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1961

die Beine unter den Arm; aber die Männer im Hanse waren rascher zur
Hand als er gedacht und blieben ihm mit drohend geschwungenen Knütteln
und noch bedrohlicheren Worten dicht auf den Fersen.

„Halt' ihn, halt' den Dieb!" schrieen sie dabei laut in die Nacht
hinein.

„Das ist nur so ein Schachzug von den Kerlen!" dachte Schnüffler,
paff! da stieß er mit der Stirn an ein Stackct, das so zur Unzeit seinen
Weg kreuzte, und er nmßte sich festklammern, uin nicht zu fallen. Doch
rasch entschlossen schwang er sich über das Hinderniß hinweg und versank
ün nächsten Augenblick bis an den Hals in eine Flüssigkeit, die wahrhaft
bestialisch in seine Nase duftete.

„Hilfe! Hilfe!" stöhnte Schnüffler, „ich ertrinke! Ich bin in eine
Jauchengrube gefallen!"

„Hurrah, jetzt haben wir ihn!" erklang es an der anderen Seite des
Zaunes. „Vorwärts!"

Schnüffler versuchte inzwischen aus der mörderischen Grube herauszu-
kommen, aber statt freier zu werden, sanken seine Beine immer tiefer
in den Schlamm hinein, schon ging ihm die pikante Sauce bis an den
Mund; diesen fest zukneifend,
fürchterliche Gesichter schnei-
dend, beide Hände hoch aus
der Flüssigkeit hervorstreckend,
patschte er in der Grube herum,
nicht einmal mehr schreien durfte
er, wenn er nicht außer dein
Geruch auch noch den Geschmack
der schwarzen Brühe versuchen
wollte.

Nun waren aber auch seine
Verfolger zurHand; Lichter blitz-
ten auf, andere Personen liefen
hinzu. Unter Verwünschungen
und Drohungen zog man den
vermeintlichen Kartoffcldicü ans
Land und band ihm ohne viel
Zeremonien die Hände auf den
Rücken.

„Erbarmen!" winselte er,

„ich bin ja der Polizeioffiziant
Schnüffler aus der Stadt."

„Wer Du bist, ist uns
ganz egal", ließ sich einer der
Umstehenden vernehmen, „jeden-
falls wollen wir Dir den Appetit
auf fremder Leute Kartoffeln
vertreiben! Marsch, fort mit
ihm ins Spritzenhaus."

Nach wenigen Minuten
sah sich das „Leiden Christi" in dem finsteren, kalten Spritzenhaus ein-
gcschlosscn.

Zornig und betrübt zugleich irrte Schnüffler in demselben umher.
Er war durchnäßt bis auf die Haut, dabei über und über mit stinkendem
Schlanrm besudelt, die Nacht war kalt und er fror wie ein plötzlich nach
Spitzbergen versetzter Neger.

„Schnüffler, Schnüffler", jammerte er, indcnr er dabei, um sich zu
erwärmen, einen Dauerlauf durch das Gelaß machte, „Du bist wirklich
in eine schöne Patsche gerathen. Was wird aus dir werden? Wenn mir
doch die Kanaillen wenigstens nur die Häude frei gelassen hätten, damit
ich mir die Sauce unter der Nase wegwischcn könnte; ich kann den teufel-
mäßigen Gestank wahrhaftig nicht mehr aushalten!"

Am nächsten Morgen saß der Polizciwachtmcistcr Schlauberger be-
haglich in seinem Amtszimmer, als er draußen Lärm und Geschrei hörte
wie von einem Auflauf.

„Was Teufel ist da loS?" brummte er, setzte seine Mütze auf und
trat rasch vor die Thürc.

„Herr Wachtnicister", rief einer der Männer dem „Auge des Gesetzes"
entgegen, „wir bringen hier den Kleeberger Kartoffcldieb, den wir ver-
gangene Nacht anr Winzerhäuschcn festgenommen haben."

„Gut, bringt ihn heraus."

Der Gefangene wurde losgebunden und die Treppe zur Wachtstube
hinauftransportirt.

„Wie heißen Sic?" herrschte drinnen Wachtmeister Schlauberger den
Delinquenten an.

„Aber, Herr Wachtmeister", erwiderte dieser mit heiserer Stimme,
„kennen Sie mich denn nicht mehr?"

Der Wachtmeister sprang auf, starr vor Staunen.

„Schnüffler, seid Ihr das?" fragte er, als er sich von seiner Be-
stürzung erholt hatte. „Ei, wer hätte Euch das zugetraut! lind wie seht
Ihr aus?"

„Ach, Herr Wachtmeister", stöhnte die Jammergestalt, die gegenwärtig
dem edlen Ritter von La Mancha nach sprechender ähnlich war, als

sonst, „retten Sie mich aus den
Händen dieser Barbaren!"

Bald klärte sich hier nun
die Geschichte ans; Schnüffler
stöhnte fortwährend und die
Bauern sahen sich verdutzt an,
der Wachtmeister dagegen lachte
aus vollem Halse.

„Es ist schon gut", sagte
Schlauberger zu den Bauern,
„Ihr seid wirklich an eine falsche
Adresse gerathen. Ich kenne
Schnüffler, stehlen thut der
nicht!" Und zri Schnüffler ge-
wandt, fuhr er fort: „Ja, ja,
Schnüffler, es scheint, daß Sie
wieder einmal die Nase in an-
derer Leute Angelegenheiten ge-
steckt haben, und zwar ein
wenig zu tief, wenigstens sind
Sie dabei in keinen Parfüm-
laden gerathen."

„Ich bin das Opfer eines
teuflischen Streichs geworden",
knirschte das „Leiden Christi",
„und das soll mir die verfluchte
sozialdemokratische Bande be-
zahlen."

„Hören Sie mal, Schnüff-
ler", sagte der Wachtmeister,
„der beste Rath, den ich Ihnen geben kann, ist: Waschen Sie sich und
schweigen Sie über die ganze Sache; Sie haben sich gründlich blamirt!
Stecken Sie Ihre Prügel und alles Uebrige ruhig ein und lassen Sie
sich den Fall für die Zukunft eine Lehre sein."

Das hat Schnüffler nun freilich nicht gcthan; er hat die Sozial-
demokraten nur um so eifriger verfolgt, bis das Fallen des Sozialisten-
gesetzes seiner staatsrettcrischen Thätigkeit ein Ziel setzte.

Wie nun alle Welt, werden die Leser fragen, wußten aber die Sozial-
demokraten, daß in Klecberg im Winzerhäuschen in jener schrecklichen
Nacht auf einen Kartoffeldieb gefahndet wurde? Gcinach, ihr Leute, es
ist doch bekannt, daß die Sozialdemokraten Alles wissen, und auch hier
ging cs mit ganz natürlichen Dingen zu. Ein biederer Korbmacher aus
Kleeberg, der im sozialdemokratischen Konnte saß, wußte von dem Eigcn-
thümer, -daß er sich diese Nacht im Winzerhäuschen auf die Lauer legen
wollte, um den immer frecher werdenden Kartoffeldieb abzufangen. Der
Korbmacher war es, der das „Leiden Christi" auf den verhänguißvolleu
Weg brachte.

„Schnüffler, seid Ihr das?"
 
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