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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0087
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21G9

Klassische Aussprüche. -**-

cva freue mich, wenn kluge Männer sprechen", sagt Goethe.
Er würde also die Schikanirungen, womit man die Dtaifeier der Arbeiter
verfolgt, entschieden mißbilligen. t

Nur Beharrlichkeit führt zum Ziel", sagt Schiller, — dies
nehmen sich die Arbeiter bei ihrer beharrlichen Agitation für den Acht-
stundentag zum Muster. »

„Die Zeit ist ans den Fugen", sagt Shakespeare, — da ahnte
er bereits die schrankenlos ausgedehnte Arbeitszeit der kapitalistischen Aera.

„Das ganze Geheimniß, sein Leben zu verlängern, besteht darin,
cs nicht zu verkürzen", sagt E. v. Feuchtersleben, — und damit moti-
virte er den Normalarbeitstag von acht Stunden.

„Wenn Menschen auseinandergch'n,

So sagen sie: auf Wiederseh'n",

singt derselbe Dichter. Das trifft namentlich auf diejenigen Menschen zu,
welche nach einer aufgelösten Versammlung auseinander gehen.

„Wir wollen cs, das sei Gesetz!" läßt Schiller im „Test" die
Schweizer sagen. So könnten auch die Arbeiter Gesetze geben, wenn sie
alle einig wären.

„Was Hände bauten, können Hände stürzen", sagt Schiller
in derselben Dichtung. Das dürfen jene 'Großindustriellen bcachten, welche
die Arbeiter geringschätzig nur „Hände" nennen.

„Dort, wo das Recht, ist unser Vaterland", sagt Schiller
weiter. Man muß den Arbeitern also vor Allem ihr Recht einräumen,
bevor sie sich für das Vaterland begeistern könne».

„Frei will ich sein im Denken und im Dichten", fordert
Goethe. Da hatte er freilich nicht die geringste Vorahnung voir unserer
heutigen Preß- und Rede-„Freiheit".

^5/1? H obrlspähnr.

Die Lerche jubelt, die Drossel pfeift.

Die eisige Decke ist abgcstreift
Und es Hüpfen und tanzen die Wellen.

Auch der Mensch kehrt tiefaufathmend den Wust
Der Wintergrillen aus Hirn und Brust —

Der Mai macht lauter Rebellen.

Es lacht durch die Scheiben der goldige Schein -
Wer möchte da mürrisch und sorgenvoll sein?
Und cs sinken vom Auge die Schuppe!»

Sie fragen sich plötzlich: Ist alle die Pracht

Nur für die jubelnden Vögel gemacht

Und wir nur zum „Sägen" uild „Schruppen" ?

Die Arbeiter sollten sich nicht beklagen, daß ihnen so wenig Lebens-
freuden blühen. Wenn sie sehen, wie sich die Bismarck, Stumm und
Konsorten über das Wachsthum der Sozialdemokratie ärgern und erbosen,
muß ihnen vor Vergnügen das Herz im Leibe lachen.

Lächerlichkeit scheint doch nicht immer zu tobten, denn sonst müßte
die sächsische Reaktion längst krepirt sein.

Glücksel'ges Land, du Land der Apfelsinen!

Du hast, zu Lande wie zur See geschlagen,

Provinzen jederzeit davongctragen

Als Preis des Kampfes mit vergnügten Mienen.

Auch diesmal kriegst du etivas für die Plagen,
Das Gegentheil, das wäre ja ein Jammer,
Drum nennt Signor Ricotti vor der Kammer
„Glorreich" die aethiop'schen Niederlagen.

Die erworbene Dummheit ist immer um
die angeborene. ^ treuer

ein Eselsohr länger, als
Säge, Schreiner.

„Was treiben Sie hier?" fragte der Wacht-
meister streng, zu dem Schuhuzachcrmeistcr Leh-
mann gewendet, der in der vordersten Reihe
marschirte. „Wissen Sie nicht, daß jeder öffent-
liche Aufzug verboten ist?"

„Mein Gott, das gilt doch nicht für uns",
stotterte Lehmann. „Wir brauchen unsere Aufzüge
nie anzumelden."

„Da sind Sie sehr im Jrrthuin", bemerkte
der Wachtincister. „Es ist außerdem speziell für
heute jeder Aufzug verboten, da ivir nicht dulden
können, daß die Maijcier einen demonstrativen
Charakter annimmt. Der Zug ist augenblicklich
aufzulöscn!"

„Aber wir haben ja gar keine Maifeier", wandte
Lehmann ein, „wir haben eine Maier feie x —
wissen Sie, unser Vorstand Maier —"

„Machen Sie doch keine schlechten Witze", sagte
der Wachtmeister barsch. „Wer hat den Zug
arrangirt?"

,/Na, der Kriegerverein — wir Alle, die wir
hier sind —" damit schaute Lehmann um sich,
bemerkte aber zu seinem Schrecken, daß nur
Schutzmänner ihn umgaben; die tapfer» Krieger-
vercinler und die Mtisikanteir hatten alle mit-
eiitander das Weite gesucht.

„Kriegervereine pflegen ztmr ersten Mai nicht
Umzüge zu halten", meinte der Wachtmeister,
„folgen Sic uns nur auf die Polizeiwache, dann
werden wir die Wahrheit schon ermitteln."

So mtißte der arme Lehmann inmitten der
Schutzmänner zur Wache schreiten. Unterwegs be-
gegnete ihm sein Lehrling Emil, der erstaunt rief:

„Na, Meester, wat haben denn Sie aus-
jefressen?"

Lehmann überhörte das Respektwidrige dieser
Frage und befahl dem Lehrling, er möge schnellstens
Jemanden herbeiholen, der ihn, den Meister, kenne
und für seine patriotische Gesinnung Zeugniß
abzulegen vermöge. Der Lehrling eilte, um den
Auftrag auszurichten.

Auf der Polizeiwache mußte Meister Lehmann
längere Zeit warten, ehe er zum Verhör kam,
denn die Polizei hat am ersten Mai viel zu thun.
Es gab Berichte von verschiedenen Veobachtungs-
posten re. entgegenznnehmcn, als wichtigster Fall
stellte sich aber schließlich doch der verbotswidrige
Umzug dar. Als Lehmanus Verhör über diesen
Fall begaitn, erschien endlich Hilfe.

Der Lehrling war nach den, „Familienfest"
der Sozialdemokraten geeilt und hatte mit der
sensationellen Kunde „Der Meister ist verhaftet!"
die Gehilfen Lehmanns alarmirt» Sie eilten nun
herbei, Walter an der Spitze, tind bestätigten die
Richtigkeit der Aussagen ihres Meisters, so daß
derselbe sofort entlassen ivnrde.

Lehmann war noch ganz außer sich. „Ist das
möglich! ich verhaftet! ich in Polizeigewahrsam!"
jammerte er.

„Lieber Meister", tröstete Walter, „nehmen
Sie sich das nicht zu Herzen; wir leben in einem
Polizeistaate, in welchem kein Mensch seiner Frei-
heit sicher ist."

„Da habt Ihr recht," rief Lehmann heftig,
„Ihr seid bravere Leute, wie meine Herren Kame-
raden, die mich so tapfer im Stiche ließen."

„Lassen Sie die alten Philister laufen und
kommen Sie init zu unserer Maifeier," schlug
Walter vor. Der Meister ließ sich überreden
und als er die vielen fröhlichen Gesichter sah und
die Lieder hörte, in denen der Anbruch einer neuen
Zeit verkündet wurde, da streifte auch er de»
alten Adam ab und trank mit seinen Gesellen
manchen guten Trunk, bis ihm das Herz ganz
butterweich wurde; er umarmte schließlich Walter
und versicherte einmal über das andere, daß Alle
zusammenhalten sollten, die durch ihrer Hände
Arbeit ihr Brot verdienen, gleichviel, ob Meister
oder Geselle, so sei es in alten Zeiten geivesen
und so müsse es wieder werden. Dem Lehrbuben
aber versprach er ganz zärtlich, daß er ihn „von
heute ab nicht inchr hauen wolle."

Streitlied.

Ob Ihr ihn kennet, den Bruder des Märzen,
Maifrischen Leibes, kraftsprossender Glieder,
Freudigen Blicks und im kindlichen Herzen
Freiheit- und Glück-überquellende Lieder?

Ob Ihr sie kennet, die Blüthen des Maien,
Liebcslust athmend und Herzblut getränkct;

Ob Ihr sie kennet, die tapferen Reihen,

Die sie geschmückt einst, ob ihrer Ihr denket?

Sicher! Und will drum der Winter vermessen
Nochmals die klappernde Knochenfaust recken?
Hat er die Todten des Maien vergessen,

Lockt's ihn, die Stürme des Frühlings zu wecken?

Wahnwitz du siegst nicht! Wir schwingen die Fahnen
Maicngeschmückt längst auf stürmischen Bahnen,
Sieghaft gewappnet in geistiger Wehr
Schmcttevt sein Streitlied das Maienheer.

Rebus.

Auflösung des Rebus in Nr. 252:

Dem Volke die Arbeit, dem Reichen das Vergnügen.

Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart.
Druck ,lnd Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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