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Bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen trug man Stan-
darten mit Stellen aus dem „Kommunistischen Manifest" und dem Neuen
Testament nebeneinander und begrüßte sie mit gleichem Enthusiasmus.
Die von den Verbänden ansstrahlende Bewegung versprach eine Macht
zu werden, welche die Satten und Herrschenden binnen Kurzem fürchten
mußten. Crispi wartete nur ans einen Vorwand, um die „Fasci" zu zer-
schmettern. Diesen
Vorwand lieferten die
Hungerrevolten.
Während Grundher-
ren und Behörden
alles thaten, das ver-
elendende Volk zu
reizen, die „Fasci"
durch ungerechtfer-
tigte Maßregelungen
und Lockspitzel von
dem Boden der Gesetz-
lichkeit und zuGewalt-
thaten zu drängen,
waren es die führen-
den „Aufhetzer",
welche durch Mah-
nungen zu kaltblüti-
ger Besonnenheit das
Ungestüm und die be-
greifliche Erbitterung
der Masse zügelten.
Schließlich hielt die
noch nicht genügend
geklärte Einsicht und
die junge Disziplin
dem Drängen der
Verzweiflung nicht
Stand.
Einsichtige erklär-
ten, nur tiefgreifende
Reformen könnten
Sizilien die Ruhe
wiedergeben. Crispi
dagegen stillte den
Schrei nach Arbeit,
Brot und Gerechtig-
keit mit blauen Boh-
nen. Die „Fasci",
jene Keimstätten
neuen geschichtlichen
Lebens, wurden auf-
gelöst, ihre Mitglieder
gcmaßrcgelt und ver-
folgt, ihre Führer in
die schauerlichste Ker-
kerhaft geschlagen.
Gegen die aus acht
Personen bestehende
Parteileitung, das
Zentralkomitc der
„Fasci", kehrte sich
Crispi mit dem Haß
seiner Klasse und mit
dem persönlichen Haß
des Verräthers gegen
überzcugungstreue
Männer. Mit raffi-
nirtcr Grausamkeit
wüthete er insbeson-
dere gegen De Fclice,
den Abgeordneten von Catania. Das Kriegsgericht zu Palermo sprach nur
ein Mitglied der Parteileitung frei: Cassisa, die übrigen verurtheilte es als
gemeine Verbrecher. Durch die Wahlen quittirte das italienische Volk in
würdigster Weise über die Richtersprüche. In vielen Wahlkreisen wurden
die „Zuchthäusler" als Protcstkandidaten gegen die crispinische Schand-
wirthschaft aufgestellt und allenthalben fielen Stimmen für sie, zum Theil
in sehr beträchtlicher Anzahl. De Fclice, der in Folge der nichtswürdigen
Behandlung schwer Erkrankte, erhielt 25 000 Stimmen, Barbato, der Typus
eines politischen Märtyrers, gar 35000. Verro, der frühere Gemcinde-
beamte, eine feurige und stolze Apostelnatnr, erlag mit einer ansehnlichen
Minorität. Dr. Barbato, der als Arzt, Freund und Erzieher der „Vater
seiner Heimath" geworden war und hier vergöttert wurde, erhielt in
Mailand und Cesena ein Mandat. Bosco, der bereits als fünfzehnjähriger
Jüngling voll Begeisterung und Selbstaufopferung für den Sozialismus
stritt, siegte in Palermo bei den Stichwahlen trotz schamlosen Wahlschachers
und unerhörter Ge-
waltmaßregeln. In
Catania bezeugten die
Bürger durch De Fe-
lice's Wahl, daß der
„genicine Verbrecher"
nach wie vor ihr vol-
les Vertrauen besaß.
Allein wie sich die
Kcrkerthore für die
„Ucbelthätcr" gele-
gentlich der Amnestie
des 14. März nicht
geöffnet hatten, so
blieben sie auch für
die erwählten Volks-
vertreter verschlossen.
Die feile Kammer-
majorität apportirte
dem Bankschwindler
und Ordensschacherer
Crispi die Annulli-
rung der betreffenden
Mandate. Das Volk
jedoch hielt bei den
dadurch nöthig ge-
wordenen Nachwah-
len wieder und wieder
an den „Zuchthäus-
lern" fest, als an den
Männern seines Ver-
trauens. Der 20.Sep-
tember, der als der
fünfundzwanzigste
Jahrestag der Be-
setzung Roms durch
die königlichen Trup-
pen mit besonderem
Gepränge als Na-
tionalfest gefeiert
wurde, brachte nur
eine theilwcise Amne-
stie. Der crispinischen
Freiheit wurden nur
die „politischen Ver-
brecher" wicderge-
geben, welche nicht
mehr als zehn Jahre
im Kerker schmachten
sollten. Für Häft-
linge letzterer Art
wurde ivie am 14.
März die Strafzeit
uin ein weiteres Drit-
tel herabgesetzt. Dem-
nach hatDeFelice noch
vier Jahre sechs Mo-
nate im Zuchthaus zu
verbüßen, Verro vier
Jahre, Bosco und
Barbato je zwei
Jahre sechs Monate. Martern physischer und psychischer Art haben
De Felice's Gesundheit aufgerieben, voraussichtlich wird er für seine Ideale
nur noch sterben, nie wieder kämpfen können. Und ob nicht auch für
seine Schicksalsgenossen frühzeitig das Wort gelten wird: „Welch reicher
Geist ist hier zerstört", wer vermag dafür zu bürgen. In unvergleich-
lichem Glanze werden die Namen der Märtyrer hinüberleuchten bis in
die Zeit, wo das sizilianische Volk völlig zielklar seine „Schlacht am
Birkcnbaume" schlügt, das Reich der Gerechtigkeit gründet, auf das es
hoffen, an das es glauben lernte.
Francesco Lassifa, Student aus Crapani, freigesprochen. 2. Nicola Barbato. Arzt in Piana de Grcci, \2 Jahre
Zuchthaus. 3. Giaconro Montalto, Advokat in Crapani, ^0 Jahre Zuchthaus. 4- Nicola Petrina, Schriftsteller in
Messina, 3 Jahre tzaft. 5. Giuseppe Giuffrida de Felice, Abgeordneter für Latania, 18 Jahre Zuchthaus.
6. Gaetano Benzi, Bauer in Larpi, 2 Jahre Haft. 7. Garibaldi Bosco, Buchhalter in Palermo, \2 Jahre Zuchthaus.
8. Bernardino Berro, Angestellter in Lorleone, ^6 Jahre Zuchthaus.
Bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen trug man Stan-
darten mit Stellen aus dem „Kommunistischen Manifest" und dem Neuen
Testament nebeneinander und begrüßte sie mit gleichem Enthusiasmus.
Die von den Verbänden ansstrahlende Bewegung versprach eine Macht
zu werden, welche die Satten und Herrschenden binnen Kurzem fürchten
mußten. Crispi wartete nur ans einen Vorwand, um die „Fasci" zu zer-
schmettern. Diesen
Vorwand lieferten die
Hungerrevolten.
Während Grundher-
ren und Behörden
alles thaten, das ver-
elendende Volk zu
reizen, die „Fasci"
durch ungerechtfer-
tigte Maßregelungen
und Lockspitzel von
dem Boden der Gesetz-
lichkeit und zuGewalt-
thaten zu drängen,
waren es die führen-
den „Aufhetzer",
welche durch Mah-
nungen zu kaltblüti-
ger Besonnenheit das
Ungestüm und die be-
greifliche Erbitterung
der Masse zügelten.
Schließlich hielt die
noch nicht genügend
geklärte Einsicht und
die junge Disziplin
dem Drängen der
Verzweiflung nicht
Stand.
Einsichtige erklär-
ten, nur tiefgreifende
Reformen könnten
Sizilien die Ruhe
wiedergeben. Crispi
dagegen stillte den
Schrei nach Arbeit,
Brot und Gerechtig-
keit mit blauen Boh-
nen. Die „Fasci",
jene Keimstätten
neuen geschichtlichen
Lebens, wurden auf-
gelöst, ihre Mitglieder
gcmaßrcgelt und ver-
folgt, ihre Führer in
die schauerlichste Ker-
kerhaft geschlagen.
Gegen die aus acht
Personen bestehende
Parteileitung, das
Zentralkomitc der
„Fasci", kehrte sich
Crispi mit dem Haß
seiner Klasse und mit
dem persönlichen Haß
des Verräthers gegen
überzcugungstreue
Männer. Mit raffi-
nirtcr Grausamkeit
wüthete er insbeson-
dere gegen De Fclice,
den Abgeordneten von Catania. Das Kriegsgericht zu Palermo sprach nur
ein Mitglied der Parteileitung frei: Cassisa, die übrigen verurtheilte es als
gemeine Verbrecher. Durch die Wahlen quittirte das italienische Volk in
würdigster Weise über die Richtersprüche. In vielen Wahlkreisen wurden
die „Zuchthäusler" als Protcstkandidaten gegen die crispinische Schand-
wirthschaft aufgestellt und allenthalben fielen Stimmen für sie, zum Theil
in sehr beträchtlicher Anzahl. De Fclice, der in Folge der nichtswürdigen
Behandlung schwer Erkrankte, erhielt 25 000 Stimmen, Barbato, der Typus
eines politischen Märtyrers, gar 35000. Verro, der frühere Gemcinde-
beamte, eine feurige und stolze Apostelnatnr, erlag mit einer ansehnlichen
Minorität. Dr. Barbato, der als Arzt, Freund und Erzieher der „Vater
seiner Heimath" geworden war und hier vergöttert wurde, erhielt in
Mailand und Cesena ein Mandat. Bosco, der bereits als fünfzehnjähriger
Jüngling voll Begeisterung und Selbstaufopferung für den Sozialismus
stritt, siegte in Palermo bei den Stichwahlen trotz schamlosen Wahlschachers
und unerhörter Ge-
waltmaßregeln. In
Catania bezeugten die
Bürger durch De Fe-
lice's Wahl, daß der
„genicine Verbrecher"
nach wie vor ihr vol-
les Vertrauen besaß.
Allein wie sich die
Kcrkerthore für die
„Ucbelthätcr" gele-
gentlich der Amnestie
des 14. März nicht
geöffnet hatten, so
blieben sie auch für
die erwählten Volks-
vertreter verschlossen.
Die feile Kammer-
majorität apportirte
dem Bankschwindler
und Ordensschacherer
Crispi die Annulli-
rung der betreffenden
Mandate. Das Volk
jedoch hielt bei den
dadurch nöthig ge-
wordenen Nachwah-
len wieder und wieder
an den „Zuchthäus-
lern" fest, als an den
Männern seines Ver-
trauens. Der 20.Sep-
tember, der als der
fünfundzwanzigste
Jahrestag der Be-
setzung Roms durch
die königlichen Trup-
pen mit besonderem
Gepränge als Na-
tionalfest gefeiert
wurde, brachte nur
eine theilwcise Amne-
stie. Der crispinischen
Freiheit wurden nur
die „politischen Ver-
brecher" wicderge-
geben, welche nicht
mehr als zehn Jahre
im Kerker schmachten
sollten. Für Häft-
linge letzterer Art
wurde ivie am 14.
März die Strafzeit
uin ein weiteres Drit-
tel herabgesetzt. Dem-
nach hatDeFelice noch
vier Jahre sechs Mo-
nate im Zuchthaus zu
verbüßen, Verro vier
Jahre, Bosco und
Barbato je zwei
Jahre sechs Monate. Martern physischer und psychischer Art haben
De Felice's Gesundheit aufgerieben, voraussichtlich wird er für seine Ideale
nur noch sterben, nie wieder kämpfen können. Und ob nicht auch für
seine Schicksalsgenossen frühzeitig das Wort gelten wird: „Welch reicher
Geist ist hier zerstört", wer vermag dafür zu bürgen. In unvergleich-
lichem Glanze werden die Namen der Märtyrer hinüberleuchten bis in
die Zeit, wo das sizilianische Volk völlig zielklar seine „Schlacht am
Birkcnbaume" schlügt, das Reich der Gerechtigkeit gründet, auf das es
hoffen, an das es glauben lernte.
Francesco Lassifa, Student aus Crapani, freigesprochen. 2. Nicola Barbato. Arzt in Piana de Grcci, \2 Jahre
Zuchthaus. 3. Giaconro Montalto, Advokat in Crapani, ^0 Jahre Zuchthaus. 4- Nicola Petrina, Schriftsteller in
Messina, 3 Jahre tzaft. 5. Giuseppe Giuffrida de Felice, Abgeordneter für Latania, 18 Jahre Zuchthaus.
6. Gaetano Benzi, Bauer in Larpi, 2 Jahre Haft. 7. Garibaldi Bosco, Buchhalter in Palermo, \2 Jahre Zuchthaus.
8. Bernardino Berro, Angestellter in Lorleone, ^6 Jahre Zuchthaus.