„Ihr Kinder vergeht doch nie etwas Versprochenes. Nun ja, ich
habe nicht daran gedacht. Aber daS kann leicht nachgeholt werden.
Hier in dem Schränkchen ist ein kleiner Korb, da habe ich Vieles hinein-
geworfen. Sieh', hier ist es."
Das Kind fiel begierig über das kleine geflochtene Körbchen her
und wühlte in den zahlreichen Kupfer- und Silbermünzen. Nichts schien
sie zu befriedigen, die Kupfermünzen warf sie ohne weitere Beach-
tung gleich bei Seite, schließlich aber hob sie ein Thalerstück empor
und rief:
„Großvater, den mußt Du mir geben, denn da steht ja Dein
Geburtsjahr drauf."
„Mein Geburtsjahr?"
rief der Alte erstaunt, „davon
bin ich ja selber noch nichts
gewahr worden. Zeig' ein-
mal her."
Er nahin den Thaler in
die Hand, ließ ihn jedoch
beinahe im nämlichen Augen-
blicke, als habe er glühendes
Metall erfaßt, in den Korb
zurückfallen und rief:
„Kind, diesen Thaler
kann ich Dir nicht geben,
den habe ich längst einem
Anderen versprochen, ich
wußte blos nicht, wo ich ihn
hingelegt hatte."
„O, Großpapa, Du er-
zählst mir Geschichten, Du
List blos zu geizig und sagst
doch immer, ich sei Dein
Eins und Alles. Nicht wahr,
Du giebst mir den Thaler?"
„Uni keinen Preis. Wähle
sonst was Du willst, nimm
meinetwegen Alles, aber den
Thaler bekommst Du nicht."
„Ach, Großpapa, ich
möchte ihn aber gerne haben;
komm' sei gut!"
„Nein,nein, es geht nicht."
„Aber dann bin ich böse
mit Dir."
„Und wenn Du böse
wirst, den Thaler kannst Du
nicht bekommen."
Stillschweigend glitt das Mädchen von den Knieen des Großvaters
herunter und eilte, ohne eine „gute Nacht" zu sagen, aus dem Zimmer.
Das ging dem Alten doch zu nahe ans Herz, er ergriff ein noch
ganz glänzendes Silberstück, ging damit nach der Thüre und rief:
„Elsbeth, sieh' hier den schönen Krönungsthaler!"
Das Kind drehte sich unr, nahm den Thaler und warf ihn, nach-
dem sie ihn einen Augenblick betrachtet, auf die Diele.
„So einen albernen Krönungsthaler, den blos Dienstmädel tragen,
nee, Großpapa, Du mußt mich doch nicht für gar so dunim ansehen."
Damit lief sie in ihre Kammer, und der Alte kehrte an seinen Platz
zurück, mißmuthig den bei Seite gelegten Thaler wieder in die Hand
nehmend. Er sah ihn lange an, als läse er etlvas Seltsames darauf.
Still war's, fast unheimlich in dem weiten Raum.
Keine Rauchwolken mehr, aber Erinnerungen, ähnlich jcnyt, stiegen
vor ihm auf, als er deutlich auf dem matten Silbergrnnde, dicht bei
dem Kopfe des Landesfürsten, unter dessen Regierung das Geldstück
geprägt worden, ein Kreuz gezeichnet sah. O dieses Kreuz, für das
Auge eines gleichgiltigen Betrachters fast unsichtbar geworden, wie leuchtete
es ihm entgegen, wie ließ es eine längstvergangene Zeit wieder in ihm
aufleben!
Hungrig und müd' vom langen Wandern war er als achtzehn-
jähriger Handwcrksgesell in einer Herberge cingckchrt, „bewaffnet" nur
mit den wenigen zusammengefochtenen Groschen, die allenfalls für ein
dürftiges Abendbrot, für die Streu zum Nachtlager und vielleicht noch
für ein Kännchen Cichorienkaffee und Brötchen am Morgen ausznreichcn
versprachen. Vielleicht fiel die Ernte deS nächsten Tages etwas reich-
licher aus, vielleicht auch nicht, jedenfalls mußte er weiter, immer weiter,
bis ihn ein günstiger Zufall der unerträglichen Arbeitslosigkeit und ihrem
Elend entriß.
Jetzt bemitleidete er sich selbst und die anderen „dummen Kerle",
die so wie er gelebt und noch lebten. Da fiel sein Blick wieder auf
den Thaler, der förmlich an seinen Fingern zu kleben schien.
Diesen selben Thaler hatte er, als er am anderen Morgen das
ganz vereinsamte Gastzimmer betreten, auf einem Tische liegen sehen.
Ein Blick nach dem Fenster
belehrte ihn, daß draußen
der Schnee in dichten Flocken
niederging und das Weiter-
wandern zu einem sehr be-
schwerlichen zu machen drohte.
Im nächsten Augenblicke
war der Thaler in seiner'
Tasche geborgen. Der Thaler
mußte doch auch eine Her-
berge haben und konnte keine
bessere finden.
Und nun fort nach einem
möglichst entfernten Platz
am Fenster.
Ein anderer, schnee-
bedeckter Wanderbursche tritt
pustend und stampfend herein.
Das übliche Begrüße:: und
Fragen nach Namen, Beruf,
Geburtsort, Wanderziel und
Arbeitsaussichten ist kaum zri
Ende, als der Wirth mit
einem vierschrötigen, dick-
bäuchigen Mann eintritt, der
sich alsbald als Vieh- und
speziellSchweinehändler kund-
giebt und an dein Tische Platz
nimnrt, auf dem der Thaler
neben einen: „Stampfer"
Branntwein gelegen.
„Jakob", ruft er nun
gleich, „Du hast mir auf
meinen Thaler noch nicht
herausgegeben!"
„Ach Du mit Deinen
faulen Witzen," entgegnet der Wirth lachend.
„Nein, diesmal in: Ernst, ich habe einen Thaler auf den Tisch
gelegt, ich kann mich nicht irren, denn ich hatte nur ein solches Stück
im Beutel, und hier — sieh' selber."
„Du wirst ihn dann wieder eingesteckt haben, als mir hinaus-
gingen, um die Ferkel zu tarircn."
„Wahrhaftig nicht; sieh' doch, in keiner meiner Taschen ist eine
Spur davon. Nimm nur Deine Kasse vor."
„Da sind verschiedene Thalerstücke drin, wie sollte ich den Deinen
finden? Aber ich Iveiß bestimmt, Du hast mir keinen gegeben."
„Na, bei: meinigen kannst Du leicht finden, denn ich zeichne, seit-
dem ich einmal einen sehr ärgerlichen Streit gehabt, alle Thaler, die
durch meine Hände gehen, mit einem Kreuz dicht beim Kopfe des Groß-
herzogs."
„So, nun dann überzeuge Dich selbst. Hier habe ich nur zwei
Thalerstücke und keine Spur von einen: Kreuz dabei."
„Herr Wirth, ich bitte, ich will bezahlen!" rief jetzt der später
eingetretene Handwerköbnrsche und legte ein Thalerstück vor sich auf
den Tisch.
Zur selben Zeit erhob sich vor den: Gasthofe ein Heidenlärm.
Zwei oder drei Fuhrleute waren wegen des Platzes aneinander gerathen
und Unbetheiligte mengten sich, wie gewöhnlich, hinein, um den Krawall
ärger zu machen.
,Großpapa, Du wolltest mir doch zu meinem Geburtstag eine alte Silbermünze für meine
Sammlung schenken."
habe nicht daran gedacht. Aber daS kann leicht nachgeholt werden.
Hier in dem Schränkchen ist ein kleiner Korb, da habe ich Vieles hinein-
geworfen. Sieh', hier ist es."
Das Kind fiel begierig über das kleine geflochtene Körbchen her
und wühlte in den zahlreichen Kupfer- und Silbermünzen. Nichts schien
sie zu befriedigen, die Kupfermünzen warf sie ohne weitere Beach-
tung gleich bei Seite, schließlich aber hob sie ein Thalerstück empor
und rief:
„Großvater, den mußt Du mir geben, denn da steht ja Dein
Geburtsjahr drauf."
„Mein Geburtsjahr?"
rief der Alte erstaunt, „davon
bin ich ja selber noch nichts
gewahr worden. Zeig' ein-
mal her."
Er nahin den Thaler in
die Hand, ließ ihn jedoch
beinahe im nämlichen Augen-
blicke, als habe er glühendes
Metall erfaßt, in den Korb
zurückfallen und rief:
„Kind, diesen Thaler
kann ich Dir nicht geben,
den habe ich längst einem
Anderen versprochen, ich
wußte blos nicht, wo ich ihn
hingelegt hatte."
„O, Großpapa, Du er-
zählst mir Geschichten, Du
List blos zu geizig und sagst
doch immer, ich sei Dein
Eins und Alles. Nicht wahr,
Du giebst mir den Thaler?"
„Uni keinen Preis. Wähle
sonst was Du willst, nimm
meinetwegen Alles, aber den
Thaler bekommst Du nicht."
„Ach, Großpapa, ich
möchte ihn aber gerne haben;
komm' sei gut!"
„Nein,nein, es geht nicht."
„Aber dann bin ich böse
mit Dir."
„Und wenn Du böse
wirst, den Thaler kannst Du
nicht bekommen."
Stillschweigend glitt das Mädchen von den Knieen des Großvaters
herunter und eilte, ohne eine „gute Nacht" zu sagen, aus dem Zimmer.
Das ging dem Alten doch zu nahe ans Herz, er ergriff ein noch
ganz glänzendes Silberstück, ging damit nach der Thüre und rief:
„Elsbeth, sieh' hier den schönen Krönungsthaler!"
Das Kind drehte sich unr, nahm den Thaler und warf ihn, nach-
dem sie ihn einen Augenblick betrachtet, auf die Diele.
„So einen albernen Krönungsthaler, den blos Dienstmädel tragen,
nee, Großpapa, Du mußt mich doch nicht für gar so dunim ansehen."
Damit lief sie in ihre Kammer, und der Alte kehrte an seinen Platz
zurück, mißmuthig den bei Seite gelegten Thaler wieder in die Hand
nehmend. Er sah ihn lange an, als läse er etlvas Seltsames darauf.
Still war's, fast unheimlich in dem weiten Raum.
Keine Rauchwolken mehr, aber Erinnerungen, ähnlich jcnyt, stiegen
vor ihm auf, als er deutlich auf dem matten Silbergrnnde, dicht bei
dem Kopfe des Landesfürsten, unter dessen Regierung das Geldstück
geprägt worden, ein Kreuz gezeichnet sah. O dieses Kreuz, für das
Auge eines gleichgiltigen Betrachters fast unsichtbar geworden, wie leuchtete
es ihm entgegen, wie ließ es eine längstvergangene Zeit wieder in ihm
aufleben!
Hungrig und müd' vom langen Wandern war er als achtzehn-
jähriger Handwcrksgesell in einer Herberge cingckchrt, „bewaffnet" nur
mit den wenigen zusammengefochtenen Groschen, die allenfalls für ein
dürftiges Abendbrot, für die Streu zum Nachtlager und vielleicht noch
für ein Kännchen Cichorienkaffee und Brötchen am Morgen ausznreichcn
versprachen. Vielleicht fiel die Ernte deS nächsten Tages etwas reich-
licher aus, vielleicht auch nicht, jedenfalls mußte er weiter, immer weiter,
bis ihn ein günstiger Zufall der unerträglichen Arbeitslosigkeit und ihrem
Elend entriß.
Jetzt bemitleidete er sich selbst und die anderen „dummen Kerle",
die so wie er gelebt und noch lebten. Da fiel sein Blick wieder auf
den Thaler, der förmlich an seinen Fingern zu kleben schien.
Diesen selben Thaler hatte er, als er am anderen Morgen das
ganz vereinsamte Gastzimmer betreten, auf einem Tische liegen sehen.
Ein Blick nach dem Fenster
belehrte ihn, daß draußen
der Schnee in dichten Flocken
niederging und das Weiter-
wandern zu einem sehr be-
schwerlichen zu machen drohte.
Im nächsten Augenblicke
war der Thaler in seiner'
Tasche geborgen. Der Thaler
mußte doch auch eine Her-
berge haben und konnte keine
bessere finden.
Und nun fort nach einem
möglichst entfernten Platz
am Fenster.
Ein anderer, schnee-
bedeckter Wanderbursche tritt
pustend und stampfend herein.
Das übliche Begrüße:: und
Fragen nach Namen, Beruf,
Geburtsort, Wanderziel und
Arbeitsaussichten ist kaum zri
Ende, als der Wirth mit
einem vierschrötigen, dick-
bäuchigen Mann eintritt, der
sich alsbald als Vieh- und
speziellSchweinehändler kund-
giebt und an dein Tische Platz
nimnrt, auf dem der Thaler
neben einen: „Stampfer"
Branntwein gelegen.
„Jakob", ruft er nun
gleich, „Du hast mir auf
meinen Thaler noch nicht
herausgegeben!"
„Ach Du mit Deinen
faulen Witzen," entgegnet der Wirth lachend.
„Nein, diesmal in: Ernst, ich habe einen Thaler auf den Tisch
gelegt, ich kann mich nicht irren, denn ich hatte nur ein solches Stück
im Beutel, und hier — sieh' selber."
„Du wirst ihn dann wieder eingesteckt haben, als mir hinaus-
gingen, um die Ferkel zu tarircn."
„Wahrhaftig nicht; sieh' doch, in keiner meiner Taschen ist eine
Spur davon. Nimm nur Deine Kasse vor."
„Da sind verschiedene Thalerstücke drin, wie sollte ich den Deinen
finden? Aber ich Iveiß bestimmt, Du hast mir keinen gegeben."
„Na, bei: meinigen kannst Du leicht finden, denn ich zeichne, seit-
dem ich einmal einen sehr ärgerlichen Streit gehabt, alle Thaler, die
durch meine Hände gehen, mit einem Kreuz dicht beim Kopfe des Groß-
herzogs."
„So, nun dann überzeuge Dich selbst. Hier habe ich nur zwei
Thalerstücke und keine Spur von einen: Kreuz dabei."
„Herr Wirth, ich bitte, ich will bezahlen!" rief jetzt der später
eingetretene Handwerköbnrsche und legte ein Thalerstück vor sich auf
den Tisch.
Zur selben Zeit erhob sich vor den: Gasthofe ein Heidenlärm.
Zwei oder drei Fuhrleute waren wegen des Platzes aneinander gerathen
und Unbetheiligte mengten sich, wie gewöhnlich, hinein, um den Krawall
ärger zu machen.
,Großpapa, Du wolltest mir doch zu meinem Geburtstag eine alte Silbermünze für meine
Sammlung schenken."