2237 -
Wunsch und goß ein Gläschen Gilka ein, welches der Alte mit einem
kräftigen Ruck leerte.
Selma setzte sich hierauf zum Vater, sah ihn ernst an und bat, das
Schnapstrinken zu lassen. „Der Arzt behauptct^daß Dir das viele Gilka-
trinken schadet; ja, es könnte Dir leicht einen Schlaganfall verursachen!"
„Weiß ich", antwortete der Alte, „aber ich muß das sozialistische
Gift, was ich durch die Lektüre des „Volksfreund" und in den sozial-
demokratischen Versammlungen einsauge, wieder aus dem Körper Heraus-
treiben. Da erweist sich der Gilka als ein vorzügliches Mittel — er
läßt mich Alles vergessen, er ist also für mich eine Medizin, ein „Anti-
sozialistikum."
„Höchst wunderbar, daß Du das Blatt liest, wenn es Dir nicht
zusagt", bemerkte Selma spitz.
„Politik, mein Töchterchen, Politik. Ich bin bei der politischen
Polizei, und um die
Bewegung am hiesigen
Orte zu kennen, muß
ich das Blatt lesen.
Es berichtet haarklein
über die Reden aller
Agitatoren der sozial-
demokratischen Partei.
Vor Allem beobachte
ich den Fabrikbesitzer
Winkler, der das
Haupt am hiesigen
Orte ist und die ganze
Umgegend bereist,
überall das sozialisti-
sche Gift ausstreuend.
Das ist ein geriebener
Mensch. Ich löste ein-
mal eine Versamm-
lung auf, in welcher
er über Regierung und
Polizei Herzog. Der
Gefoppte war ich —
ich bekam einen Rüffel
»er hat nur kriti-
sirt", hieß es. Ich
breche ihm doch noch
das Genick und ruhe
nicht eher, bis er hin-
tcr den „schwedischen
Gardinen" sitzt."
„Wenn es Dir
>uw gelingt, Papa",
sagte Selma. „Die
Sozialdemokraten sind
vorsichtig. Uebrigens
verfechten sie mir ihr
vetcö. Äler Ken Mst
—0V mu)i zu verbessern, ver s . Die paar
seine Ehre darin, den Arbeitern den Kops z» verkehrt mit
Dutzend Arbeiter, die er beschäftigt, bezahlt er 1)_ ' ^ verlangt,
ihnen, als ob sie Seinesgleichen seien. Und, es 1 Einvernehmen
daß alle Fabrikbesitzer so handeln. So zerstör e »Weheres Subjekt
zwischen den Arbeitern und ihren Herren. ’
kann es nicht geben, als diesen „Gemuchsmen • Selma. „Ich
„Ich sassc die Sache anders aus, Pap , . , jenue ihn
halte Herrn Winkler für einen Menschen von Ehre ,
näher." ^ f p, merte seine
Stubenhauer sprang entsetzt vonr Sop,a au g^s
Tochter an. In diesem Augenblick klingelte - und Selm ^ ^
ben Korridor, um zu össnen. Sic meldete rhr - ' Uniform
ihn zu sprechen wünsche. Stubenhaucr klerdcte s ) cin-
rwrd ging in das gute Zimmer, in das Selnra den Freu
geführt hatte.
Stubenhauer war wie aus den Wolken gefallen, als ihm Winkler
gegenüberstand, der ihm die Hand bot, die der Komurissar zögernd ergriff.
„Herr Kommissar", begann Winkler sicher, „wir sind zwar poli-
tische Feinde, aber ich hoffe, daß wir nach einer kurzen Aussprache uns
verständigen werden."
Stubenhauer zuckte die Schultern.
Winkler fuhr fort: „Ich lebe in geordneten Verhältnissen unb
beabsichtige mich zu verheirathen."
„Das brauchen Sie mir nicht zu melden, mein Herr",
entgegnete Stubenhauer kurz.
„Das Gesetz erfordert es", fuhr Winkler ruhig fort.
„Das Gesetz — Herr, wollen Sie mich verhöhnen?" schnauzte
Stubenhauer.
„Durchaus nicht", sagte Winkler gelassen. „Sie als der Vater mei-
ner zukünftigen Frau
müssen Ihre Einwilli-
gung geben."
Der Kommissar
stutzte einen Augen-
blick, daun brachte er
mühsam hervor: „Sie,
meine Tochter? —
Nimmermehr!"
Jetzt trat Selma
ein. „Wenn Du Herrn
Winkler das Jawort
verweigerst, so gieb es
mir, Papa", sagte sie
bittend. „Herr Wink-
ler ist ein edlerMcnsch,
er liebt mich und ich
liebe ihn ebenso. Keine
Macht der Erde trennt
mich von ihm."
Dem Kommissar
wurde schwindelig bei
diesen so bestimmten
Worten seiner Toch-
ter ; er wußte, daß sie
einen eisernen Willen
besaß, und da war es
gut, rechtzeitig einzu-
lenken. „Aber wie hast
Du denn den gefähr-
lichen Menschen,-
den Herrn Winkler,
wollte ich sagen —
kennen gelernt?" un-
terbrach der Alte die
entstandene unheim-
liche Pause.
„Das ist sehr einfach", entgegnete Selma. „Seine Schwester ist
meine beste Freundin. Wir kennen rurs aus der Schulzeit. Sie ist eine
glühende Sozialistin, und wenn ich sie besuchte, las ich mit ihr die sozia-
listische Literatur. Meinungsverschiedenheiten kamen öfter vor und Winkler
belehrte uns. So bin ich nicht nur eine überzeugte Sozialistin getvorden,
sondern ich liebe meinen politischen Lehrer. — Papa, Du bist auch von
der neuen Lehre angegriffen. Oft habe ich bemerkt, daß Du die Leit-
artikel des „Volksfreuud" mit Interesse lasest und darüber nachdachtest —
das gehörte doch nicht zu Deinen politischen Funktionen?"
Der Kommissar schwankte eine Weile, dann ergriff er Selma'S
Hand und legte sie in die Winkler's. „Hier haben Sie meine Tochter
— aber die offizielle Verlobung kann erst erfolgen, wenn ich außer
Diensten bin; — noch heute reiche ich mein Abschiedsgesuch ein."
„lind wie wird'S mit dem Antisozialistikum?" fragte schalkhaft
Selma.
„Brauchen wir nicht mehr", sagte der demnächstige Erkommissar.
„Ich muß mich für meine Familie erhalten und freue mich schon gar
zu sehr auf die — Großvaterschaft!"
Wunsch und goß ein Gläschen Gilka ein, welches der Alte mit einem
kräftigen Ruck leerte.
Selma setzte sich hierauf zum Vater, sah ihn ernst an und bat, das
Schnapstrinken zu lassen. „Der Arzt behauptct^daß Dir das viele Gilka-
trinken schadet; ja, es könnte Dir leicht einen Schlaganfall verursachen!"
„Weiß ich", antwortete der Alte, „aber ich muß das sozialistische
Gift, was ich durch die Lektüre des „Volksfreund" und in den sozial-
demokratischen Versammlungen einsauge, wieder aus dem Körper Heraus-
treiben. Da erweist sich der Gilka als ein vorzügliches Mittel — er
läßt mich Alles vergessen, er ist also für mich eine Medizin, ein „Anti-
sozialistikum."
„Höchst wunderbar, daß Du das Blatt liest, wenn es Dir nicht
zusagt", bemerkte Selma spitz.
„Politik, mein Töchterchen, Politik. Ich bin bei der politischen
Polizei, und um die
Bewegung am hiesigen
Orte zu kennen, muß
ich das Blatt lesen.
Es berichtet haarklein
über die Reden aller
Agitatoren der sozial-
demokratischen Partei.
Vor Allem beobachte
ich den Fabrikbesitzer
Winkler, der das
Haupt am hiesigen
Orte ist und die ganze
Umgegend bereist,
überall das sozialisti-
sche Gift ausstreuend.
Das ist ein geriebener
Mensch. Ich löste ein-
mal eine Versamm-
lung auf, in welcher
er über Regierung und
Polizei Herzog. Der
Gefoppte war ich —
ich bekam einen Rüffel
»er hat nur kriti-
sirt", hieß es. Ich
breche ihm doch noch
das Genick und ruhe
nicht eher, bis er hin-
tcr den „schwedischen
Gardinen" sitzt."
„Wenn es Dir
>uw gelingt, Papa",
sagte Selma. „Die
Sozialdemokraten sind
vorsichtig. Uebrigens
verfechten sie mir ihr
vetcö. Äler Ken Mst
—0V mu)i zu verbessern, ver s . Die paar
seine Ehre darin, den Arbeitern den Kops z» verkehrt mit
Dutzend Arbeiter, die er beschäftigt, bezahlt er 1)_ ' ^ verlangt,
ihnen, als ob sie Seinesgleichen seien. Und, es 1 Einvernehmen
daß alle Fabrikbesitzer so handeln. So zerstör e »Weheres Subjekt
zwischen den Arbeitern und ihren Herren. ’
kann es nicht geben, als diesen „Gemuchsmen • Selma. „Ich
„Ich sassc die Sache anders aus, Pap , . , jenue ihn
halte Herrn Winkler für einen Menschen von Ehre ,
näher." ^ f p, merte seine
Stubenhauer sprang entsetzt vonr Sop,a au g^s
Tochter an. In diesem Augenblick klingelte - und Selm ^ ^
ben Korridor, um zu össnen. Sic meldete rhr - ' Uniform
ihn zu sprechen wünsche. Stubenhaucr klerdcte s ) cin-
rwrd ging in das gute Zimmer, in das Selnra den Freu
geführt hatte.
Stubenhauer war wie aus den Wolken gefallen, als ihm Winkler
gegenüberstand, der ihm die Hand bot, die der Komurissar zögernd ergriff.
„Herr Kommissar", begann Winkler sicher, „wir sind zwar poli-
tische Feinde, aber ich hoffe, daß wir nach einer kurzen Aussprache uns
verständigen werden."
Stubenhauer zuckte die Schultern.
Winkler fuhr fort: „Ich lebe in geordneten Verhältnissen unb
beabsichtige mich zu verheirathen."
„Das brauchen Sie mir nicht zu melden, mein Herr",
entgegnete Stubenhauer kurz.
„Das Gesetz erfordert es", fuhr Winkler ruhig fort.
„Das Gesetz — Herr, wollen Sie mich verhöhnen?" schnauzte
Stubenhauer.
„Durchaus nicht", sagte Winkler gelassen. „Sie als der Vater mei-
ner zukünftigen Frau
müssen Ihre Einwilli-
gung geben."
Der Kommissar
stutzte einen Augen-
blick, daun brachte er
mühsam hervor: „Sie,
meine Tochter? —
Nimmermehr!"
Jetzt trat Selma
ein. „Wenn Du Herrn
Winkler das Jawort
verweigerst, so gieb es
mir, Papa", sagte sie
bittend. „Herr Wink-
ler ist ein edlerMcnsch,
er liebt mich und ich
liebe ihn ebenso. Keine
Macht der Erde trennt
mich von ihm."
Dem Kommissar
wurde schwindelig bei
diesen so bestimmten
Worten seiner Toch-
ter ; er wußte, daß sie
einen eisernen Willen
besaß, und da war es
gut, rechtzeitig einzu-
lenken. „Aber wie hast
Du denn den gefähr-
lichen Menschen,-
den Herrn Winkler,
wollte ich sagen —
kennen gelernt?" un-
terbrach der Alte die
entstandene unheim-
liche Pause.
„Das ist sehr einfach", entgegnete Selma. „Seine Schwester ist
meine beste Freundin. Wir kennen rurs aus der Schulzeit. Sie ist eine
glühende Sozialistin, und wenn ich sie besuchte, las ich mit ihr die sozia-
listische Literatur. Meinungsverschiedenheiten kamen öfter vor und Winkler
belehrte uns. So bin ich nicht nur eine überzeugte Sozialistin getvorden,
sondern ich liebe meinen politischen Lehrer. — Papa, Du bist auch von
der neuen Lehre angegriffen. Oft habe ich bemerkt, daß Du die Leit-
artikel des „Volksfreuud" mit Interesse lasest und darüber nachdachtest —
das gehörte doch nicht zu Deinen politischen Funktionen?"
Der Kommissar schwankte eine Weile, dann ergriff er Selma'S
Hand und legte sie in die Winkler's. „Hier haben Sie meine Tochter
— aber die offizielle Verlobung kann erst erfolgen, wenn ich außer
Diensten bin; — noch heute reiche ich mein Abschiedsgesuch ein."
„lind wie wird'S mit dem Antisozialistikum?" fragte schalkhaft
Selma.
„Brauchen wir nicht mehr", sagte der demnächstige Erkommissar.
„Ich muß mich für meine Familie erhalten und freue mich schon gar
zu sehr auf die — Großvaterschaft!"