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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0086
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2168

Volkslied und Freiheitssang.

Vas war ein hartes Streiten
I>n Fel- Mann gegen Mann
Das war ein wildes Reiten
Durch sturmgexeitschten Tann!
Die Lüfte bang durchzittert
In grimmer wolkenschlacht;

Lis-Harnisch jäh zersplittert
von Heister Schläge Macht!

Hei! wo die Lunken flogen,
Aufglüht's in Flur und Hag!
I'N Sieg her kommt gezogen
Der junge Maientag.

Und alle Wunderbronnen
Sind tausendfach erneut.

Und alle Blüthensonnen
rlnf wies' und Feld gestreut.

Und wo mit Blumenglocken
Am waldguell spielt der wind,
Flicht sich die dunklen Locken
Lin schlichtes, süstes Rind.

In seinen Augensternen
Träumt tiefe Waldesruh,

Und sonnenweiten Fernen
Klingt seine Sehnsucht zu:

„Sie haben mich gezwungen
Zu Prunk und Kerzenglanz,
Und mir vom Haupt gerungen
Den duft'gen Windenkranz.

In ihrer Feste Flimmer,

In ihres Reichthums Pracht,
wie sehnt ich heiß mich immer
Nach meiner Waldesnacht.

Sie weinten falsche Thränen
Ihr Herz war stumm und hart,
wie konnten je sie wähnen,

Daß ich ihr Ligen ward!

Mich treibt's zu nied'ren Hütten,
wo meine wiege stand.

Inmitten schlichter Sitten,

Da ist mein Heimathland.

Da soll sie neu erklingen,

Die alte Melodei, —

Dort will ich wieder singen
Von Sehnsucht, Lieb' und Treu,
von Trennungsleid und Schmerzen
In warmer Menschenbrust
Von hoffnungsstarken Herzen
Und lichter Maienlust."

Da, horch! wie mit der Quelle
Die stille Klage wallt,

Ist's nicht, als ob ihr Helle
Lin jubelnd Lcho hallt?

Als wenn vom Bergesgixfcl
Die Freiheitsglocke grüßt,

Als wenn der Sturm die Wipfel
Der stolzen Lichen küßt!

Und wie die Zweige rauschen,

Sich netzend in dem (huell.

Tritt aus dem waldeslauschen
Lin herrlicher Gesell.

Lichtrothe Rosen prangen
Noch thaufeucht ihm im Haar
Gebräunt sind seine Wangen,

Und seine Augen klar.

Und zu der süßen Dirne
Beugt er herab sich mild,

Küßt von der reinen Stirne
Des flücht'gen Kummers Bild:
„wohlauf, und laß dein Trauern,
Du Kind des Volkes, sein!

Sieh, aus den engen Mauern
Ziehn unsrer Brüder Reihn.

Lichtgrüne Maientriebe
Umblühen ihr panier:

„Für Freiheit, Menschenliebe
Und Gleichheit kämpfen wir!"
Durch blüthenflock'ge Aeste
Steigt hell ihr Kampfgeschrei
wohlan, wir sind als Gäste
Geladen frank und frei.

Da sollst du ihnen singen
Ihr hundertjährig Leid
Ich will ihr Herz durchdringen
Mit Kamxfesfreudigkeit.

Du sollst an Sehnsuchtsthüren
Gar leise klopfen an
Ich will die Arbeit führen,
fntflammt, die Siegesbahn!"

Und wo die Zweie wandern.

Da blüht's in Duft und Glast;

Lin Brunnen rauscht's dem andern.
Befreit von starrer Last:

„Mein Volk, dir nah'n im Maien
Und Blüthenüberschwang,

Sich deinem Kampf zu weihen,
Volkslied und Freiheitssang!"

Wir glauben all der Freiheit Sieg.*

Äie Lide ist zum Licht erstanden
Aus tiefer, langer Rlinternacht,

Befreit ist aus des Lifes Banden
Der Ströme stille Lchöpfermacht;

Der Mai küßt alle Blumen munter
Und thauet alle tzerzen auf,

Lr schmücket alle Fluren bunter
Und streuet Gold in Fülle drauf.

Die Anechtschaft auch hat ihre Grenze
Im eh'rnen Gange der Natur,

Und auferweckt vom jungen Lenze
Zieht Freiheit ihre Strahlenspur:

Sie leuchtet in das tiefste Dunkel
Der kleinsten tzütte hell hinein.

Und ruft, umwallt vom Lichtgefunkel:
Das arme Volk soll fröhlich sein!

Am ersten Tag des jungen Maien
In Trümmer finkt die alte N)elt,

Die alte A)elt, ein Feind der Freien,
Die alte Welt, voll Sündengeld;

Lin Jubel geht durch alle Lande
Und schwingt sich über jedes Meer,
Und schlinget heil'ge Bruderbande
Am der Lnterbten zahllos Heer.

Ls fchaaret sich in dichten Massen
Und ordnet freudig sich in Neih'n,

Und schreitet aus den dunkeln Gassen
Ins Helle Sonnenlicht hinein;

Lin Wort erschallt, dem alle lauschen:
„Acht Stunden Arbeitsfrohne nur!"
Musik ertönt, die Banner rauschen.
Und dann erbraust der neue Schwur:

„wir legen nun die Waffen nieder
Und heben hoch der Arbeit Stahl,
wir regen gern die frischen Glieder,
Doch fluchen wir der Arbeit (Fual;
wir kämpfen für das Recht der Freien
Und für den Frieden, gegen Arieg,
wir hoffen auf den Völker-Maien
Und glauben an der Freiheit Lieg."

* Aus „Kampfgewühl und Einsamkeit". Gedichte von Robert
Seidel-Zürich. Dritte Auflage. Stuttgart, 1886.

SUjirtlsülkilücke.

(Eine Episode von der Maifeier.)

„Was? Blau wollt Ihr mache» ? Und oben-
drein dem ersten Mai zu Liebe — diesem polizei-
widrigen Datum, der ans dem Kalender gestrichen
werden sollte? -—Das dulde ich nicht!"

Also erklärte kategorisch der Schuhmacher-
meister Lehinann seinen fünf Gesellen gegenüber,
welche Nachmittags die Arbeit einstellen wollten,
um sich an der Maifeier der Sozialdemokraten zu
betheiligen.

„Na, Herr Meister," bemerkte der Schuh-
machergehilfe Walter, „so nehmen Sie doch Ver-
nunft an! Die Welt wird nicht gleich barfuß
laufen müssen, wenn unsere Werkstatt einen balbcn
Tag geschlossen bleibt. Wir haben ja am Scdan-
tage, der uns völlig gleichgiltig ist, ebenfalls feiern
müssen."

„Ja, Sedan, das ist ein patriotisches Fest,"
erwiderte der Meister, „wenn Ihr etwas Patrio-
tisches feiern wolltet, hätte ich nichts dagegen, ich
selbst habe heute eine kleine patriotische Feier
unser Kriegervereinsvorstand Maier hat seinen
fünfzigsten Geburtstag und da bringt ihm der
ganze Verein in corpore eine Ovation —"

„Na also!" sagte Walter, da gehen Sie in
den Kriegerverein und mir zur Maifeier, das paßt
ja ganz gut."

„Nein, es paßt nicht!" schnauzte Lehmann.
„Denn wenn Ihr Euch an solchen nmstürzlerischen
Dingen betheiligt, kommt mir die Polizei ins Haus
und meine vornehmen Kunden bleiben weg! Die
Frau Ministerialsekretär, der Herr Wirkliche Ge-
heime Rath, der Herr Bureau-Assistent — denkt
Ihr, solche Herrschaften lassen sich von Sozial-
demokraten versohlen?"

Die Gesellen lachten.

„Wenn es nur die Furcht vor der Polizei ist,"
meinte Walter, „so können Sie ganz ruhig sein.
Wir missen mit unserer Polizei umzngehen und

werden leicht mit ihr fertig. Wir projeklirten
nämlich einen öffentlichen Umzug mit Musik —"

„Der hoffentlich verboten wurde!" siel Leh-
mann ein.

„Gewiß", bestätigte Walter, „es wurden alle
Umzüge am ersten Mai verboten, das wußten
wir voraus, aber man muß der Polizei etwas zu
thun geben, damit sie sich bethatigen kann. Leben
und leben lassen, ist unsere Losung. Die Polizei
verbot auch die Mai-Versammlung und während
sie nun zur Aufrechtcrhaltung ihrer Verbote auf
Wacht steht, halten wir ein gemüthliches Familien-
fest zur Feier des Tages ab."

Der Meister überlegte. „Gut", sagte er end-
lich, „hört meinen Entschluß! Geht, wohin Ihr
wollt, aber wenn einer von Euch irgendwie mit
der Polizei in Konflikt kommt oder gar verhaftet
wird, der ist augenblicklich entlassen."

Die Gesellen nahmen diese feierliche Erklärung
mit Fröhlichkeit auf und proklamirten sofort den
Feierabend. — Dein Meister kam der Schluß der
Werkstätte eigentlich selbst gelegen; er schritt als-
bald gravitätisch in schwarzem Rock und Zylinder
nach dem Vcreinslokale, wo die Kriegcrvereins
kameraden bereits versammelt waren. Der Krieger-
verein hatte nämlich beschlossen, den fünfzigjährigen
Geburtstag seines Vorstandes mit möglichstem
Pomp zu feiern. Eine Mrisikbande von fünf
Mann sollte die Marschmusik spielen und den
Verein in geschlossener Kolonne nach der Wohnung
seines Vorstandes Maier bringen, um ihm einen
Ehrenhumpen zu überreichen.

Der Zug setzte sich langsam in Bewegung und
passirte unter dem Zulauf von Frauen und Kin-
dern mehrere Straßen. Plötzlich aber donnerte
ihm ein „Halt!" entgegen. Sechs Schutzmänner
versperrten den Weg, einige berittene Schutz-
männer zeigten sich noch an der nächsten Straßen-
kreuzung und ein Polizeiivachtmeister gebot der
Musik Schweigen. Die Kriegervereinler standen
wie angedonncrt.
 
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