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— 2084

„Kennt's Oes den gefährlichen Menschen?" fragte ein alter Bauer.

„Freilich kenn' ich ihn; er meint es gut mit Euch und sagt Euch
die Wahrheit."

Auf weitere Auskünfte ließ sich Herr Müller nicht ein, man brach
auf nach dem Dorfe und die Bauern waren nicht wenig neugierig auf
die Dinge, die da kommen sollten.

Das Lokal war stark besetzt; in einer Ecke befanden sich eine
Anzahl Knechte des Protzenbauern und anderer Großgrundbesitzer, welche
von ihren Herren Freibier bekamen. Der Protzenbaner, so harmlos
er sich auch dem fremden Stadthenm gegenüber stellte, hatte noch immer
die Absicht, Herr der Situation zu bleiben und mit Hilfe seiner Knechte,
so bald es ihnr nöthig erschien, der Versammlung den Garaus zu machen-

Der Einberufer ertheilte nach einigen einleitenden Worten dein
Referenten das Wort und zu allgemeinem Erstaunen betrat das Podium
der Herr Müller, den sie Alle kannten.

Er begann seine Rede denn auch wie eine Ansprache an alte
Bekannte und knüpfte an die ihin bekannten Verhältnisse und die das
Dorf besonders interessireuden Dinge an, um nachzuweisen, wie nothwendig
es sei, daß auch der
Bauer selbständig

seine Sache vertrete, „r„

anstatt sich von den
großen Herren, den
Adeligen und den
Priestern, leitham-
meln zu lassen, die
immer nur die In-
teressen des Adels-
und Priesterstandes,
aber niemals die der
Bauern vertreten.

Hierin stiminten
die Anwesenden dem
Redner völlig bei; er
kam nun auf den
Hauptpunkt, die Ge-
treidezölle. Es be-
stand nämlich die Ge-
fahr, daß der „Baye-
rische Bauernbund",
welcher noch sehr un-
klare und verworrene,
aber gleichsam in-
stinktiv denrokratische
Anschauungen ver-
trat, und welcher in dieser Gegend zahlreiche Anhänger besaß, dem
beivnßt reaktionären und volksfeindlichen „Bund der Landwirthe" in
Preußen Gefolgschaft leisten könne. Dies zu verhindern durch .Auf-
klärung über die wahre Wirkung der Getreidezölle, war der Hauptzweck
der Versammlung.

Herr Müller führte aus, daß den sehr reichen, sehr viel Grund
und Boden besitzenden Landwirthen diese Zölle allerdings großen Nutzen
bringen. Uin die angebliche Noth dieser Reichen zu lindern, »volle nian
eben die Zölle fortwährend erhöhen. „Aber", fragte der Redner, „>vo
ist in Wahrheit die Noth dieser Leute? Da seht Euch den Prohen-
bauer, dieses respektable Mitglied Eurer Gemeinde an, — hat der
Mann Noth? Oder hat er je behauptet, Noth zu haben?"

„Na, na, nothig san mer net!" schrie der Protzenbauer.

„Uird ebenso wenig", fuhr der Referent fort, „haben jene Leute
in Ostpreußen, die das große Geschrei nach den Zöllen erheben, Noth
zu leiden, ivenn sie ordentlich »virthschaften, »vie der solide oberbayerische
Bauer. Sie haben nur Noth, Ivenn sie ein lüderliches Leben führen,
wenn sie sich durch Spiel und Schlemmerei in Schulden stürzen. Aber
die deutsche Nation ist nicht dazu da, durch erhöhte Brotpreise den
preußischen Junkern ihre Rennpferde und ihre Kebstveibcr zu bezahlen.
Jene Herren mögen sich um Haus und Hof kümmern und selbst Mit-
arbeiten, »vie es unser Protzenbauer thut, dann werden sie auskominen
und Niemand lvird Brotzölle brauchen."

Er winkte mehrmals den
Knechten, daß sie Unruhe anstiften
sollten. Aber das fiel denselben jetzt
gar nicht ein.

„Recht hast!" rief man dem Redner zu. Auch der Protzenbaner
»var sehr befriedigt und als seine Knechte, mn ihr Freibier nicht um-
sonst zu trinken, einige Unruhe verursachten, donnerte er ihnen zu:

„Staad seid's, ös Malefizkerl' überanaud'!"

Der Redner ging nun zu den mittleren und Kleinbauern über.
Bei ihnen, führte er aus, sei allerdings ein fühlbarer Nothstand vor-
handen, der aber nicht durch die Zölle gehoben werden könne. Die Ver-
theuerung der Lebensmittel drücke den kleinen Mann auf dem Lande
genau so, wie den Proletarier der Stadt.

„Endlich", fuhr der Redner fort, „komme ich zu dem Punkt,
>vo der Nothstand in der Landlvirthschaft a>n deutlichsten zu Tage tritt,
das ist die Lage der Landarbeiter." Und nun schilderte er die wirth-
schaftlich schlechte, unfreie und trübselige Lage des Gesindes, das weit
hinter den städtischen Lohnarbeitern zurück sei und sich ebenfalls auf-
raffen müsse, um ein menschenivürdiges Dasein zu erringen.

Dieser Theil der Rede gefiel dein Protzenbauern weniger. Er
winkte mehrmals verstohlen seinen Knechten, daß sie Unruhe anstiften
sollten. Aber das siel denselben jetzt gar nicht ein. Sie freuten sich,
daß auch einmal Jemand an sie dachte, daß ihre Leiden
und Lasten auch nicht vergessen »vurden, und wie die alten
Bauern jetzt bedenklich die Köpfe schüttelten, da scholl es
aus den Reihen der Knechte: „Wahr is!
Recht hast!"

Der Redner eilte zum Schlüsse. Die
Nothlage der Land-
wirthschaft könne
nicht durch beson-
dere Mittel, nicht
durch Ausnahme-
Maßregeln beseitigt
werden, denn sie sei
keine besondere, keine
ausnahmsweise Er-
scheinung, sondern sie
habe ihre Ursachen
in den allgemeinen
Uebelständen, unter
denen die heutige Ge-
sellschaft leide. Zur
gründlichen Beseiti-
gung der allgemeinen
Nothlage gäbe es da-
her auch nur ein
einziges gemeinsames
Mittel — die Sozial-
demokratie. Und nun erläuterte der Redner in kurzen, allgeinein ver-
ständlichen Sätzen das Wesen und die Ziele des Sozialismus.

Damit war aber der überwachende Polizeischreiber nicht einver-
standen. Er unterbrach den Redner und behauptete, das gehöre nicht
mehr zur Sache und sei aufreizend.

Diese polizeiliche Unterbrechung hatte noch gefehlt, um den Erfolg
der Versainmlung zu vollenden.

„Was »vill der?" „Was hat der eini z'reden?" hieß es. Diese
Naturmenschen »varen noch nicht gewöhnt, die Polizei immer ain Rock-
zipfel hängen zu haben, »vie es der städtische Spießbürger gewöhnt ist,
der bei jeder Gelegenheit nach Polizei schreit.

„Die Polizei soll lieber den Lackel fangen, der meine Scheu»»'
anzuuden hat!" rief ein Bauer.

„Wahr is!" schrien eimnüthig Grundbesitzer und Knechte. Es
bedurfte der Ermahnungen des Referenten Müller, um solche Aeuße-
rungen der Entrüstung zum Schtvcigen zu bringen.

„Also nicht an den preußischen Bund der Landwirthe, sondern an
die völkerbefreiende Sozialdemokratie schließt Euch an!" Mit diesen
Worten schloß der Redner, und alle Anwesenden, vom Protzenbauern
bis zum Gaisbuben, spendeten Beifall.

Seitdein hat der Protzenbaner nie mehr den Versuch gemacht, in
seinem Dorfe eine sozialdemokratische Versammlung zu Hintertreiben,
und wenn eine Wahl ist, so regnet es dort sozialdemokratische Stimmen.
 
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