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—»—. 2081

Der Landagitator.

Ein Sonntagsmorgen iin bayerischen Hochgebirge. Von den bewal-
deten Höhen fegte ein frischer Herbstwind zu Thale hernieder; um die
zackigen Gipfel der Bergriesen zogen sich dünne weiße Wolkcnschleier,
die grünen Matten lagen im Sonnenschein. Die Getreidefelder waren
schon abgemäht, doch das Vieh befand sich noch auf der Alm.

Auf den Veranden der im Schweizerstil gebauten Häuschen erschienen
schmucke Dirndeln in der kleidsamen Tracht des Gebirges; vorüber-
wanderndc Burschen grüßten sie mit einem Juchzer.

Auch der alte Protzenbaner hatte sich in den landesüblichen Sonn-
tagsstaat geworfen. Er trat ans seinem Gehöft und lenkte in die Dorf-
straße ein. Die Leute grüßten ihn respektvoll, denn er war der reichste
Grundbesitzer in der ganzen Gegend.

Als er sich dem Gasthof zur „Waldrose" näherte, siel sein Blick
auf eine Gruppe von Menschen, die einen dort angeschlagenen Zettel
lasen oder eifrig dispntirten.

„Waö is?" fragte er, nähertretend, in seiner lakonischen Weise.

„Versammlung is!" wurde geantwortet; „d'Sozi keinmal"

„Hoho!" rief der Protzenbauer, „was wär' denn dös?"

„Da steht's 'druckt"; mit diesen Worten verwies man ihn auf
den angeschlagenen Zettel, welcher verkündigte, daß heute Nachmittag
im Saale zur „Waldrose" über die Lage der Landwirthschaft gesprochen
werden solle und ein Redner des sozialdemokratischen Landeskomites
als Referent erscheinen werde.

Der Protzenbauer schüttelte sein gewichtiges Haupt.

„Das is fei' nir", sagte er ernst, „mit solchene Sachen lassen wir
uns nit ein. Da kimmt nir guats nach! Die Sozi'soll'n in Müncha
blcib'n, da is eh' der Teuft los, wir ain Land woll'n unser Ruh hoab'n."

„Recht hast!" stimmte ein alter Bauer ein.

Die Jüngeren schwiegen, die Alten beriethen, was zu thun sei.
Der Protzenbauer fand die Sache sehr einfach, er schlug vor:

„Wir lassen den Sozi aus der Stadt halt uit eini! Wir drchn sei'
Wagerl um und schicken',, hin, wohin er mag, aber nit in unfern Ort."

„Der hat's gleich", spottete ein junger Bauer.

Die Alten aber fanden den Vorschlag des Protzenbauers ganz
vernünftig. Man wußte, daß der sreinde Agitator, dessen Raine übrigens
auf dem Zettel nicht genannt war, mit dem Mittagszuge an der
nächsten Eisenbahnstation anlangen müsse. Von dort war noch eine
gute Strecke zu Wagen zurückzulegen. Wenn »,an dem Wagen entgegen-
ging und seinem Insassen deutlich machte, daß man seinen Besuch nicht
wünsche, dann war das ganze „Unglück" leicht abgewandt.

Es waren nicht Alle mit diesem Verfahren einverstanden, aber die alten
Bauern pflegten über ihre Beschlüsse keine Volksabstiinmung herbeizuführen.
In der zweiten Rachniittagsstunde trafen sie sich, noch durch einige hand-
feste Knechte verstärkt, in einer Schenke, welche weit vor dem Orte an der
Straße lag. Hier hatte der von der Bahnstation nach den Gebirgsorten regel-
mäßig verkehrende Stellwagen einen kurzen Aufenthalt und die Reisenden
pflegten hier eine Erfrischung zu nehmen. Hier mußte also der ankommende
Agitator den ihm feindlichen Bauern gerade in die Hände laufen.

Man schaute dem Wagen gespannt entgegen. Aber je näher er
kain, desto mehr löste sich die Spannung und machte einer Art Ent-
täuschung Platz. Im Wagen saß ein einziger Passagier, ein freundlich
blickender Herr in mittleren Jahren mit braunem Vollbart.

„Er kommt nit", hieß es, „das is ja nur der Herr Müller."

„Ah, der Herr Müller, der in der Soininerfrischcn hier war."

„Der gute, freundliche Herr, der immer guten Rath wußte . . .
a g'scheiter Mann — die Eingab', die er uns gemacht hat, wegen
Wildschaden, hat wirklich g'holfen —"

Der Mann, dessen Persönlichkeit in so anerkennender Weise von
den Bauern besprochen wurde, sprang aus dem Wagen und trat mit
einem „Grüß Gott, Lenteln!" den Bauern entgegen.

„Grüß Gott, Herr Müller!" riefen Alle und es gab ein kräftiges
Händeschütteln.

Herr Müller nahm Platz und fragte nach allerlei Dingen - wie
die Ernte ausgefallen, ob der neue Steg schon fertig sei, wie cs mit
dein Schulbau stände, ob die Huberbäuerin genesen u. s. w. Mair gab
Antwort, kam ins Gespräch und es wurde beiläufig auch die projektirte
Versammlung erwähnt.

„Das ist recht, daß Ihr Euch auch um die Außenwelt kümmert",
sagte Herr Müller, „geht nur hin in die Versammlung."

„Wird nir draus", sagte der Protzenbauer, „er is nit kemma."

„Wer?" fragte Müller.

„Ra, der Agitator, vor dem der Herr Pfarrer uns gewarnt hat."

Der Fremde lachte. „So, so, der Herr Pfarrer hat gewarnt. —
Wißt's, Lenteln, den Herrn Pfarrer laßt nur fürs Jenseits sorgen,
das iS sei' Sach'. Aber ums Diesseits müßt's Euch selber kümmern.
Geht nur in die Vcrsanimlnng, der Redner wird schon kommen."

„Wird nix draus", sagte der Protzenbauer, „er is nit kemma!"
 
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