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1992

Der Invalide. £222

Md) wandle vorüber am hohen Palast,

Cp Draus strahlen die Lichter, es blendet mich fast;
Sie feiern da drinnen den großen Rrieg
Und wie unsre Tupfern gewannen den Sieg.

Sie tafeln im festlich geschmückten Saal,

Der perr Gastgeber hebt seinen Pokal;

Er war dereinftens Armeelieferant
Und ward drum erhoben in adligen Stand.

„wir denken", so spricht er, „der großen Seit,
Die Deutschland gebracht hat die Einigkeit
Und unser Reich so herrlich und groß,

Fürwahr, wir zogen ein glückliches Loos.

Den Tapferen, die in blutiger Schlacht
2lll dies erkämpft, fei mein Glas gebracht!"

Und es erheben sich Alle sogleich,

Sie leeren die Gläser auf Peer und auf Reich. -

Rieht länger will aus zum Palast ich schau'n,

Ich denk' des vergossenen Blutes mit Grau'n;
Ich wandre weiter, mein Ohr vernimmt
Jetzt Töne der Orgel schrill und verstimmt.

Gs dreht sie ein alter Invalid,

Der kauert im Winkel hungrig und müd,

Und als ich mit meiner Gab' ihn bedacht,

Spricht er: „Ja, den Urieg Hab' ich mitgemacht.

„Bei Sedan, da blitzt' es wie wetterschein
Und mir zerschlug die Granate das Bein,

So schwand mir die Urast, der Uluth und der Stolz,
Sie schenkten mir dafür ein Bein von polz.

„Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel
pab' ich und darum dies Orgelspiel!"

Dann schaut er empor, seine Stimme klingt hohl:
„Dort oben trinken sie aus mein Wohl!"

StamvuIowF Lod.

Tin Watriot, der kühn im Streit
Dum iöiege führte Me Vulgaren,

Der sie vom Türkenjoch kesreit,

And der getrotzt der Macht des Daren —
Wezahlt die That mit feinem 23tut,

Tr ward von Mördern abgefchtachtet,

Weit er in starkem Mannesmuth
Der Austen Dorn und Laß verachtet.

Wo aker war die Volizei,

Die eifrig sonstzu jeder Stunde
Mach Staatsverbrechern schnüffelt? — ei,
Sie war mit Mördern hier im Wunde;

Die Thäter sie entweichen tieß,

Am den Verfolger fchnettfangen,

Denn that sie anders, ganz gewiß
War' ihr der Judaslohn entgangen.

And Äokurgs Sproß, Lerr Ferdinand,

Ja, der hatt's eilig, ju verreisen,

Sir ging vorher ins Wöhmerland,

Mm sei» Alibi nachzuweisen.

Dem Stambutow verdankt allein
Der gute Mann, was er geworden,

Drum wollt' er nicht zu Lause sein,

Wenn es begann, das witöe Morden.

16 70.

A.: Wie ist denn eigentlich der Krieg von
1870 entstanden?

33.: Sehr einfach. Eugcnie wollte ihren
„kleinen Krieg" haben und da verschaffte ihr
der galante Bismarck gleich einen großen!

Bulgarisches.

Max: Was wird denn wohl schließlich ans
dem Fürsten Ferdinand werden?

Moritz: D, der geht keineswegs ganz leer
aus, denn auf alle Fälle darf er mit langer
Nase abziehen.

Juristisches.

Wir leben in einer Zeit des Fortschritts auf
allen Gebieten. Die Streberci macht Fortschritte,
das Dcnunziantenthuni bleibt nicht zurück, der
Servilismus steht in Blüthe und die Reaktion
erzielt fortwährend Erfolge.

Daß in einer solchen Zeit auch die edle Wissen-
schaft der Juristerei sich kräftig entwickelt, ist
selbstverständlich. Sie treibt imnier neue Blüthen
und trägt ganz überraschende Früchte.

Der Fortschritt der Juristerei doknmcntirt sich
namentlich in der Kunst der G e se tz c s a u s l c g u n g,
allerdings vorläufig meist nur hinsichtlich der politi-
schen Paragraphen. Illlgcmein bekannt ist ja z. B.
die scharfsinnige Interpretation des § 130, welcher
von der „Ilufreizung zu Gewaltthätigkeiten in
einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise"
handelt. Hier glaubten die Juristen der alten
Schule, es wären zur Strafbarkeit alle int Para-
graphen ausgestellten Voraussetzungen nöthig,
während die neuzeitliche Technik in der Rechts-
wissenschaft die Sache so vereinfacht hat, daß
Niemand mehr aufgcreizt zu sein braucht, auch
keine Gewaltthätigkeit nöthig ist, sondern daß es
genügt, wenn ein „öffentlicher Friede" da mar,
der möglicherweise irgendwann einmal hätte ge-
stört werden können.

Den Genuß von diesem Fortschritt in der
Juristerei haben aber fast immer nur Leute, welche
politisch thätig sind, es wäre daher zu wünschen,
daß die Kunst der Gesetzesanslegung sich auch auf
andere Paragraphen erstreckte, die dem nichtpoliti-
schen Publikum gewidmet sind.

Wir wollen auf diesem Gebiete den Herren
Professoren der Jurisprudenz einige instruktive
Anregungen geben.

Da ist z. B. der § 242, welcher lautet:

„Wer eine fremde bewegliche Sache einem
Andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich
rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Diebstahls
mit Gefängniß bestraft. Der Versuch ist strafbar."

Bisher schloß man ans dem Wortlaute dieser
Bestimmung, es müsse die bewegliche Sache wirk-
lich weggenommen worden sein, und es müsse
sogar die rechtswidrige Absicht konstatirt sein, wenn
das Vergehen des Diebstahls erfüllt sein solle.

Das ist eine ganz veraltete, durch die heutige
Auslcgungstechnik längst überholte Ilnschaunng.
So wenig, wie man bei der Aufreizung zu Ge-
waltthätigkciten einen Aufgereizten und eine Ge-
waltthätigkeit nachzuweisen braucht, so wenig ist
es hier nothmcndig, die wirkliche Wegnahme oder
gar die strafbare Ilbsicht zu konstatiren. Es ge-
nügt, wenn eine fremde bewegliche Sache vor-
handen ist. Hat der Ilngeklagte dieselbe nicht weg-
genonnnen, so hätte er sie doch wegnehnien können,
oder es konnte sie ein Anderer wegnehmen, und
der Ilngeklagte, obgleich er dies wissen mußte, hat
nichts gethan, um die mögliche Wegnahme zu ver-
hindern und ist somit als Thäter zu bestrafen,
auch wenn Niemand die frcinde bewegliche Sache
wirklich weggenonunen hat.

§ 171, Absatz 1, lautet:

„Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe ein-
geht, bevor seine Ehe aufgelöst, für nngiltig
oder nichtig erklärt worden ist, inglcichen eine
unverheirathete Person, welche mit einem Ehe-
gatten, wissend, daß er verhcirathet ist, eine
Ehe eingcht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf
Jahren bestraft."

Auch dieser Paragraph bietet für Studenten
der Jurisprudenz manch schönes Material zu
Hebungen in der Auslegungskunst. Man kann
folgern: wer eine Ehe eingeht, ist möglicherweise
ein Ehegatte, als solcher ist er strafbar; eine
möglicherweise unverheirathete Person, welche ihn
heirathet, ist ebenfalls strafbar, denn sie mußte
annehmen, daß ihr Gatte niöglicherweise ver-
heirathet gewesen sein konnte; beide sollen also
vom Standesamte direkt ins Zuchthaus wandern.

Nicht unbedenklich für den Handelsstand kann
es werden, wenn 8 281 des Strafgesetzbuchs ver-
einfacht wird. Derselbe bestraft den Bankerott
 
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