Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0147
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2223

Ein Vorschlag,

Das „Bürgerliche Gesetzbuch" trägt seinen Titel mit Recht, denn
^ steht auf dem Boden der bürgerlichen Gestllschaftsordnung. Wir
schlagen nun vor auch das deutsche -eotrafgesttzbuch „Btirgerliches
Strafgesetzbuch" zu betiteln. Dieser Titel kommt ihm von Rechtswegen
Zu, da es offenbar auf bürgerliche Missethäter zngeschnitten war, während
es nach der schönen Theorie „Wenn Zwei dasselbe thun, ist es nicht das-
selbe" — die sich ja die neuere Kriminalpraxis vielfach zur Richtschnnr
gemacht hat, so anch in der Handhabung des Vereinsgesetzes (Prozeß
Auer und Genossen) — für proletarische Sünder lange nicht genügt; ein
schwerer Mißstand, ivclchcr Richter imb Staatsanwälte so manchmal
nöthigt, ihren Scharfsinn übermäßig anzustrengen, um die Paragraphen
künstlich zu interpretiren. Das Schicksal des „seligen" Brauseivcttcr zeigt,
wie gefährlich solche Ueberreizung des kriminalistischen Scharfsinns werden
kann. Man erhebe also die Praxis zur Theorie, nenne das geltende
Strafgesetzbuch „Bürgerliches Strafgesetz" und schaffe für das sozia-
liitische Proletariat ein „Arbeiter-Strafgesetz". Und für dieses haben wir
mre Idee, deren Genialität auch der Neid nicht wird bestreiten können.
Wahrend nämlich das bürgerliche Strafgesetz sämmtliche strafbare Hand-
lungen in besonderen Paragraphen namhaft macht, so daß alles, was
nm>. ausdrücklich mit Strafe bedroht wird, straffrei bleibt (soweit nicht
""setzt), wäre für das proletarische Strafgesetz das
Sni> Jc vorzuziehen. Es hätte nämlich mit dem allgemeinen

- ' was in den nachstehenden Paragraphen nicht

erlaubt ist, ,st strafbar. Art der Strafe und Höhe des

den Arbeitern erlaubtest Richter anheimgestellt." Folgt, was

b-iter darf schlafen " "Der Arbeiter darf essen.« „Ter Ar-

-uit eine.» rothen TaschMn^ester- darf sich schneuzen, aber nicht m
1. Biai nicht in SruMs T "Der Arbeiter darf spazieren gehen, am
Weise dürfte der IW, ^"dern höchstens selbander" u. s. w. Auf diese
sainmenschrumpfen Im-0 t proletarischen Strafgesetzbuches erheblich zu-
vrcußische Staat?»«» ^Zweifeln nicht, daß nanicntlich sächsische und
uns Dank dafür ^ Richter unseren Vorschlag zu würdigen und
wenn er die Sur« Cn "erden, da er sie von einer großen Last befreit,
___ '"Uimung der gesetzgebenden Faktoren finden sollte.


Hobelspähne.

Willst gegen den „Giftbaum" die Axt erheben,
Den Strick für den Terminhandel weben:

So prüfe wohl, mein lieber Christ,

Ob dein Brusttuch ganz sauber ist;

Ob du vielleicht nicht kurz zuvor
Gehauen jeniand über's Ohr,

Gewatet selbst in dem Morast,

Vom Giftbaum lüstern genossen hast.

Es könnte dir sonst leicht ergehn,

Wie's neulich Vater Plötz geschehn.

„In Parlamenten wird nur geschwätzt und
nicht gehandelt", sagt man. Das trifft aber
auf den deutschen Reichstag nicht zu, denn dort sind Liberale und Kleri-
kale stets zu einem Kuhhandel geneigt.

Man spricht von Erfurt gerne noch.

Wenn über Blumen diskutirt wird, —

Bald aber heißt's: „Ja so, das ist

Das Nest, wo immer konfiszirt wird!"

Jetzt treten die Junker auch schon für die Freiheit ein, aber diese
beschränkt sich nur auf die Wildsau, die ohne Entschädigung den Bauern
die Aecker verwüsten darf. , ,

Ihr sollt nicht schelten und klagen,
Wir lebten in schlechter Zeit!

Wohl macht sich in unseren Tagen
Der Rückschritt gar so breit,

Doch spricht auch für unsere Zeiten
Ein Merkmal stolz und frei —
Das ist das Vorwärtsschreiten
Der Sozialistenpartei.

Nachdem das preußische Lehrerbesoldungsgesetz abgelehnt ist,
sollte man den „Siegern von Sadowa" wenigstens einen Leierkasten be-
willigen, damit sie sich, wie andere Veteranen, eine bessere Lebenslage

erfechten können. cv&r .

'J°l 0etlcuer Säge, Schreiner.

„ »Ich habe den Moabiter Prozeß gegen die
Führer der Sozialdemokratie wegen Uebertretung
des 8 8 des Vereinsgesetzes aufmerksam gelesen,
in China wären ihre Köpfe vor dein GerichW-
gebäudc aufgesteckt worden. Wir sind auf diese
Weise immer Herr über den Umsturz geworden ,

fügte Li-Hung-Tschang hinzu. _,

Stumm, hoher Gedanken voll, entschloß sich
kurz, noch die weise Frau über seine Zukunft zu
befragen. Diese legte ihm die Karten und konnte
lange zu keinem bestimmten Resultat koinmen.
Endlich aber hatte sie das Richtige gesunden.

»Hier in Neunkirchcn", sagte sie zu den: Ge-
waltigen, „wohnen zwei Schulmeister; der Eim
geebt deutschen Sprachunterricht, der Aildcre Ge-
schichtsunterricht."

»Und was soll ich mit ihnen?" srug Stumm
„»Wenn Sie Reichskanzler werden wollen
müssen Sie sich mit diesen Beideil in Verbinduni
setzen. So verkündet das Orakel."

, Mehr war aus der Person nicht heraus zr
bringen. Stumm zog mit diesem Bescheid ab.

Er sann und sann und srug endlich sein-
Gattin. Diese aber schrie auf:

»Nein, diese freche Person!"

„Wie so?" meinte Stumm.

„Na, merkst Du denn nicht, daß Dir da-
Orakel sagt, Du müßtest Dich bei den zwci^Schul
meistern erst in Geschichte und deutscher Sprach

vervollkommnen, ehe Du Reichskanzler werde-
kannst?"

. Alst ging dem König Stumm, wie man sag.
cm Seifensieder auf und er schnaubte Rache,
■w'f beiden Schulmeister sahen sich bald g<
w'St. da§ Königreich su verlassen; die weis
^ 6-Cl ^"cht und Nebel aus Ncunkirchei
(u ™c'^' °b nicht diese Kartcnschlägerin d>
Geschicke Deutschlands verändert hat. Wenn ivi
mellt mit dem Strick um den Hals vor de,
üiichter erscheinen müssen und unsere Köpfe nick
vor dem Gerichtsgebäude in Moabit aufgcsteo

werden, dann haben wir ihr das vielleicht zum
guten Theil zu verdanken.

Siehst Du, lieber Jacob, so wird die Welt-
geschichte gemacht.

Dein geheimer Freund

Brösike,

Pastor im Königreich Stumm.

Die Schule

ist die Tochter der Kirche, sagen Klerikale und
Konservative, folglich muß sie ihr untergeordnet
sein. Hiernach haben die Antisemiten unter ihnen
kein Recht, sich über die angebliche „Judcnherr-
schaft" zu beklagen, da ja das Christenthum die
Tochter des Judenthiuiis ist.

Die Geiverstschaft in Hannover.

Erklärt hat die Behörde,

Daß sie „politisch" sei:

Ja, Alles ist politisch,

Nur nicht — die Polizei.

Eine Hautstranststrik
nannte der Antisemit Förster die Sozialdeniokratie.
Die Bezeichnung ist nicht ganz unrichtig, sofern
die Sozialdemokratie dahin wirkt, daß die Gesell-
schaft, wie sie einst die feudale Haut abgeworfen
hat, nun auch die kapitalistische abstreife. Dagegen
ist der Antisemitismus eine Art Hirnkrank-
heit, was dem Wort „der Antisemitismus ist der
Sozialismus des dummen Kerls" entspricht. Wieder
Andere meinen, er sei eine Nervenkrankheit,
sofern der nervus rsrum, woran cs den Anti-
semitenhäuptlingen so sehr mangelt, vor Allem
daran betheiligt ist.

Als der neue chinesische Botschafter Li Hung
Tschang gefragt wurde, wie es ihm in Deutsch-
land gefällt, soll er geantwortet haben: „Aus-
gezeichnet! Ich fühle mich hier wie zu Hause."

Allerhand Parlamentarisches.

Unser guter Reichstag kennt sich gar nicht
mehr aus vor lauter Sorge darüber, wie man
das deutsche Volk auf die schnellste und einfachste
Weise glücklich macht.

Wenn mai, behaupten wollte, sein Eifer sei
nicht allzu groß, weil ja eigentlich im hohen Hause
die leeren Sessel fast stets die Majorität haben,
so würde man ihm schwer Unrecht thun. Die in
Berlin abwesenden Reichsboten sind keineswegs
müßig, sondern sie reisen auf eigene Kosten int
Lande herum und sehen nach, wo es fehlt.

Da haben die Braven z. B. entdeckt, daß die
Hebet unserer Zeit hauptsächlich durch die Thätig-
keit der Detailreisenden verursacht werden.
Ein konservativer Abgeordneter begegnete einst
einem Hausirer, welchem er eine Schachtel Streich-
hölzer abkaufte. Noch keine acht Tage waren
seitdem vergangen, da waren alle Krämer der
Provinz bankerott, denir sie konnten den Verlust,
welchen der Hausirer ihnen durch seine Konkur-
renz zugefügt hatte, nicht verschmerzen.

Ein anderer Abgeordneter kaufte auf einem
Dorfe bei Magdeburg von einem Detailreisenden
eine blaue Brille, anstatt nach Berlin zu reisen
und die Brille in einem Laden Unter den Linden
zu kaufen. Die Brille war zwar billig und man
sah die Welt durch sie genau ebenso blau wie
durch die Berliner Brillen, aber die Ladeninhaber
Unter de» Linden klagten seitdem über schlechten
Geschäftsgang und forderten Schutz und Hilfe
von der Regierung. Das Ministerium nahm sich
der Sache an, Minister v. Bötticher hielt eine
Rede, in welcher er sich selbst als Versuchs-
kaninchen in Brillcnangelegenheiten darbot, und
siehe da, die Hausirer dürfen keine Brillen, keine
blauen Zwicker und keine Wetteranzeiger mehr
verkaufen. Man darf die Welt nur durch die
Brille Böttichers anschauen und diese muß in
Berlin hergestellt sein.
 
Annotationen