Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0102
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

2181

Seiten so wüthig zusetzte, daß bald so gut wie nichts mehr von ihr
übrig war. Als er keinen Anarchisten mehr im Felde erblickte, ritt er
mit offenem Visir zu Hans zurück. Sein ganzes Gesicht glänzte von
stolzer Siegesfreude. „Von heute ab wird mein Name gleich der
Sonne durch die Welt strahlen und mein Ruhm nimmer vergehen!"
So sprach er und Hans Dickwanst küßte ihm mit Freudenthräncn die
Hand. Denn Narrheit steckt an und er war fast schon überzeugt, daß
die Vogelscheuche wirklich ein Anarchist gewesen sei. Jetzt war er sicher,
daß er Minister werden würde.

In einem kühlen Walde rasteten sie. Während der Junker sein
geistiges Auge auf die noch zu verrichtenden Großthaten lenkte, schnitt
Hans eine junge schwanke Eiche ab zu einem neuen Lanzenschaft.
Denn die Lanze seines Herrn war bei dessen grimmen Angriff aus
die Windmühle zersplittert; die Spitze hatte Hans aufgehoben. Als
sie sich wieder auf den Weg machten, ließ sich ein Pochen und Klopfen
vernehmen, das immer deutlicher wurde. Es kam von einer Walkmühle,
deren Anblick das Gebüsch den beiden Reitern verbarg. Der sinnreiche
Junker Scharf wußte aber das Stampfen sogleich zu deuten. „Das
i|t der Marsch der Arbeiter-Bataillone", rief er und setzte sich im Sattel
fest. „Reite voraus, Hans, und spähe, welche Richtung sie nehmen,
damit sie uns nicht entrinnen." Dazu war aber der tapfere Hand
unter keinen llinständen zu bewegen. Das Herz fiel ihm gänzlich in

die Hosen, und er drängte sich mit seinem Grauthier so dicht tt
möglich an seinen Herrn, um in ihin nöthigenfalls eine Deckuirg s
haben. Mit einem verächtlicheir Blick auf ihn ritt der Junker ras
vorwärts. Vor dem Walde erhob sich der Boden und als er den Kain
der Schwellung erreichte, sah er eine dichte Startbwolke auswirbeln, d
der Wind ihm entgegentrieb. So dicht sie war, des Junkers Adle
blick durchdrang sie. „Das siird die Heere der Sozialdemokraten. Vt
Norden, Osteir unb Süden wälzen sie sich heran. Bis hierher tu
nicht weiter, ihr Verruchten, euer letztes Stündlein hat geschlagen
So ries er und beschrieb feinem schlotternden Knappen, der nichts a
Staubwolken sah, die einzelnen Abtheilungen, die in Massen und w
rochen Fahnen heranzögen, rnid ttaititie ihm die wohlbekannten Rann
der Führer. Da vernahm Hans Laute aus bem Staube, die ihm d,
Herz tviedergaben. Der Junker aber setzte sich im Sattel zureck
rückte seine Tartsche vor die Artist und legte die Lairze ein. „S
deinen Schutz, heilige Agnes, befehle ich meine arme Seele, wenn >
in diesem ungeheuren Kainpse fallen sollte. Aber ich tverde siegelt, de,
n>it mir sind des Himmels Heerschaaren!" So rief er.

„Es sind ja Schase, gnädiger Herr", schrie Hans. Aber der si»
reiche Junker Scharf von der Saara stürmte schon den Hügel hinunte
Wie ein reißender Wolf brach er in die Herde und stach links u>
techts die auseinander stiebendett Thiere nieder. Schon bedeckten etlic
blutige Leichen das Schlachtfeld, als die vom Schrecken anfangs wie g

lähmten Hirten sich ermannten und zu den Feldsteinen griffen, da sic keine
anderen Waffen besaßen. Ein Steinhagel prasselte nicht nur auf den
Junker, sondern auch auf Hans, der ihn: beistehen Ivolltc, und so sicher
>tnd wuchtig trafen die Wurfgeschosse, daß beide zu Bodeti gestreckt wurden.

Sie waren jämmerlich zerschlagen, sowohl der sinnreiche Junker-
Scharf in seiner Blechrüstung, wie auch Hans Dicktvanst, und beide
hatten blutige Köpfe. Daß sie nicht todt waren, davon überzeugte der
Eine den Anderen durch sein Aechzen und Stöhnen. Und als sie sich
so weit erholt hatten, daß sie sich umschauen konnten, da glaubte Jeder,
daß er in seinem Lebe» nichts Kläglicheres als den Anderen gesehen
hätte. Dank seiner derberen Knochen konnte Hans zuerst sich regen;
er kroch zu detn gnädigen Herrn hin und half ihnr aus der über und
über zerbeulten Rüstung. Dann verbanden sie sich gegenseitig mit ihren
Sacktüchern, so gnt es gehen wollte, die Köpfe. „Ich glaube, daß die
Kerle mir alle Zähne ans dem linken Kinnbacken geschlagen haben; es
thnt höllisch weh", ächzte Junker Scharf. Hans steckte ihm den Finger
in den Mund und bestätigte die Befürchtung. „Alles glatt weg bis
auf den Weisheitszahn", sagte er, und der sinnreiche Junker seufzte:
„Wenn ich jetzt nur etwas von dem Zauberwasser des weisen Eugenius

hätte!" Zum Glück waren Esel und Pferd nicht weggelaufen. So
schleppte sich Hans denn zu seinem Grauchen und brachte die Schnaps-
flasche, aus der beide sich einigermaßen stärkten. Der Junker schlug
vor, das nächste Schloß anfzusuchen, um unter der Pflege zarter Frauen-
häude von ihren Wunden zu genesen. Hans war alles recht. Mit
vielen Schmerzen und Mühen lud er den Ritter von der traurigen
Gestalt auf seinen Esel, die zerdroschene Rüstung, Schild und Waffen
auf das Streitroß und nahm beide Thiere am Zügel. Aechzen und
Stöhnen pflasterten den Weg.

Nur eine bescheidene Landschänke war es, welche die Leidens-
gefährten bei sinkender Sonne aufnahm. Der sinnreiche Junker Scharf
hielt sie darum nicht weniger für ein Schloß, redete den Wirth als
Kastelan air und sagte den beiden Mägden, die ihm und Freund Hans
die Wunden wuschen und verbanden, überschwänglich höfisch süße Dinge.
Der Wirth und seine Edelfräulein verwunderten sich darob zivar nicht
wenig, sie hatten aber nicht viel Zeit weiter nachzudenken. Denn sie
hatten alle Hände voll mit den Vorbereitungen für den nächsten Tag
zu thun, an dem sie viele Gäste erwarteten. War es doch der Welt-
feiertag des Proletariats, der erste Mai. Hans Dickwanst schlief
sogleich ein und schnarchte wie eine Orgel. Der gnädige Herr von
der Saara lag noch lange wach und vergaß über seinen Phantasien
von herrlichen Siegen in der Zukunft seine Schmerzen in der Gegen-
wart. Als der Schlaf endlich den starken Helden übermannte, genoß
er im Traume die Früchte seiner unerhörten Thaten. In einer Rüstung,
die wirklich von Silber und reich mit Gold auögclegt war, den Helni
mit wallendeni Federbusche im Arni und einen Lorbeerkranz um das
Haupt, so schritt er nach dem Residenzschlosse, um den Dank des
Königs und der Königin zu empfangen. Ein zierlicher Page trug ihm
den Schild nach, ans dem jetzt ein brüllender Löwe gemalt war, und
die vornehmsten Herren vom Hofe in prunkender Tracht gaben ihm
 
Annotationen