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2052

(Eine Alltagsgeschichte.

in Vorstadthaus und
unterm Dach
Lin kleines, dürftiges Gemach.

Stumm übers Zurren der Maschine
Beugt sich mit stillverhärmter Miene
Lin Mädchen jung und schlank und zart.
Geknickt von rauher Lebensfahrt,

Und lauscht in schmerzlichen Gedanken
Den Athemzügen einer Rranken.

Des Abends bleiches Flackerlicht
Zuckt über ein vergrämt Gesicht,
von dem mit kühlem Mund der Tod
Schon weggeküßt das letzte Roth,

Und wie sich's in die Rissen schmiegt,

In denen stumm die Rranke liegt.

So kann kein Auge unterscheiden.

Wer wohl das Weißere von Beiden.

Und draußen durch die Gassen schweift
Der wilde Sturm und heult und pfeift!

Lr wirft in seinem tollen Treiben
Den Schnee in Stößen an die Scheiben;

Lr rüttelt wie ein wildes Thier
An morschen Rahmen dort und hier
An einem altersschwachen Riegel,

Und droht des Dach's zerbrochne Ziegel,
Die nur mit Mühe widersteh'».

Bis auf den letzten fortzuweh'n.

Lmpor aus halbem Schlafe schrickt
Die kranke Mutter. Fragend blickt
Und suchend sie umher im Zimmer,

Lrhellt vom letzten Abendschimmer,

Und fragend irrt und wie ein Hauch,
voll Innigkeit, doch ängstlich auch,

Durch das Gesurr das eine Wort
Zur ältern Schwester: „Life fort?"

Da hat die flinke Radel Rast —

Aus Bett der Mutter fliegt in Hast
Die Lmsigs und beugt sich nieder
Und flüstert sanft: „Gleich kommt sie wieder.
Mas wir geschafft in diesen Tagen,

Hat sie zum Rausmann hingetragen.

Ich ließ sie gehen, da ihr's frommt.

Wenn an die Luft die Arme kommt;

Das Hemdennähen Ltich um Stich
Ist sie noch nicht gewöhnt wie ich
Und oft will dis Geduld ihr schwinden.
Doch mit der Zeit wird sich das finden.

Ich weiß, wie mir der Zeiger kroch
Zuerst — und dann, dann gab sich's doch!"

Da naht's, halb Schritt und halb im Lauf,

Die Rammerthüre stößt es auf

Und springt ins Zimmer, wie ein Reh,

Und schüttelt lächelnd ab den Schnee
Nit einem Ruck dann von der Hülle
Der braunen, krausen Lockenfülle,

Und eine dichtbeschneite Last
Wirft's auf den Tisch in froher Hast
Und sprudelt ungestüm heraus:

„Run ist die ärgste Plage aus!

Auf ein paar Wochen ist's vorbei
Mit dieser Hemdennäherei,

Die langsam mich um den verstand
Gebracht und an des Wahnsinns Rand.

Nit diesen Säumen, diesen Falten
War es nicht länger auszuhalten;

Man muß dabei zu Grunde gehn!

Das hat der Rausmann eingesehn;

Lr meinte: „Schad' ums junge Leben!"

Und — Schürzen hat er mir gegeben.
Adrette Schürzchen, klein und groß —

Da habt ihr einen ganzen Stoß!

Ich denke doch, das soll genügen.

Run schaff' ich wieder mit Vergnügen,

Der Gang, der hat uns Glück gebracht —
Sagt, Hab' ich das nicht gut gemacht?"

Und Life sieht sich lächelnd um.

Doch die Gefragten bleiben stumm;

Lin matter Seufzer, hörbar kaum.

Irrt flüchtig durch den kleinen Raum,

Und ein erschrockenes Lrbleichen
Will von der Schwester Stirn nicht weichen.
Was sie dann sagt, klingt sanft und gut.
Doch hoffnungslos und ohne Muth:

„Ja, Rind, das möchte Alles sein;

Das Hemdennäh'n bringt wenig ein,

Ls ist ein kümmerlicher Lohn,

Indeß zum Leben reicht er schon.

Wenn wir genug die Rächte kürzen.

Doch reicht er nimmermehr bei Schürzen.
Wie wir das Dasein fristen sollen
Wenn wir uns dazu wenden wollen.

Und wär's ein Dasein noch so schlicht
Und arm — mein Rind, das weiß ich nicht.
Warum hast du mich nicht gefragt?

Das hätt' ich offen dir gesagt.

Daß uns die Arbeit vorgeschrieben
Und daß uns keine Wahl geblieben.
Umsonst, nach Rettung auszuspäh'n —

Wir, Rind, wir müssen Hemden näh'n."

Die Rleine, erst ein Bild der Lust,

Senkt tief das Röpfchen auf die Brust
Und schwere, bitt're Thränen rollen
Aus ihrem Aug', dem kummervollen.

Sie bittet leis: „Rieht böse sein!

Ich seh' ja meinen Fehler ein.

Und was dir Uebereilung scheint.

War doch von mir so gut gemeint."

Und zärtlich küßt von Herzensgrund
Helene sie aus Stirn und Mund
Und ihre Hand streicht fort und fort
Ihr über's Röpfchen ohne Wort,

Als trachte sie, was sie gelitten,

Ihr schweigend wieder abzubitten.

Dann setzt ihr Fuß das Rad in Lauf,

Sie nimmt die Arbeit wieder auf;

Und als sie so sich wieder fand,

Rimmt Llse auch ein Hemd zur Hand,

Und stillgefaßt und ohne Murren
Läßt sie das Rädchen hastig surren.
Zuweilen nur belauscht verstohlen
Ihr Vhr der Mutter Athemholen.
Geborgen in der Träume Hafen,

Scheint süß die Leidende zu schlafen.

Als habe von der Tual und Roth,

Der Sorge um das trock'ne Brot,

Die ihre Rinder so verstört.

Im Schlummer sie kein Wort gehört.

Der Zeiger weist auf Mitternacht,

Da ist die Rranke aufgewacht;

Mit einer Stimme, schwach von Leiden,
Mahnt liebevoll ihr Mund die Leiden,

Run endlich auch zur Ruh' zu gehn.

Doch nach dem Feuer noch zu sehn,

Daß sich die Wärme nicht verliere —

Ls sei so bitter kalt, sie friere.

Der Blick Helenes streift verstohlen
Den dürft'gen Rest der theuren Rohlen,
Doch greift zur Schaufel ihre Hand
Und nährt und schürt geschickt den Brand,
Bevor sie übers Bett der Rranken
Sich beugt in schmerzlichen Gedanken,

Um ihr, die Härtestes getragen.

Mit einem Ruß Gut' Nacht zu jagen.

Die Mutter zieht sie zu sich nieder,

Rüßt innig wieder sie und wieder,

Und wendet dann zu Llse sich
Mit gleicher Inbrunst mütterlich.

Als gelte es ein herbes Scheiden
Für lange Monden von den Beiden.

Und immer tiefer sinkt die Nacht,

Die kranke Mutter aber wacht.

Und plötzlich schleicht sie sich verstohlen

Zum Gfen hin auf leisen Sohlen;

Sie macht sich schweigend mit der schlaffen

Und welken Hand am Rohr zu schaffen.

Drauf streckt sie sich aufs Lager nieder.

Und tiefe Ruh' umfängt die Glieder.

* *

*

Ls fällt der Nachbarschaft im Lauf
Des vormittags die Stille auf.

Man klopft, es giebt kein Laut sich kund;
Geschäftig geht's von Mund zu Mund:
„Lin Unglück! Schnell zur Polizei,

Und holt den Schlosser auch herbei!"

Rur wenig Müh' hat seine Runst:

Das Zimmer ist voll Rohlendunst;

Gar reiche Lrnte hielt der Tod,

Doch bannte er auch alle Roth,

Denn allem Leid, das sie gedrückt.

Sind Drei auf immerdar entrückt. R, £.
 
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