne" entdeckt,
eine Einrichtung, welche so verrucht ist, daß sie
schon 'von den heutigen Gesetzen und Polizci-
verordnungen getroffen werden kann.

Die Freie Bühne scheut sich nicht, Stücke von
Autoren, welche noch an: Leben sind, aufzuführen!
Sie verschließt ihre Thore nicht einmal jener
nwdernen Richtung, welche de:: ausschließlichen
Kultus des Schönen verschmäht und auch das
Häßliche auf die Bühne bringt. Die Kon-
sequenzen dieser Verirrung liegen nahe: da das
System Köller keineswegs schöi: ist, so steht Herr
von Köller selbst in Gefahr dran:atisirt zu wer-
den und auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
erscheinen zu müssen.

Es ivar also Gefahr in: Verzüge, und der
Gewaltige hat mit jener Intelligenz, die preußi-
schen Polizeibeamten nun einmal eigen ist, heraus-
gefunden, daß nian die „Freie Bühne" in ihrem
Wirken lahm legen kann, wenn man ihr die
Vereinsprivilcgien nimmt und sie unter die all-
gemeine Theaterzensur stellt.

Damit ist der Staat einstweilen gerettet und
der Kampf Köllers gegen die Kunst kann mit
frischen Kräften weiter gehen, bis sämmtliche
Musen in: Gefängnißspital gestorben ftitb und
von allen Künsten nur noch eine einzige vor-
üanden ist, nämlich die Knifft der reaktionären
Gesetzesauslegung.
 
Annotationen