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2017

Vor dem Gehöft stand ein
alter Mann, eine hohe ehr-
würdige Gestalt mit weißem
Haar und Bart.

„Habt Ihr ihn gefunden,
meinen armen Robert?" rief
er den Ankommenden ent-
gegen.

„Nein, lieber Vater",
antwortete daS Mädchen
traurig.

mit tiefem Mitleid sein bleiches, männlich schönes Antlitz, als die Dienst-
leute den Verwundeten vorsichtig auf den Wagen hoben. Damit war
der kleine Einspänner völlig belastet und wurde langsam nach dem
nahen Landgute zurückgeleitet, von dem er gekommen war. Henri schritt
mit der jungen Französin hinterher und verbiß tapfer die Schmerzen
seiner Wunde. Auf dem nahen Gute war ja sicher schneller die erste
Hilfe für die Verwundeten zu erwarten, wie ans den weit entfernten
Verbandsplätzen der Stadt und des preußischen Lagers, wo die Aerzte
den großen Andrang von blutiger Arbeit sicher nicht so bald bewältigen
konnten.

Vor dem Gehöft stand ein alter Mann, eine hohe ehrwürdige Gestalt
mit weißem Haar und Bart.

„Habt Ihr ihn gefunden, meinen armen Robert?" rief er den An-
konnnenden entgegen.

„Nein, lieber Vater", antwortete das Mädchen traurig.

„Wen bringt Ihr da?" fragte der Alte.

„Andere Unglückliche, die unserer Hilfe bedürfen", erwiderte das
Mädchen.

„So ordne an, was nöthig ist", beschied der Vater und fügte kurz
hinzu, daß er sich nach der Stadt begebe und in den dortigen Lazareths
seine Nachforschungen nach dem Sohne fortsetzen wolle.

Damit bestieg er einen bereitstehenden Wagen und fuhr davon.

Mehrere Wochen waren seitdem verflossen. Die Verwundeten genossen
auf der Besitzung Garniers die beste Pflege und auch an ärztlicher Hilfe
fehlte es nicht, denn Margot, die intelligente, thatkräftige Tochter, hatte
niit niöglichster Schnelligkeit einen dem Hause befreundeten Arzt aus dein
nahen belgischen Grenzgebiete herüber rufen lassen, welcher sich seiner
Aufgabe sorgsam widmete.

Das Gros der deutschen Heere hatte sich inzwischen zmn Vormarsch
gegen Paris gewandt, die französischen Gefangenen waren nach Deutsch-
land transportirt worden, in der Gegend von Sedan waren nur die
nöthigen Besatzungen zurückgeblieben. Allerdings erschienen zuweilen
Patrouillen auf der Besitzung Garniers,, aber zu ständiger Einquartierung
an diesem entlegenen Punkte kam es nicht, und so blieben die Kranken
dort unbchelligt.

Am wenigsten kümmerte sich um sie der Gutsherr, der alte Garnier
selbst. Er war in eine Art Trübsinn verfallen, nachdem es ihm in
keiner Weise gelungen, eine Spur von seinem geliebten Sohne aufzufinden.

„Die Preußen haben ihn gemordet", murmelte er in-
grimmig. Er starrte stundenlang trübe vor sich hin, sprach
mit Niemand und die Bediensteten gingen ihm scheu aus
dem Wege.

Um so eifriger widmete sich Margot den Verwundeten,
und namentlich auf Hugo Reinhold konzentrirte sie ihre
ganze Sorgfalt.

Der Aermste war auch schlimm genug daran gewesen.
Tagelang hatte er bewußtlos gelegen, die Amputation
des Beines war dem Arzte unvermeidlich erschienen. Aber
bevor es dazu kam, mar eine Besserung eingetreten und jetzt
konnte der Arzt init Freuden konstatiren, daß er nicht nur
vom Tode, sondern auch vor Verkrüppelung gerettet sei.

Henri, der den Arm in der Binde trug, aber seinen
guten Humor nicht verloren hatte, sorgte für Kurzweil
im Krankenzimmer und spielte oft den Dolmetscher zwischen
Reinhold und Margot, die sich über alle möglichen gleich-
giltigen Dinge mit größtem Eifer zu unterhalten strebten.
Was sie sich sonst noch zu sagen hatten, dazu brauchten
sie freilich keinen Dolmetscher. Ihre Augen und gelegent-
lich ein warmer Händedruck sprachen eine sehr beredte
Sprache.

Um es kurz zu sagen — Reinhold und Margot liebten
sich und hofften ein Paar zu werden. Doch sah Margot
mit Sorgen in die Zukunft. Nicht nur der Kummer
über das ungewisse Schicksal ihres Bruders quälte sie,
sondern auch die finstere, zornige Verschlossenheit ihres
Vaters, die derselbe seit dem Verlust seines Sohnes zeigte,
erfüllte das Herz des Mädchens mit bangen Befürchtungen.
Wie würde er es aufnehmen, daß seine Tochter das Weib
eines Preußen werden wolle?

Da verscheuchte ein unerwartetes Ereigniß plötzlich
alle die schwarzen Wolken der Sorge. Es kain ein Brief
aus Deutschland von dem vermißten Lieutenant Garnier,
welcher mittheilte, daß er, der Todtgeglaubte, als Kriegs-
gefangener in einer süddeutschen Stadt internirt sei, und
daß es ihm dort sehr wohl gehe, da die Bevölkerung in
humanster Weise wetteifere, den Gefangenen ihr Loos zu erleichtern. Aus
dem Briefe ging ferner hervor, daß der Lieutenant schon eine frühere Be-
nachrichtigung nach Hause gesandt hatte, die wahrscheinlich in den Wirren
des Krieges verloren gegangen war. Das Gerücht von seinem Tode war
irrthümlich gewesen.

Im Krankenzimmer.

Nun lebte der Alte wieder auf, denn sein Sohn war sein Stolz und
seine Freude. Da sich dieser bei den Deutschen wohl fühlte, so schwand
auch der Haß des Alten gegen die „Feinde" rasch dahin. Margot konnte
ihm unbesorgt ihre Geheininisse enthüllen und er gab ihrem Bund mit
Reinhold seinen Segen.

„Aber", fragte er, „warum mußten sich zwei Nationen zerfleischen,
die mit allen Eigenschaften des Geistes und des Herzens auf gleicher
Kulturstufe stehen und zu gemeinsamer Friedensarbeit berufen sein sollten?"

Henri antwortete auf die vorwurfsvolle Frage:

„Wenn die Völker sich von der Barbarei des Militarismus befreien,
dann erst werden sie in Wahrheit Kulturvölker sein und dann werden
sie auch keine Kriege mehr führen".
 
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