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Die Dichter, welche die Bismarckherrlichkeit besangen, hatten viel
unter den stachlichen Reiinen Herweghs zu leiden, namentlich Geibel,
als er München verließ:
„Ach, ein bayrisches Guldcnstuck
Ist kein preußischer Thaler,
Darum folge nur Bismarcks Glück,
Nationalliberaler!"
„Eine Harfe besitzest Du, Mann,
Welche Dir Phöbus erhalte!
Wohl mir, daß ich noch spielen kann
Meine Leyer, die alte!
Eh' sie diente, von Königgrätz
So zu singen und sagen,
Lieber wollt' ich dem Braun und Metz
Um die Köpfe sie schlagen!"
Den Nationalliberalen, die man in Süddeutschland „Bettelpreußen"
nannte und denen Bismarck schon vor der Gründung des Reichs manch-
mal arg mitspielte, rief er zu:
„Ach, ihr armen Bettelpreußen
Habt doch weder Glück noch Stern,
Wie der Kater mit den Mäusen
Spielt der Gras mit euch, ihr Herrn!"
„Selbst der Schweizer-Bettelpreuße,
Bluntschli, euer Matador,
• Kratzte sich, als hätt' er Läuse,
Hinter seinem Staatsmannsohr!"
Den „Kulturkampf" beurtheilte er 1872 gleich richtig:
„Zwar daß die Schwarzen man verbannt,
Macht manches Herz beklommen,
Kannst ruhig sein, lieb Vaterland,
Sie werden wieder kommen!"
Eine ganze Reihe von Gedichten ist gegen das neue Deutsche Reich ge-
richtet; doch schließen wir uirsere Zitate mit dem Gedicht an Richard Wagner,
das diesen mit Galgenhumor über getäuschte Hoffnungen tröstet:
„Ertrage heroisch dein Mißgeschick
Und mache dir klar, mein Bester:
Die einzig wahre Zukunftsmusik
Ist schließlich doch Krupps Orchester."
Der „Lebendige" ist vor zwanzig Jahren in das Grab gesunken, aber
er wird leben, lvie ihm sein Freund Friedrich Stoltze nachrief, „weit
über Tod und Grab hinaus". Das Volk wird seine Lieder nicht vergessen.
Zu wünschen wäre nur, daß eine berufene Feder sich fände, um
dieser eigenartigen Erscheinung ein biographisches Denkmal ;u setzen,
das jetzt noch fehlt. W. B.
m Jahr e 1848 war es, just am Gründonnerstag. (
und Schnee waren den wärmenden Strahlen der Fr
lingssonne gewichen und zartes Grün drängte sich
Wald und Feld hervor, — eine stille Revolution in der Natur. A
auch die Menschen befanden sich in einer Revolution, die nicht so laut
vorübergehen sollte. Droben auf der Scheideck, der Höhe des Pas
zwischen dem Städtchen R. und dem Dorfe Sch. am südlichen Abha:
des Schwarzwaldes, standen sich bewaffnete Männer gegenüber,
waren etwa tausend Freischärler, die von den Hessen unter Gene
v. Gagern bedrängt wurden. Das Scharmützel begann und eines
ersten Opfer war der hessische General. Auf beiden Seiten hatte n
Todte und Verwundete zu beklagen. Das Scharmützel endete mit d
Riickzuge der Freischaar.
Die scheidende Sonne küßte die bleichen Gesichter der Todt
nter einer Eiche lagen zwei Männer in ihrem Blute, der eine i
grauem Haar und Bart, der andere noch ein Jüngling. Der Gr
9 stobt, eine hessische Kugel hat sein Herz durchbohrt; der Jüngli
Clf "Ur ^^oundet war, erhebt sich, suchend schaut er umher —
erbUdEt er neben sich den Todten: es ist sein Vater. Drohend str>
er die geballte Faust empor und seine Lippen murmeln einige unver-
ständliche Worte, dann fällt er wieder in Ohnmacht.
Siebenundvierzig Jahre sind seitdem verflossen. Auf der Straße
nach dem Dorfe Sch. im schönen Wiesenthal wankt ein gebeugter Greis
daher. Schneeweiße Locken wallen unter seinem breitrandigen Hut her-
vor und ein langer Bart ziert sein Gesicht. Seine ärmlichen Kleider
verrathen den Proletarier.
Eben hat er das sogenannte alte Kloster erreicht und erschöpft sinkt er
ans einen Stein nieder. Gleich rechts erhebt sich die Klosterkirche, die,
aus dem Mittelalter stammend, zuerst ein katholisches Ordenskloster
war; zur Reformationszeit wurde sie in eine evangelische Kirche um-
gewandelt. Vor einigen Jahren mußte sie wegen Baufälligkeit ge-
schlossen werden, worauf sie ein Kapitalist erwarb, der das ehrwürdige
Gebäude in ein prächtiges Schloß umwandelte, aber soweit als möglich
die alte Architektur erhalten ließ.
Der Greis stützt sein Gesicht in die Hand und verfällt in tiefes
Nachdenken. In dieser Kirche, wo jetzt üppige weltliche Lust herrscht,
wurde er getauft und konfirmirt und droben am Waldsaume liegt der
Kirchhof, wo seine Eltern schlafen; sein Vater starb als Kämpfer für
Freiheit und Recht, er fiel als Freischärler am Gründonnerstag 1848
auf der Scheideck, wo auch er, der Sohn, verwundet wurde.
Wir kennen den Wanderer, es ist jener Tapfere, der am Abend
des 20. April 1848 hoch droben im Wald als Schwerverwundeter an
der Seite seines todten Vaters lag.
Eine schwere Zeit mußte der Jüngling über sich ergehen lassen.
Nach seiner Wiederherstellung erwartete ihn langjährige Gefängnißhaft
und später, nach seiner Freilassung, wurde er in seinem heimathlichen
Dorfe verhöhnt und endlich vertrieben, weil er seine „rebellischen Ge-
sinnungen" nicht aufgeben wollte.
Er zog in die Stadt, um sich dort ein neues Heim zu gründen. Aber
das Unglück verfolgte ihn auch hier. Als es ihm nach einer Reihe von
Jahren gelungen war, zu einer gewissen Selbständigkeit zu gelangen, raubte
ihm der Tod seine Frau, dann verunglückte sein ältester Sohn in einer
Maschinenfabrik und den Jüngsten holte sich der Moloch Militarismus als
Opfer; er wurde beim Manöver von einem Hitzschlag tödtlich getroffen.
Nun stand der „Rebell" wieder allein: arm, alt und — krank. Aber
verlassen war er dennoch nicht. Der „Rebell" hatte unentwegt zur Fahne
der Freiheit, zur Sozialdemokratie gehalten und die Parteigenossen ver-
galten es dem alten Kämpen, soweit sie dazu in der Lage waren.
Sie wußten, daß es der sehnlichste Wunsch des Alten war, noch
einmal seine Heimath und die Stätte wieder zu sehen, wo er seine
Die Dichter, welche die Bismarckherrlichkeit besangen, hatten viel
unter den stachlichen Reiinen Herweghs zu leiden, namentlich Geibel,
als er München verließ:
„Ach, ein bayrisches Guldcnstuck
Ist kein preußischer Thaler,
Darum folge nur Bismarcks Glück,
Nationalliberaler!"
„Eine Harfe besitzest Du, Mann,
Welche Dir Phöbus erhalte!
Wohl mir, daß ich noch spielen kann
Meine Leyer, die alte!
Eh' sie diente, von Königgrätz
So zu singen und sagen,
Lieber wollt' ich dem Braun und Metz
Um die Köpfe sie schlagen!"
Den Nationalliberalen, die man in Süddeutschland „Bettelpreußen"
nannte und denen Bismarck schon vor der Gründung des Reichs manch-
mal arg mitspielte, rief er zu:
„Ach, ihr armen Bettelpreußen
Habt doch weder Glück noch Stern,
Wie der Kater mit den Mäusen
Spielt der Gras mit euch, ihr Herrn!"
„Selbst der Schweizer-Bettelpreuße,
Bluntschli, euer Matador,
• Kratzte sich, als hätt' er Läuse,
Hinter seinem Staatsmannsohr!"
Den „Kulturkampf" beurtheilte er 1872 gleich richtig:
„Zwar daß die Schwarzen man verbannt,
Macht manches Herz beklommen,
Kannst ruhig sein, lieb Vaterland,
Sie werden wieder kommen!"
Eine ganze Reihe von Gedichten ist gegen das neue Deutsche Reich ge-
richtet; doch schließen wir uirsere Zitate mit dem Gedicht an Richard Wagner,
das diesen mit Galgenhumor über getäuschte Hoffnungen tröstet:
„Ertrage heroisch dein Mißgeschick
Und mache dir klar, mein Bester:
Die einzig wahre Zukunftsmusik
Ist schließlich doch Krupps Orchester."
Der „Lebendige" ist vor zwanzig Jahren in das Grab gesunken, aber
er wird leben, lvie ihm sein Freund Friedrich Stoltze nachrief, „weit
über Tod und Grab hinaus". Das Volk wird seine Lieder nicht vergessen.
Zu wünschen wäre nur, daß eine berufene Feder sich fände, um
dieser eigenartigen Erscheinung ein biographisches Denkmal ;u setzen,
das jetzt noch fehlt. W. B.
m Jahr e 1848 war es, just am Gründonnerstag. (
und Schnee waren den wärmenden Strahlen der Fr
lingssonne gewichen und zartes Grün drängte sich
Wald und Feld hervor, — eine stille Revolution in der Natur. A
auch die Menschen befanden sich in einer Revolution, die nicht so laut
vorübergehen sollte. Droben auf der Scheideck, der Höhe des Pas
zwischen dem Städtchen R. und dem Dorfe Sch. am südlichen Abha:
des Schwarzwaldes, standen sich bewaffnete Männer gegenüber,
waren etwa tausend Freischärler, die von den Hessen unter Gene
v. Gagern bedrängt wurden. Das Scharmützel begann und eines
ersten Opfer war der hessische General. Auf beiden Seiten hatte n
Todte und Verwundete zu beklagen. Das Scharmützel endete mit d
Riickzuge der Freischaar.
Die scheidende Sonne küßte die bleichen Gesichter der Todt
nter einer Eiche lagen zwei Männer in ihrem Blute, der eine i
grauem Haar und Bart, der andere noch ein Jüngling. Der Gr
9 stobt, eine hessische Kugel hat sein Herz durchbohrt; der Jüngli
Clf "Ur ^^oundet war, erhebt sich, suchend schaut er umher —
erbUdEt er neben sich den Todten: es ist sein Vater. Drohend str>
er die geballte Faust empor und seine Lippen murmeln einige unver-
ständliche Worte, dann fällt er wieder in Ohnmacht.
Siebenundvierzig Jahre sind seitdem verflossen. Auf der Straße
nach dem Dorfe Sch. im schönen Wiesenthal wankt ein gebeugter Greis
daher. Schneeweiße Locken wallen unter seinem breitrandigen Hut her-
vor und ein langer Bart ziert sein Gesicht. Seine ärmlichen Kleider
verrathen den Proletarier.
Eben hat er das sogenannte alte Kloster erreicht und erschöpft sinkt er
ans einen Stein nieder. Gleich rechts erhebt sich die Klosterkirche, die,
aus dem Mittelalter stammend, zuerst ein katholisches Ordenskloster
war; zur Reformationszeit wurde sie in eine evangelische Kirche um-
gewandelt. Vor einigen Jahren mußte sie wegen Baufälligkeit ge-
schlossen werden, worauf sie ein Kapitalist erwarb, der das ehrwürdige
Gebäude in ein prächtiges Schloß umwandelte, aber soweit als möglich
die alte Architektur erhalten ließ.
Der Greis stützt sein Gesicht in die Hand und verfällt in tiefes
Nachdenken. In dieser Kirche, wo jetzt üppige weltliche Lust herrscht,
wurde er getauft und konfirmirt und droben am Waldsaume liegt der
Kirchhof, wo seine Eltern schlafen; sein Vater starb als Kämpfer für
Freiheit und Recht, er fiel als Freischärler am Gründonnerstag 1848
auf der Scheideck, wo auch er, der Sohn, verwundet wurde.
Wir kennen den Wanderer, es ist jener Tapfere, der am Abend
des 20. April 1848 hoch droben im Wald als Schwerverwundeter an
der Seite seines todten Vaters lag.
Eine schwere Zeit mußte der Jüngling über sich ergehen lassen.
Nach seiner Wiederherstellung erwartete ihn langjährige Gefängnißhaft
und später, nach seiner Freilassung, wurde er in seinem heimathlichen
Dorfe verhöhnt und endlich vertrieben, weil er seine „rebellischen Ge-
sinnungen" nicht aufgeben wollte.
Er zog in die Stadt, um sich dort ein neues Heim zu gründen. Aber
das Unglück verfolgte ihn auch hier. Als es ihm nach einer Reihe von
Jahren gelungen war, zu einer gewissen Selbständigkeit zu gelangen, raubte
ihm der Tod seine Frau, dann verunglückte sein ältester Sohn in einer
Maschinenfabrik und den Jüngsten holte sich der Moloch Militarismus als
Opfer; er wurde beim Manöver von einem Hitzschlag tödtlich getroffen.
Nun stand der „Rebell" wieder allein: arm, alt und — krank. Aber
verlassen war er dennoch nicht. Der „Rebell" hatte unentwegt zur Fahne
der Freiheit, zur Sozialdemokratie gehalten und die Parteigenossen ver-
galten es dem alten Kämpen, soweit sie dazu in der Lage waren.
Sie wußten, daß es der sehnlichste Wunsch des Alten war, noch
einmal seine Heimath und die Stätte wieder zu sehen, wo er seine