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2016

In Veinöes -Lanö.

Erzählung aus dem deutsch-französischen Krieg.

3)ie Schatten der Nacht hatten sich herniedergesenkt auf das weite
blutgetränkte Schlachtfeld von Sedan. Sie deckten namenlose Greuel,
unsäglichen Jammer.

Wie eifrig auch Aerzte und Krankenträger bei der Arbeit waren,
um den Verwundeten Hilfe zu bringen — noch immer lagen stunden-
weit im Umkreise der Festung viele Menschen mit zerrissenen Gliedern
hilflos auf der kalten Erde und seufzten und schmachteten dem Tode
entgegen.

Die Nacht war rabenschwarz; kein Sternenlicht, nur hier und da
ein matter Feuerschein erhellte das Dunkel. Dennoch war die Nacht
unruhig, wie der Fiebertraum eines Sterbenden. Signale, vereinzelte
Schüsse, Hufschläge von Pferden tönten von fern über die weiten Felder
her, zuweilen auch ein Nothschrei aus Menschcnbrust oder der schrille
Klageton eines verendenden Pferdes.

Am Saume des Waldes, welcher im Norden die Felder abschloß,
lag in Gras und Gestrüpp eine Gruppe von Menschen.

Plötzlich regte sich der Eine; er richtete den Oberkörper mühsam
empor. Es war ein Preuße, wie die Uniform verrieth. Die Kopf-
bedeckung fehlte, die Stirn war mit geronnenem Blute bedeckt, im bleichen

„Meine Mutter, meine arme Mutter", stöhnte er. Mit diesen Worten
sank er zurück und starb.

Antlitz malten sich Grauen und Entsetzen, als der Erwachende um sich
schaute.

Richtig — dort war der Wald; dort war er hervorgestürmt, Schulter
an Schulter mit den Kameraden; mit lautem „Hurrah!" hatten-sie sich
auf den Feind gestürzt, und dann hatte ein gräßliches Morden begonnen
inmitten eines Höllenlärms — eingehüllt in Dampf und Staub hatten
Menschen gegeneinander gewüthet, schlimmer wie die Bestien des Ur-
waldes .... und dann hatte auch er sein Theil bekommen — einen
leichten blitzartigen Schlag hatte er im linken Bein verspürt, das Bein
war schwer geworden, wie Blei, und als er sich niederbeugte, um zu
erforschen, ob er einen Schuß bekommen habe, war es ihm schwarz vor
den Augen geworden und der Donner der Schlacht war in seinem Ohr
verklungen.

Jetzt tastete er wieder nach seinem Bein und versuchte, es zu
bewegen. Da fühlte er einen scharfen, stechenden Schmerz, der ihn: einen
lauten Weheruf entlockte. Gleichzeitig regte sich auch neben ihm etwas.

„Qui vive?“ lallte eine Stimme.

Der Preuße sah in seiner nächsten Nähe einen Zuaven mit todt-
blassem Antlitz, dessen Uniform von Blut überströmt war. Der Zuave
murmelte mit verschmachtenden Lippen unverständliche Worte.

„Armer Leidensgenosse!" sagte der Preuße. Er griff nach seiner
Feldflasche und fand, daß sic noch gut gefüllt war. Sofort versuchte er,
dem Verwundeten einige Tropfen cinzuflößen. Dieser trank gierig einige
Züge und dankte mit eineni warmen Blicke. Dann sank sein Haupt
wieder ins feuchte Gras zurück.

„Brav, Kamerad! Hast Du auch für mich einen Tropfen übrig?"
sagte eine andere Stimme, und der Preuße erkannte einen französischen
Kavalleristen, der sich mühsam aufrichrete. Er reichte, nachdem er selbst

getrunken hatte, dem Franzosen seine Flasche. Die deutsche Anrede
desselben veranlaßte den Preußen, zu fragen, ob er cs mit einem Elsässer
zu thun habe, aber der Franzose verneinte.

„Bin ein Pariser Kind", sagte er, „aber ich habe in Deutschland
gelebt — in Dresden, wo man noch vor wenigen Jahren uns Franzosen
überaus gern sah und von Frankreich Hilfe gegen Preußen erhoffte —
mir waren ja nicht immer Feinde! ..."

Das kurze Gespräch wurde unterbrochen durch die Schmerzen der
Wunden, die sich bei Beiden bemerkbar machten. Der Franzose hatte
einen Schuß in den Arm erhalten und die Wunde nothdürftig selbst
zu verbinden gesucht. Der Wunde des Preußen fehlte noch jeder Noth-
vcrband. Jetzt halfen sie sich gegenseitig, und es gelang ihnen, wenn
auch unter großen Schmerzen, die nothwendigste Fürsorge für ihre
zerschossenen Glieder zu treffen. Ein Versuch des Preußen, sich mit
Hilfe seines Leidensgefährten zu erheben, schlug freilich fehl, und so
harrte der Franzose bei ihm aus, um womöglich eine vielleicht in die
Nähe kommende Sanitätskolonne anzurufen.

Auch der Zuave regte sich noch einmal und die beiden Andern
beschäftigten sich hilfsbereit mit ihm. Aber ihm war nicht mehr zu helfen.
Ein Granatsplitter hatte ihm die Brust zerrissen. Der Deutsche stützte
das Haupt des Sterbenden. „Meine Mutter — meine arme Mutter!"
stöhnte er. Mit diesen Worten sank er zurück und starb. Die beiden
Andern waren tief ergriffen. Am vergangenen Tage noch waren sie
wüthend aufeinander losgcgaugen und hatten sich vielleicht selbst gegen-
seitig die Wunden bcigcbracht, unter deren Schmerzen sie jetzt litten.

Die leidensvolle Nacht ging vorüber und der bleiche Schimmer
eines trüben Septembermorgens beleuchtete die weite Mordstätte.

Es war der Morgen des zweiten September; der schreckliche Morgen,
an welchem sich Tausende in furchtbaren Todesqualen wanden, an welchen:
von den Aerzten mit blitzenden Messern zerschossene Arme und Beine
von den zuckenden Körpern der Verwundeten gelöst wurden, an welchem
große Gräber gegraben wurden, worin die Jugendblüthe zweier edler
Nationen versenkt wurde.

Bis zum fernen Saume des Garenncwaldes war noch keine Träger-
kolonne gekommen, dort hielt bei der Leiche des Zuaven der verwundete
Preuße nebst seinem französischen Leidensgefährten noch immer in Trauer
und Schmerzen die Todtenwache. Sie hatten sich schon innig miteinander
befreundet und bekannt gemacht. Der Deutsche war der Sohn eines
Landwirths Namens Hugo Reinhold aus der Gegend von Magdeburg,
der Franzose ein Techniker, Henri Wallon, den das eiserne Gebot der
Militärpflicht gezwungen hatte, seine friedliche Beschäftigung in Paris zu
verlassen und den kaiserlichen Adlern aufs Schlachtfeld zu folgen.

Da keine Hilfe kam, entschloß sich Henri, eine bewohnte Stätte in
der Umgegend aufzusuchen, um Beistand herbeizuholeu. Er hoffte, daß
seine Kräfte zu diesem Unternehmen noch reichen würden.

Als er einige hundert Schritte gegangen war, sah er zu seiner Freude
mehrere Personen, darunter ein Mädchen, in ländlicher Tracht, welche
langsam mit einem kleinen Wagen herankamen.

Jetzt hielt der Wagen und Henri sah, daß sie einen Verwundeten
aufhoben und vorsichtig auf den Wagen legten.

„Wenn Ihr barmherzige Samariter seid", rief er den Leuten zu, „so
nehmt auch uns auf — wir haben's nöthig."

Das junge Mädchen kam ihn: entgegen und fragte hastig, ob er
nicht den Lieutenant Garnier kenne und vielleicht wisse, was aus ihn:
geworden sei?

Henri verneinte. Das Mädchen theilte weiter mit, der gesuchte Lieute-
nant sei ihr Bruder, sie seien die einzigen Kinder eines in nächster Nähe
ansässigen Gutsbesitzers; gestern Abend seien Kameraden ihres Bruders
auf der Flucht an ihrem Wohnsitz vorübcrgekommen und hätten auf
Befragen mitgetheilt, der Lieutenant sei in einem Treffen unweit des
Waldes gefallen. Der Vater sei außer sich gewesen und habe beschlossen,
den Gefallenen zu suchen. So sei er schon in der Nacht aufgebrochen
und noch nicht zurückgekehrt. Sie, die Tochter, habe sich zu gleichem
Zwecke mit einigen Dienstboten auf den Weg geinacht und zwar nicht
den Bruder, wohl aber andere Unglückliche gefunden, die sie doch auch
nicht ohne Hilfe lassen wollte.

Nach Empfang dieser Mittheilungen war es Henri leicht, die Helfer
zur Aufnahme seines Leidensgeuossen Hugo Neinhold zu bewegen. Letzterer
war wieder bewußtlos geworden — er hatte außer seiner schweren Ver-
letzung am Bein auch leichte Kopfwunden. Die Französin betrachtete
 
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