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2036

-§> Der neue Archirneöes.

sinnend Archimedes stand
M NchMalter Denker weife
Und zog Mfeinem gelben Sand
G eheimnißv oll^Ureif e.

Da sprach er: „wenn sie wollten mir
Nur einen Stützpunkt geben,

So wollt' ich diesen GrdbaRstsier
Wohl aus den Angeln heben!"

Längst hat den Denker man gesenkt
Hinab zum Schattenreiche,

Doch in den alten Angeln hängt
Der Erdball noch, der gleiche.

Die Menschheit seufzt in ihrer Noth
Im Uampf ums liebe Leben:

„wird diese Welt uns niemals Brot
Und Freiheit dazu geben?

„O käm' ein Weiser doch, ein Held,

Der aus den Angeln hübe
Die alte unbollkommne Welt,
wo es so dumpf und trübe.

„And der uns bald erstehen ließ
2lus unsres Daseins Nächten
Ein sonnenhelles Paradies,
von Herren frei und Unechten."

Mein Volk, lies die Geschicke nicht
Aus trügerischen Sternen;

Nein goldner Strahl der Hoffnung bricht
Aus nebelgrauen Fernen.

Sei selbst dein Archimed, dein Held,

Der Stützpunkt ist gegeben,

Und du wirst einst die alte Welt
2lus ihren Angeln heben!

Amnestie.

Nach den jüngsten Ereignissen in Italien.

3m Kerker liegt des Kolkes treuer Lohn.

Ls siecht sein Leib durch lange Monden schon
Und blaß sein Antlitz durch das Kitter leuchtet,
wenn er das Auge labt am Firmament,
Soweit ihm dies das kleine Fenster gönnt —
Das Auge, das der Sehnsucht Chräne feuchtet!

Wie lang wird man hier modern lassen ihn,
Weil er des Volkes Recht verfocht zu kühn?
Wie lange noch? Da horch, ein Lärmen draußen!
In Massen drängt das Volk sich jetzt herbei
Und „Freiheit!" „Amnestie!" als einz'gen Lehret
Hört er es jubelnd durch die Lüfte brausen.

Lr denkt der Freunde, die in frohen Reih'n
Ihn führen wieder in die Freiheit ein
Und jubelnd ihn geleiten zu den Leinen!

Wie sein verhärmtes Weib vor Freude blüht
Und jubelnd ihn am Rock sein Kleiner zieht —
Lr muß im Vorgefühl der Freude weinen.

Da klirrt der Riegel, in den Kerker tritt
Der Kerkermeister mit gemess'nem Zchritt. —
Zum ersten Mal erscheint er heut willkommen.
Hoch klopft das Herz dem Vpfer und es spricht
Der Kerkermeister: „Freu' zu früh Dich nicht!
Als zu gefährlich bist Du ausgenommen!"

Versammlung streikender Bergleute.

(Zu unserm Bilde).

Die ungeheure Kluft, welche zwischen den An-
gehörigen verschiedener Gesellschaftsklassen gähnt,
tritt nirgends deutlicher zu Tage, wie auf dem
Gebiete des Bergbaues.

Die Besitzer und Beherrscher der Gruben ge-
hören fast ausschließlich zu den „oberen Zehn-
tausend", zu den reichsten und angesehensten Mit-
gliedern der heutigen Gesellschaft. Was die Welt
an Herrlichkeiten bietet, ist ihnen erreichbar ver-
möge der Schätze, welche für sie der Bergarbeiter
mit harter Mühe dem dunklen Schooßc der Erde
entringt.

Der Bergarbeiter — dieser ärmste der Prole-
tarier, wie unendlich verschieden von dem Leben

der Herren ist sein trübes Dasein gestaltet! Nicht
nur die Kraft seiner Arme, nicht nur die Spann-
kraft seines Geistes und Körpers opfert er dem
Kapital; er opfert ihm auch das Licht des Tages
und die freie Himmelslust. Schwarze Nacht ist
es um ihn her, indessen oben alle Wesen sich im
Glanz des Sonnenlichtes baden. Er sieht nur
die gespenstigen Grubenlichter, er athmet Kohlen-
staub, er hört nichts, als das ewige eintönige
Hämmern im Gestein, das Rollen der Karren,
das leise, unheimliche Tropfen des Grubenmassers.
Und während er hier, im engen Stolleir liegend,
unermüdlich seinen Hammer schwingt, uinlauern
ihn gräßliche Todesgefahren. Giftige Gase können
explodirend den Braven zerschmettern, brausende
Wasser können ihn ertränken, stürzendes Gestein
kann ihn verschütten, wie es das Loos unzähliger
Bergleute schon gewesen ist.

Und wie belohnt die Gesellschaft den Bergmann
für seine Aufopferung, für seinen Todesmuth?

Es ist bekannt: die Grubenbesitzer sind mäch-
tige Kapitalisten und sic lassen dem Arbeiter, dem
sie ihren Rcichthum danken, diese Macht energisch
fühlen. Schlechte Löhne, drakonische Arbeits-
ordnung sind an der Tagesordnung.

Bei solcher Schroffheit der Gegensätze und bei
solch' rücksichtsloser Machtentfaltung des Kapitals
sind die sozialen Kämpfe auf dem Gebiete des
Bergbaues naturgemäß immer mit besonderer
Erbitterung geführt worden. Ein naheliegendes
Beispiel hierfür bieten uns die großen Berg-
arbeiterstreiks in Rheinland-Westfalen, welche vor
einigen Jahren stattfanden und das Interesse der
zivilisirtcn Welt in Anspruch nahmen.

Aehnliche Kämpfe, die mit noch größerer Hef-
tigkeit geführt werden, toben schon seit Jahrzehnten
in den Grenzgebieten von Frankreich und Belgien,
wo der Kohlenbergbau in ungeheurer Ausdehnung
— auf französischer Seite im Becken von Valen-
ciennes sich konzentrirend und im Hennegau auf
belgischem Gebiet bis weit über Mons und Charle-
roi hinausreichend — betrieben wird. Die bru-
tale Willkür der Bourgeoisie trat dort oft gegen
die durch Noch und Elend zum Verzweiflungs-
kampfe getriebene Arbeiterschaft in die Schranken;
und wenn der Bourgeoisie eine Niederlage drohte,
so rief sie die Regierung zu Hilfe.

Die erschütternden Bilder dieser Kämpfe führt
der französische Romanzier Emil Zola in seinem
berühmten Roman „Germinal" dem Leser vor.
Zola ist ein Naturalist, der nach dem Leben
zeichnet, und seine Schilderungen geben ein ge-
treues Bild der Wahrheit. Er zeigt in seinem
Roman, wie eine friedliche, genügsame Berg-
arbeitergruppe durch die Rücksichtslosigkeit der
Unternehiner-Kompagnie und durch immer ge-
steigerte Entbehrungen zunr verzweifelten Wider-
stande getrieben wird.

Die packende Schilderung einer nächtlichen
Bergarbeiter-Versammlung iin Walde, welche den
Streik beschließt, gab unsereni Künstler den Stoff
zu dem prächtigen Bilde, welches in unserer heu-
tigen Nuinmer zum Abdruck gelangt.

Die Situation wird in Zola's Roman folgender-
maßen gezeichnet:

„Es war im Plan-des-Dames, einer großen
Lichtung nahe am Rande des Waldes von Van-
dame, die sich nach einer Seite schräg abdachtc.
Prächtige alte Buchen umsäumten den Platz, ge-
rade hohe Stänime, eine weiße Säulenhalle mit
grünlichen Moosflcckcn wie Marmor gefleckt. Oben
aber schatteten sich die hohen Astkronen an dem
bleichen Firmament ab, wo der volle Mond, lang-
sam emporrückend, die Sterne verlöschte.

„Fast dreitausend Kohlenmänner waren schon
versammelt, füllten mit Weib und Kind den Platz
und drängten sich bis unter die Bäume am Saume
der Lichtung. Noch immer kamen Nachzügler;
weiter breitete sich die wimmelnde Schaar unter
das Gehölz aus und ein Stimmengenrurniel
schwoll rauschend durch die wühlenden Schatten,
als wenn ein Wind durch den frosterstarrten Wald
brause."

Der Held des Romans, der Bergarbeiter
Stephan, welcher sich zunr Wortführer der Strei-
kenden aufgeschwungen, erhob nun seine Stimme.
„Kanreraden! Weil man uns verbietet, uns unter-
einander zu verständigen, weil man Gendarmen
hinter rms jagt, als wenn wir llebelthätcr wären,
so müssen wir uns hier im Walde versammeln.
Hier sind wir frei, hier sind wir zu Hanse, hier
kann Niemand uns ins Wort fallen, so wenig, wie
sie deir Vögeln und anderen Thiercn Schweigen
gebieten können!"
 
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