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2000 —

tzandwerkevtag. <äb

Aer Fackeltanz -er preußischen Minister
Mag eine Plage sein, -och schlinrinre Plage
Stau- in -en letzten Tagen Berlepsch ans,

Das Straußenei -er Zunftreform bebrüten-
Mit ernster Miene. Ach, es ivar- ihm bald
Anheinrlich klar, -aß es ein Windei sei.

Den Zunftzopfschwärmern soll der arine Mann,
So heischen sie, -en alten gol-nen Boden
Anfs Neue schaffen, der seit manchem Jahr
In -er Versenkung rettungslos verschwand;
wo nicht, so -rohen mit erhobner Stimme
Die alten Stützen von Altar und Thron,
wir- schleunigst abgeschwenkt mit Sack und pack
Ins rothe Lager, über -effeir Zelten
Die Fahne Liebknechts weht, des grimmen Wühlers,
wenn ein Minister jemals Blut geschwitzt,
wenn ein Minister je -es Amtes Bürde
Seufzen- empfand, wenn ein Minister je
Des Steincklopfers mühsam Amt beneidet,

So war es Berlepsch auf -ein Straußenei,

Das hart und kalt und leblos wie ein Stein,
was soll er thun? Den aufgeregten Zünftlern
Die Wahrheit sagen, schroff und unumwunden,
Und mit dem Fuße fort verächtlich stoßen

Das Riesenwindei, über dem er hockt?
wie gerne thät' er's, -och — das darf er nicht.
Mit Grazie lügen und vom Himmelszelt
Das Blaue seiner Hörerschaft versprechen,

Sich gläubig stellen und das Stäbchen schwingen,
Mit dem man Wasser aus -en Felsen schlägt?
Lin Ausweg wär' es, doch — das mag er nicht:
Anfs Lügen hat er nie sich recht verstanden.

So brütet denn -er ärmste -er Minister
verzweifelt weiter, auf -er Seele Grund
Lin Sehnen hegend nach dem Znkunftsstaat,

Der ihn befreit von aller seiner Plage
Und -er init seines großen Sturmes Brausen
Das Riesenwindei in den Abgrund rollt.
Erlösung kann von dieser Seite nur
Dein Dulder im Ministcrfracke kommen
Und Liebknecht nimmt ihn sicher gnädig auf,
Ihn und die Meisterlein, auf deren Rücken
Der Zunftzopf baumelt; sicher schmunzelt er:
,,Ua, Rinderchen, seid ihr dem: endlich da?

Lin wellig lange habt ihr warten lassen
Und mächtig euch geziert — wozu denn das?
Jetzt kommt herein, die Roth hat nun ein Lude."

Dmime auf einen Braven?

Air stimm' ich heute meine Leyer,

Tu unbewußt-fideler Manu,

Der mehr als Alexander Meyer,

Als Auer selbst, ergötzen kann.

— wen könnt' ich so begeistert preisen?
wen mein' ich doch auf jeden Kall?
wen anders als den dreimal weisen.

Als den erhabnen Pastor Schall?

wer macht aus Lncyclopädisten
Parteigenossen keck und schnell?
wer eint in priesterlichen Listen
Mit Jesu Lehre das Duell?
wer ruft die lsAio fulminata
Zum Kampfe gegen Bebels „Kran"

Und braucht dabei, wie stets die Data
Im besten Kalle ungenau?

Schall, Schall! Sein Ruhm ist ohne Ende;
Das ist fürwahr kein leerer Schall;

Ls platzt Humor in reichster Spende
Ihm ans den Nähten überall.

Und Martin heißt er! Krad wie Luther!
Naht wieder der November sich.

So opfr' ich ihm in reinster Butter
Ten würdevollsten Gänserich.

Deckt einst als siebenundvierzig Leichen
Die rothe Kraktion den plan.

Dann hat's ihr Todfeind sondergleichen.
Dann hat es Pastor Schall gethan.

Ja, die Partei — wird sie gerichtet
Zu Gründe einst mit Mann und Maus:
Schalls Reden haben sie vernichtet;

Die hält nun 'mal kein Zwerchfell aus.

* Beim Lesen des stenographischen Berichts über die
Verhandlungen der Unisturzvollage im deutschen Belchs-
lag entstanden. 2er Vers.

Und dennoch bin ich ihm nicht böse,
wie ward mir die Verdauung schwer!
Seitdem ich ihn nach Tische lese,
verspür' ich keine Störung mehr.

Hört, Ihr in Potsdam-Havelland, mich:
Kommt wieder her die Reichstagswahl,

So bringt vor Lust aus Rand und Band mich
Und wählt mir diesen Schall noch 'mal!

Politische ltzeillruren.

Die hohe Poliiik ist in ihren Sommerschlaf
gefallen. Bei 30 Grad Celsius fällt cs dem
Fürsten Hohenlohe nicht ein, sich ein Blatt vor
den Mund zu nehmen, um eine Rede abzulesen;
auch Herr v. Koller konfiszirt keinen Frciligrath
mehr und läßt sogar die polizeilichen Recherchen
über die Herkunft und den derzeitigen Aufenthalts-
ort von Werthers Lotte ruhen.

Selbstverständlich läßt Graf Posadowsky den
Plan einer Fabrikatsteuer auf Gesetzentwürfe fallen,
weil dieser Artikel schlechten Absatz findet. Böt-
ticher, Marschall und Berlepsch athmen auf, sie
können wieder ruhig schlafen, denn der Lukanus
hält gleichfalls seine Sommerferien, und es ist
nicht zu fürchten, daß er plötzlich Minister-
Portefeuilles einsammeln und neue Kurse arran-
gircn wird.

Inzwischen läuft die Staatsmaschine, mit
Budgetbewikkigungen reichlich geschmiert, von selbst
ihren Gang, und der dcutsche Bürger hat eine
Zeit lang Ruhe vor Tabaksteuern, Umsturzpara-
graphen, Reichstagsauflösungcn und Schcllcndors-
schcn Reden über die deutsche Feuerwehrhnftigkeit.

In dieser Zeit der Ruhe ist cs anr Platze,
daß der „Wahre Jacob" sich ein wenig mit dem
kranken Staatskörper beschäftigt und untersucht,
wie ihm aufznhelsen ist.

Zunächst müßte man den Agrariern beistehen,
denn sie schreien ani meisten. Die Heilmittel,
welche sie selbst verlangen, taugen nichts. Rist
dem Bimetallismus, den schon Heinrich Heine in
seinem Gedicht „Firdusi" brandmarkt, geht es
nicht, denn Silber wird niemals den gleichen
Werth haben, wie Gold, so wenig wie der
preußische Landadel jemals die Höhe der Kultur-
menschheit erreichen wird. Der Antrag Kanitz
ist ebenfalls aussichtslos, denn die Sozialdemo-
kratie hat unter gütiger Beihilfe der Reichsrcgle-
rung und der liberalen Parteien mit dem Alls-
lande Handelsverträge abgeschlossen, ivelche sie
einigen ostelbischcn Krakehlern zuliebe natürlich
nicht brechen ivird. Vertrags- und Verfassungs-
brüche werden ja überhaupt nur im konservativen
Lager, woselbst man es nlit der guten Sitte nicht
so genau nimmt, für zulässig gehalten.

Um den Agrariern zu helfen, muß man sich
zu gründlicheren Heilknren entschließen. Man
muß sie vor Allem von der Last ihres Grnnd-
besitzes erlösen, niit dem sie, ihrer Behauptung
nach, ja doch nicht bestehen können. Anstatt nur
die Getreideausfuhr zu verstaatlichen, erfasse man
den Antrag Kanitz in seinen vollen Konsequenzen;
man konfiszire und verstaatliche den ganzen Grund-
besitz des ostelbischen Adels. Da die Herren Agrarier
bei den jetzigen Getreidepreisen mit Schaden zu
arbeiten vorgcbcn, so bedeutet die bedingungslose
Wegnahme des schadenbringenden Besitzes für sie
eine finanzielle Zuwendung, welche sie hoffentlich
ebenso gern akzeptiren werden, wie sie sonst Liebes-
gaben entgegennehnieu. Um das weitere Fort-
kommen jener Herren braucht uns nicht bange
zu sein. Dian weise ihnen Arbeitsgelegenheit
nach, wie man es anderen Arbeitslosen gegen-
über ja auch thut. Sic besitzen so gewandte
Manieren und so gutes Mundwerk, daß sie leicht
 
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