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ä&s Beilage zum „Wahren Hacnb" Lr. 230. ÄLL-.

Guter Ruth.

^enit man fürs Volk, das sich nnt Mühe
Den sauren Bissen Brot gewinnt,

Am grünen Tische spät und frühe
Auf immer neue Steuern sinnt;

A)enn man den Druck, der auf ihm lastet,
behaglich eine Fabel nennt,

A>eim es noch nicht genügend fastet
And noch zu viel Genüsse kennt;

Denn sie zum Danke für fein Schaffen
Auf seine Leiden spöttisch schaun,

Dann mußt du dich zusammenraffen,
Dann mußt du feste um dich haun!

A)enn man zur Warnung für die Aleirge
Die kleinen Sünder hetzt und fängt
And sie nach des Gesetzes Strenge
And ohne Federlesen hängt;

wenn für die Großen man die Schlinge
Bedächtig so viel lockrer knüpft,

Daß jeder Schlaue guter Dinge
Und ungestraft von dannen schlüpft;
wenn sie die dumpfen Uerkcrzellen
Nur für die Ungeschickten bann,

Dann mußt du beißen, nicht blos bellen,
Dann mußt du feste um dich haun!

wenn man fürs Land der guten Preußen
Sich ein Vereinsgesetz ersann,

Mt dem der Uaiser aller Reußen
Nach pcrzenslust regieren kann;

Durch das vom fagenreichen Rheine
Bis an die Ulemel und den Belt
Alan all die lästigen Vereine
Gelassen an der Strippe hält;

Dann mußt du dich zur wehre setzen
Zn männlich-tapfrem Selbstvertraun,
Dann mußt du den Entwurf zerfetzen,
Dann mußt du feste um dich haun!

wenn man den Liebknecht und den Bebel
Die Schuld an dem Entwürfe giebt,

Alit dem man Jeden: einen Unebel
Gewaltsam durch die Zähne schiebt;
wenn man aus Furcht vor den Geschenken,
Die uns bescheert der freie Geist,

Den letzten Rest von eignem Denken
pinunter in die Brust verweist;
wenn man des Uirchhofs todtes Schweigen
verhängen will den deutschen Gaun,

Dann heißts, mein Volk, die Zähne zeigen,
Dann mußt du feste um dich haun.

Im Winterquartier.

Humoreske von Max Regel.

-C-C-

Es mochten wohl zehn Grad Kälte sein; das Helle Sonnenlicht
drang nur gedämpft durch die gefrorenen Fenster des Treppenhauses
r>ner großen MicthSkaserne, als ein junger Manu langsam und nach-
denklich aus dem oberen Stockwerk hcrabgestiegen kam.

Auf dem Treppenabsatz der ersten Etage machte er Halt und stellte
eine kleine Zigarrenkiste, die er bei sich trug, auf das Fensterbrett. Seine
Kleidung war abgetragen und zum Schutze gegen Winterkälte ungenügend,
seine Wangen hager, aber trotzdem blitzte aus seinen Augen frischer
LebenSmuth.

„So", sagte er zu sich, „also an die Luft gesetzt am lieben Sonn-
tage wegen rückständiger Miethe! Als ob man Miethe zahlen könnte,
wenn man keine Arbeit hat; die Leute werden immer unverständiger!
. . . Doch machen wir Inventur — drei Sacktücher, zwei Kragen, zwei
Hemden, ein Bleistift. . ."

Er revidirte den Inhalt der Zigarrenkiste; die Sacktücher, die
Kragen und der Bleistift waren darin.

„Nichtig", sagte der Eigenthümcr dieser Sachen, „die Hemden
habe ich ja alle drei angezogen, das hält warm und wozu hat man
seinen Rcichthum, wenn man ihn nicht benützen wollte. Aber", fuhr
er in seinem Selbstgespräch fort, „wohin jetzt? Mit „Mutter Grün"
ist'ö nichts, die ist mir zn weiß geworden; Hotel „Kaiserhof" wird auch
keine passenden Räume für mich haben. . . wenn man doch wenigstens
arretirt würde!"

Diesen Wunsch hatte er kaum ausgesprochen,, als sich unten im
Hausflur ein ungewöhnlicher Lärm erhob; schwere Tritte und Säbcl-
rasseln wurden hörbar; Jemand rief: „Hier Posten fassen!"

„Diese Ehrcinvache kann doch kaum mir gelten!" meinte der Obdach-
lose kopfschüttelnd. „So schnell werden Unsereinem ja die Wünsche
nicht erfüllt."

Da stand neben ihm plötzlich ein Mann, der ans einem Seiten-
Korridor gekommen war. Er trug einfache, saubere Kleidung und einen
Packen loser bedruckter Blätter in der linken Hand.

„Teufel, jetzt bin ich in der Falle!" rief er ärgerlich, nach unten
spähend.

„Aha, das gilt Ihnen", sagte der Obdachlose, „seien Sie froh."

„Auch noch froh sein!" sagte der Andere mit gedämpfter Stimme.
„Wenn man mich nur einen Tag einsperrt, werde ich meine Arbeit
verlieren."

„Der hat Arbeit!" versetzte Jener erstaunt. „Ich laufe schon
vier Wochen vergeblich darnach herum."

„So wird es mir daun auch gehen und meine Familie wird noth-
leiden müssen."

„Aber warum will mau Sie einsperren?" fragte der Obdachlose
mitleidig.
 
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