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2062

**> Walter (Lrane. «

3)ie moderne Arbeiterbewegung ergreift immer breitere Schichten der
Gesellschaft. Wenn sie auch vor allein die Masse der Armen und Ent-
erbten umfaßt, so liefern doch alle Stände einzelne Männer oder Frauen,
die sich über ihre persönlichen Interessen und Standesvorurtheile hinweg-
sctzen und für unsere Sache Zeugniß ablcgcn. Schriftsteller und Gelehrte
sind es meist, welche diesen Muth der Ueberzeugung besitzen, seltener die
Angehörigen anderer Stände und wohl am Seltensten die Vertreter der
bildenden Kunst.

Ilm so erfreulicher ist die Erscheinung eines Künstlers in unseren
Reihen, der nicht blos aus Liebhaberei mitmarschirt, sondern desscir ganzes
Leben und Schaffen von sozialistischen Ideen erfüllt ist und der diesen
Ideen in seinen Werken sowohl wie in Wort und Schrift rückhaltlos !
Ausdruck giebt.

Ich spreche von unserem englischen
Genossen Walter Crane, der als
Künstler in seinem Vaterlairde eine
anerkannt hervorragende Stellung ein-
nimmt und der in den letzten Jahren
durch die Ausstellung seiner Arbeiten
in Amerika und Europa unter den
Kunstverständigen bedeutendes Auf-
sehen erregt und sich viele Freunde
und Verehrer erworben hat.

Jni Jahre 1845 zu Liverpool ge-
boren, machte er seine ersten Studien
unter seinem Vater, Thomas Crane,
welcher einen guten Ruf als Miniatur-
maler genoß. Nach dem Tode des-
selben auf die eigene Kraft verwiesen,
trat Crane bei I. W. Linton, dem
bedeutenden Holzschneider und Char-
tisten, in die Lehre. An der Seite
dieses idealen und revolutionären
Meisters hat er nicht nur die Elemente
der Illustration kennen gelernt, son-
dern wahrscheinlich auch die Grund-
lagen zu seiner freien Weltanschauung
gelegt. Seine Künstlerlanfbahn war
keine zu glatte. Von seiner Lehrzeit
an mußte er sich sein Brot verdienen
und es blieb ihm nur wenig Zeit für
seine Studien, denen er sich mit rast-
losein Eifer hingab. Schon mit zivanzig
Jahren erscheint er als Illustrator in
der Oeffentlichkeit mit bunten Kinder-
büchern, in deren Herstellung er im
Laufe der Jahre Meister geworden ist.

Dieselben bilden, von seinem „Song of
Sixpence“ (Fünfgroschenlied), 1865,
bis zu seinen neriestcn Publikationen auf diesem Gebiete, eine ununter-
brochene Kette von reizenden humorvollen Arbeiten, mit denen er sich
nicht blos die Kinderwelt zu Dank verpflichtet hat. Außerdem entwickelte
er frühzeitig eine Neigung zum Dekorativen, die einen Grundzug aller
seiner Arbeiten bildet. Man hat ihn deshalb mit M. v. Schwind ver-
glichen und der Vergleich kann wenigstens in Bezug ans Crane's Bedeutung
in der englischen Kunst als zutreffend bezeichnet werden. Wenn Schwind
bedeutender und weniger manierirt war als Crane, so war er entschieden
ärmer als dieser in dekorativer Richtung. Hier ist Crane in seinem
ureigensten Element und seine kleinsten Bilderbücher sind wahre Fund-
gruben von ornamentalen Schätzen. In allen seinen Werken, große
Gemälde nicht ausgenommen, ist das zeichnerische Element das vor-
herrschende, eine Thatsache, welche ihm in unserer photographisch-realisti-
schen Künstlergcneration, die Zeichnen und Komponiren als überwundenen
Standpunkt betrachtet, einen hervorragenden Platz sichert. Sein „Wett-
rennen der Stunden" ist in Bezug auf Komposition und Bewegung ein
Werk, das sich mit den Arbeiten der größten Künstler aller Zeiten
messen kann.

Und wie den alten Meistern ist ihm kein Gegenstand zu gering für
seine Kunst. Er hat für den Buchdrucker eine Unzahl von Initialen,
Kopfleisten und Randeinfassungen gezeichnet, prächtige und originelle
Muster für Tapeten entworfen und auch zum Modellirholz gegriffen, um
Vorbilder für den Töpfer, Metallarbeiter und Gipser zu schaffen.

Die deutschen Arbeiter kennen Crane aus seinem „Triumph der
Arbeit", der ideal bewegten Koniposition in der alten derben Holzschnitt-
linie eines Albrecht Dürer, während unsere englischen Genossen eine ganze
Reihe prächtiger Gedenkblätter von ihm besitzen.

Unser heutiges Bild zeigt uns OedipuS und die mörderische Sphinx,
halb Weib, halb Ungeheuer, den Schrecken Thebens, welche dem Wanderer
ein Rüthsel aufgiebt und ihn vernichtet, wenn er es nicht zu lösen vermag.
Oedipus löst das Rüthscl, stürzt die Sphinx in den Abgrund und wird
so zum Befreier seines Landes. Man geht wohl nicht fehl, wenn man
das Bild nicht blos als eine Illustration der alten griechischen Sage
betrachtet. Nach dem, was ich bereits vonr Künstler gesagt, drängt sich
uns eine andere und zwar sehr naheliegende Bedeutung des Gegenstandes

auf, trotzdem Oedipus kein Programm
auf dem Rücken trägt. (In einer der
nächsten Nummern werden wir ein
weiteres Blatt von W. Crane bringen,
und zwar eine Reproduktion des Ge-
mäldes „Die Brücke des Lebens".)

Crane ist nicht blos vielseitig als
schaffender Künstler, er ist auch ein
bedeutender, reichbegabter Mensch.
Sichern ihm seine Gedichte auch nicht
den Lorbeer des Dichters, so zeigen sie
doch eine tief empfindende Natur und
ein feines Formgefühl. Als Redner
über Kunst ist er ungemein fesselnd,
und durch die Exempel, die er dabei
mit kühner Hand auf die Leinwand
zeichnet, äußerst lehrreich. Als Schrift-
steller wirkt er auf demselben Gebiete
anregend und befruchtend. Eine seiner
bedeutendsten Abhandlungen: „Die

Ansprüche der dekorativen Kunst"
enthält ein sozialistisch-ästhetisches
Glaubensbekenntniß, wie es vollstän-
diger und rückhaltloser nicht gedacht
werden kann. Sein künstlerisches
Schaffen deckt sich vollständig mit
seinen Grundsätzen. So wie ihm in
seinem Leben keine nützliche Han-
tirung reiz- oder kunstlos scheint, so
geht er in diesem Buche vor allem
mit überzeugender Beredsamkeit daran,
die künstlich anfgerichtete Schranke
zwischen Kunst und einfacher körper-
licher Arbeit umzustoßen. Kunst und
Arbeit greifen in aller nrcnschlichen
Thätigkeit ineinander. Es ist so viel
Kunst oder Geschicklichkeit in der ein-
fachsten Arbeit — sofern sie zweckmäßig ausgcführt wird — und so viel
körperliche Anstrengung in jeder Art von Kunst, daß es fast unmöglich
wird, die Linie zu ziehen, wo die Arbeit aufhört und die Kunst beginnt.
Und von einer Unterscheidung von Kunst und Handwerk kann für ihn noch
weniger die Rede sein. Jeder Handwerker, der in seiner Arbeit aufgeht,
ist ihm Künstler.

„Ob er den Meißel führt, den Hammer oder den Pinsel, ob er an der
Esse steht oder an der Hobelbank, in der Werkhütte, ans dem Gerüste oder im
Atelier: wenn er in seiner Arbeit lebt und das Geschick besitzt, etwas Schönes
hervorzubringcn, dann ist er Künstler im wahren Sinne des Worts.

„Auf dem Handwerk beruht alle Kunst und die Probe auf die Kunst
irgend eines Zeitalters muß in jenen zeichnerischen Künsten gesucht werden,
welche zur Verschönerung des täglichen Lebens und zum allgemeinen Genuß
der Gesellschaft beitragen. — Wir müssen tief im Leben des Volkes
graben und aus der schlichten Sprache der einfachen Arbeit und dem
Handwerk muß das Gebäude der Kunst errichtet werden. — Ohne diese
Elemente können wir in der Kunst nichts haben, als etwa glänzende
Spielzeuge. — Alle Versuche zur Wiederbelebung der Kunst ohne Rück-
sicht auf die ökonomische Lage des Volks müssen deshalb scheitern. Sie
gleichen dein Versuche des Gärtners, einen Baunr mit der Krone, statt
mit der Wurzel in den Boden zu pflanzen."

Auf die moderne Kunst, die nichts mit dem Volke gemein hat und
nach dem Geschmacke der Besitzenden arbeitet, ist Crane schlecht zu sprechen.
 
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