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2020

^ Das Med dom braven Mann.

föiWemi du noch lebtest, armer Dichter Würger,
Walladenschöpser, der das Lied du sangst
Vom krauen Mann, das Lied so glockentönig,

Du würdest dich bis in die Seele schämen!

Du würdest traurig )u dir selber sagen:

„An solche Stoffe haß' ich Dichterseuer,

Vapier rmd Tinte, Zeit und Kraft vergeudet
Und solche Helden hak' ich mir erkoren!

Als ob kein schneidiger befreiter Lück,

Als ob kein Drdnungswächter Münter lebte!

Vor allem Münter! Um die Schläfe legte
Ihm meine Hand so gern den Lorbeerkran),

Den ewiggrünen, den die Muse weiht,

Denn dieser Mann, ist er der Typus nicht
Der hcil'gen Schaar, auf deren breiten Schultern
Die Last der Welt, die Last des Staates ruht?

„Ich beuge gern mein Knie den weisen Herrn
Am grünen Tisch, die unser Schicksal lenken,

Doch streiten sie mit Hirn und Feder nur
Und hocherhaßen über dem Äemeincn
Stehn ste in lächelnder Unnahbarkeit.

Wie anders jene treuen, schlichten Männer,

Die Tag und Vacht, in (bluth und Sturm und Schnee,

Der Drdnung schnöde Widersacher greifen,

Auf staub'gcr Straße, in des Waldes Dunkel
Mit starkem Arm, mit Säßet und Revolver
Die Unverbefferlichen dingfest machen,

Und deren Licht nie steghaft Heller strahlt,

Als im Gerichtsfaat, deffen hohe Räume
Die Sünder nur vertaffen, um im Schweigen
Der Zuchthaus^elle wieder stch )u finden!".

Za, ja, Freund Würger, in der Wahl der Stoffe
Vergriffst du kläglich dich, doch deine Zeit
Hat solche wahrhaft ideale Männer,

Hat solche Märtyrer für die Idee
Der ew'gcn Drdnung eben nicht gekannt.

Die heit'ge Schaar führt heut' im neuen Reich
Wegeistert, unermüdlich und unbeugsam
Den Kampf mit den verruchten Elementen,

Die spinnefeind der holden Drdnung find
Und wo ste gehn und stehn auf Umstur) stnnen.
Vor Affem ste, die Trefflichen, verdienten,

Daß man ein Lied )u ihren Ähren sänge,

Das hohe Lied vom braven langen Münter,

Und daß dies Lied wie Drgetton erbrauste
Und Klockenklang! Wer stngt uns dieses Lied?


—5* Letzte Zuflucht. —

Meinst du, wir bitten um goldigen Segen,

Der auf den schwankenden Halmen sich wiegt?
Was ist am Roggen, am Weizen gelegen,

Der auf den Böden von Jahren her liegt?
Solltest an solchen Ideen du kranken,

Bist du ein guter, ein dummer Hans Staps —
Alles, >vas reitet, hat andre Gedanken:
Kartoffeln und Rüben gleich: Zucker und Schnaps.

Will man dem Stande gemäß sich bewegen,
Will man verblichne Vergoldung erneu'n,

Muß man auf solche Gewächse sich legen,

Die sich der staatlichen Fördrung erfreu',:.
Thoren nur werden dem Mais sich vertrauen,
Schwärmer der Oelfrucht, dem täuschenden Raps-
Wer da gerieben, wird Besseres bauen:
Kartoffeln und Rüben gleich: Zucker und Schnaps.

Daraus allein kann dir Wohlstand ersprießen.
Diese Methode allein nur ist echt;

Kannst du dich nicht zu der Wandlung entschließen,
Bist du verdorben, vergantet mit Recht.

Magst du dein Heil an die Beiden nicht ketten,
Bist du ein Tölpel, ein bäurischer Flaps;

Heute venuögen nur sie uns zu retten:
Kartoffeln und Rüben gleich: Zucker und Schnaps.

Was man dawider auch sagt, ist Geflunker,
Und wenn der wandernde Hetzer betont,

Die Theorie sei der Standpunkt der Junker —
Laß ihn doch schimpfen, dafern es nur lohnt!
Blau bleibt der Himmel und grün bleibt die Wiese
Und wer eS leugnet, der hat einen Klaps;
Halte nur fest an der edlen Devise:

Kartoffeln und Rüben gleich: Zucker und SchnapS!

Die neue Rrchtsaustegung.

Juristische Tragikomödie.

Liest da Herr Staatsanwalt Argus, angestcllt
in einer kleinen Stadt des äußersten deutschen
Nordens, in der Zeitung, daß der Schriftsteller
Wahrhaft, wohnhaft in einer Stadt des äußersten
deutschen Südens, soeben eine Broschüre veröffent-
licht hat, welche den Titel führt: „Freie Worte",
und die wegen ihres nmthvollen, kernigen Inhalts
der allgemeinen Beachtung empfohlen wird.

„Schade, daß ich nicht Staatsanwalt im
Donüzil des Wahrhaft bin", seufzt Herr Argus.
„Das gäbe sicher wieder einen interessanten Prozeß,
während bei uns auch gar nichts los ist."

Betrübt will er das Blatt aus der Hand legen,
als er au einer anderen Stelle folgende Notiz
gewahrt: „Ncn e R eich s gerichtsentsch eidu n g.
Das Reichsgericht hat ein Urtheil bestätigt, wo-
nach bei einem durch den Druck verbreiteten Er-
zeugniß, also bei einer Zeitung, einer Broschüre
oder sonstigen Schrift, jeder Ort als Thatort an-
zusehen ist, wo das betreffende Schriftwerk Ver-
breitung gefunden hat."

Argus überliest die Stelle noch einmal. Dann
ninnnt er Hut und Stock, pilgert zu seinem Buch-
händler und bestellt sich mit der Bitte um schleu-
nigste Besorgung zwei Exemplare der Broschüre
des Herrn Wahrhaft. Zwei Tage später hält er
sie in Händen, zitternd vor freudiger Erwartung
durchfliegt er sie, konstruirt ohne besonderen Auf-
wand juristischen Scharfsinns zwei Majestäts-
beleidigungen, drei Beschimpfungen der katholischen
und zwei der evangelischen Kirche, eine Verächtlich-
machung von Staatseinrichtungen, vier Auf-
reizungen zum Klassenhaß, neun Beamtenbeleidi-
gungen und vierzehn Delikte, die sich als grober
Unfug bestrafen lassen, und eilt nun mit hastigen
Schritten nach seinem Bureau, um das ominöse
Formular mit der Anklage noch am selben Tage
in die Hände des fünfunddreißigfacheu Attentäters
gelangen zu lassen.

- Der sitzt inzwischen ahnungslos daheim in
seiner stillen Studirstube und denkt darüber nach,
ob wohl seine ernst- und gutgemeinten Worte die
starren Herzen der Gegner der Wahrheit und Ge-
rechtigkeit erweichen oder ob in der That alle guten
Reden an diesen verloren sein-möchten.

Plötzlich klopft cs an die Thür, und auf
sein „Herein" zeigt sich der Briefträger, ihm
ein großes Schriftstück mit Zustellungsurkunde
präsentirend.

„Potz Blitz", ruft Wahrhaft verwundert, „da
hätt' ich denn gleich den Erfolg meiner Kapuzincr-
predigt", meint er kopfschüttelnd. „Und wie prompt
— kaum ist das Buch aus dem Backofen, da liegt
auch schon die Anklage da. Da sage noch einer,
daß unser Rechtsverfahren ein langsames sei."

Nachmittags klopft es ivieder. Wiederum er-
scheint der Bote Stephans, diesmal bringt er drei
große Schreiben mit Zustellungsurkuuden.

„Na, das kann ja nett werden", denkt Wahr-
haft bestürzt. „Gleich drei, und mit den schaurigsten
Delikten des Strafgesetzbuchs nur so überladen.
Ich habe doch nur die Wahrheit und noch dazu in
mildester Form geschrieben. Aber ivie ist mir denn?
Die Anklagen koinmen ja aus den verschiedensten
Gegenden? Hier eine aus dem Norden, die ist
von der holländischen Grenze, die aus dem Posen-
schen, die aus Sachsen — aha, die Wirkung der
neuen Reichsgcrichtsentscheidung. Woher die Ge-
richte nur so schnell die Broschüre haben?"

Abends — dieselbe Erscheinung, nur mit dem
Unterschiede, daß diesmal gleich fünf Anklagen
eingehen, alle aus den verschiedensten Orten. Am
nächsten Morgen drei weitere Anklagen, und so
fort mit jeder Post.

„Bin ich denn verrückt", stöhnt Wahrhaft, als
die 67. Anklage eingeht. „Welche Unmasse von
Jahren Gefängniß das abgeben mag, ich würde
drei Menschenalter branchen, sie abzusitzen. Und
die Koste::! Wer soll sie tragen, und wo soll ich
alle die Vertheidigcr hernehmen, wenn die Ver-
handlungen stattfinden!"
 
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