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1969 *-

Das Medium that seine Pflicht. Moltkes
lange, hagere Gestalt, von Schwefeldunst um-
geben, als käme sie direkt aus der Hölle, erschien
auf der Bildfläche. „Ist eine Kriegserklärung er-
folgt?" fragte der Geist.

„Nein, wir wollen nur Ihren Rath, wie die
Sozialisteugefahr abgewendet werden kann."

Moltkes Geist rümpfte die Nase. „Das Reden
ist meine Sache nicht", sagte er, „aber einen Rath
will ich nieinen Nachfolgern geben: sie sollen das
Schwätzen und Säbclrasseln unterlassen; wenn
ich immer alles ausgeplaudert hätte, dann wäre
es aus gewesen mit meiner Popularität; aber
wenn man schweigt, trauen einem die Leute
immer mehr Weisheit zu, als man besitzt."

„Sagen Sie uns wenigstens", warf Mirbach
ein, „ob mit Erfolg ein Staatsstreich inszenirt
werden könnte?"

„O heilige Einfalt!" rief Moltke. „Sind wir
Großen, wir Alten nicht am Ruder gewesen, ich,
Bisniarck und wer sonst dazu gehörte? Meint
Ihr, wir hätten das Ding nicht gemacht, wenn
es zu machen wäre?"

„Warum geht es nicht?" rief Graf Mirbach.

Moltke zeigte eine geheimnißvolle Miene, als
hätte er eigentlich schon mehr gesagt, als sich für
einen großen Schweiger schickt. Er machte sich
buchstäblich „dünne", denn seine ohnedies hagere
Gestalt nahm nach und nach die Form eines
langen Bleistiftes an, welcher sich auf der Tisch-
platte einige Sekunden um sich selbst drehte und
dann verschwand.

Als man nachher die Tischplatte untersuchte,
fand sich darauf deutlich das Wort „Dalles"
geschrieben.

Zum zweiten Male dieses ominöse Wort. Es
ist zwar ein bekannter Scherz spiritistischer Geister,
daß sie geheimnißvolle Worte auf eine Tafel
schreiben, aber hier machte das Ereigniß doch auf
die Anwesenden einen recht nicderdrllckenden Ein-
druck. Man war schon geneigt, die Sitzung auf-
zuheben, da machte Jemand den Vorschlag, man
solle es doch einmal versuchen, auswärtige
Staatsrcttcr zu berufen. Ahlwardt klopfte und
rief den General Boulanger.

Aber leider erschien Boulanger nicht. Es wurde
von der Anschlußstation zurücktclephouirt, der
Geist Boulangcrs könne nicht kommen, da er
gegenwärtig im preußischen Ministerium des
Innern spuken müsse.

Man rief nun den Geist Alexanders des
Dritten von Rußland — man wartete lange —
auch er kain nicht. Der diensthabende Klopfgeist
von Livadia meldete, Alexander der Dritte habe
überhaupt keinen Geist besessen, man könne also
auch keinen zitircn.

„So müssen wir einen von den ganz alten
Staatsrettern rufen", schlug Bennigsen vor, und
nach kurzer Berathung zitirte Ahlwardt: „Seine
Majestät Kaiser Nero von Rom!"

Nero kam. Er trug einen verwelkten Lorbeer-
kranz auf drin kahlen Schädel und hüllte sich
fröstelnd in seine Toga, denn der deutsche Sommer
des Jahres 1895 war ihm doch etwas zu kühl.

„Wir haben Sie rufen lassen", sagte Bennigsen,
„um den Rath eines alten Praktikers darüber zu
hören, wie niau die Feinde des Staates und der
Gesellschaft ausrottet."

„Hm, hm, weiß schon. Sie meinen die
„Christen", sagte Nero.

„Die Sozialisten!" verbesserte der Abgeordnete
Gröber.

„Unter dicsein Namen kenne ich sie nicht", er-
widerte Kaiser Nero. „Sic meinen doch die Leute,
welche kommunistische Ideen haben, allgemeine
Bruderliebe predigen und sich zur Staatsordnung,
zum Heerwesen, ja sogar zur Staatsreligion ab-
lehnend verhalten?"

„Ganz recht", rief es von allen Seiten.

„Na, also doch die Christen", beharrte Nero.
„Ich will Euch ein vortreffliches Mittel verratheu.
Züudet Rom au allen Ecken an-"

„Sie meinen doch Berlin?" rief Dr. Lieber.

„Auch Berlin, wenn das Nest heute so heißt",
fuhr Nero fort. „Zündet es an und schiebt den
Staatsfeinden die Schuld zu, hetzt die Bürger
gegen sie auf, dann könnt Ihr sie ordentlich
zwiebeln."

„Alter Schnee", sprach Mantcuffel. „Wir
haben ihnen genau in der vorgeschlagenen Weise

Die kochen heimlich, wenn davon
Alan munkelt stch im Städtchen.

Denn Neide geben sich dort oft
«Lin Stelldichein verschwiegen,

Wenn die Äespensiersehcr all
Im tiefen Schlummer liegen.

Sie plaudern dort so manche Nacht
Von ihrer Liebe Leibe
And schwören unter Küssen sich
Viel tausend Treue-Eide.

Der späte Wandrer, welcher hört
Das Flüstern von Laus und Trine,

Schlägt fromm ein Kreuz dabei und spricht:
,,üis spukt in der Ruine!" u. S.

Vogrimdeter Verdacht.

In einer italienischen Bank will ein Herr den
Direktor sprechen.

„Bcdaure, ich kann Sie nicht vorlasscn", ant-
wortete der Diener, „der Herr Direktor hat Be-
such." (Nachdem ein Fünf-Lire-Stück in seine Hand ge-
glitten. fügt er hinzu«) „Es sind ein Paar verdächtige
Kerle bei ihiu."

„Ach so, ich verstehe, es ist heute Aufsichts-
raths-Sitzung."

die Schuld für zwei Attentate zugcschoben und
haben sie zwölf Jahre lang ganz extra ordinär
verfolgt, aber es hat nichts genützt."

Da setzte sich Nero in Positur und rückte seinen
Lorbeerkrauz, ivelcher ein wenig verrutscht war,
ivicder zurecht.

„Ihr müßt", lehrte er, „dann eben energischere
Maßregeln ergreifen."

„Sehr wahr", unterbrach Mantcuffel, „jetzt
kommt das Richtige!"

„Ihr müßt", fuhr Kaiser Nero fort, „die
Staatsverbrecher cinfaugen, den wilden Thieren
vorwerfen, sic an Pfühle binden, mit Stroh um-
ivickeln, anbreunen, zerfleischen, lebendig be-
graben u. s. iv. Sehet", schloß Nero stolz, „so
habe ich die Christen ausgcrottet."

„Aber reden Sie doch keinen Stuß", sagte
Or. Lieber, „Christen sind >vir ja selbst, den christ-
lichen Staat ivollen wir ja eben schützen."

Da schaute Nero mit zorniger Verachtung auf
die Anwesenden. Dann ivetterte er loS:

„Ihr Verbrecher, Ihr Schurken, Ihr Um-
stürzler, Jhr Hochverräther! Christen seid Ihr und
wagt vor das Antlitz des römischen Kaisers zu
treten? Das sollt Ihr büßen; meine Soldaten
rufe ich und lasse Euch in die Kerker werfen;
nächsten Montag früh um neun Uhr gebe ich im
Kolosseuni eine Extravorstcllung, da sollen Euch
meine Tigerkatzen als Katerfrühstück verzehren."

Ahlwardt beeilte sich, den Klopfapparat in
Bewegung zu setzen, und warf den Kaiser Nero
spiritistisch hinaus.

„Der alte Troddel weiß auch nichts Gcscheidtes",
bemerkte Mirbach.

„Wir hätten lieber einen alten Philosophen
rufen sollen", fügte Bennigsen hinzu.

Da scholl ein unbändiges Lachen durch den
Raum. Es war ungerufen Aristophanes, der
wahre Jacob des klassischen Alterthmns, erschienen,
der sich den Bauch vor Lachen hielt über die
komische Verzweiflung der Staatsretter des neun-
zehnten Jahrhunderts.

Und von seinem vernichtenden Gelächter ver-
folgt, stoben sie beschämt auseinander.
 
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