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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0203
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Blihdrahl-Meldmigrn.

Berlin. In Ministerkreisen herrscht noch lebhafte Unruhe infolge
der letzten Fälle von plötzlichem Auftreten des Lukanus. Man verläßt
das Haus nur mit größter Vorsicht und bringt Nachts Sicherheitsketten
an den Thürcn an.

— Es soll sich neuerdings in Berlin eine Neben-Regierung
ctablirt haben. Dieselbe fällt unter 8 128 und 129 des Reichsstrafgesch-
buches und ihre Auflösung soll alsbald verfügt werden, worauf die Mit-
glieder vor das Strafgericht kommen. Sozialisten sind nicht bctheiligt.

Dortmund. Der Katholikentag hat für alle vergangenen und zu-
künftigen Umfälle des Zentrums im Reichstage eine Gencralabsoluiion
erthcilt.

Breslau. Der Zar erkundigte sich, als er nach Deutschland
koinmen wollte, in welcher deutschen Stadt die politischen Zustände am
meisten an Rußland erinnern. Die Wahl siel auf Breslau, obgleich
einige sächsische Städte stark konkurrirten.

Bulgarien. Hier giebt es jetzt häufig Ministerkrisen. Es findet
infolgedessen lebhafter Zuzug reisender Handmerksburschen statt, welche
eine Minister-Stellung zu finden hoffen.

Die Genie.

Die Lrnte ist hcreingebracht.

Die Halme sanken nieder.

Und seine Scheuern sieht gefüllt
Der große Grundherr wieder.

Doch diese Lrnte ist cs nicht
Mit ihren reichen Gaben,

Die seinen Sinn erfreuen kann,

Lr fordert Liebesgaben.

Die wird man erst zur Winterszeit
Im Reichstag ihm ertheilen,

Bis dahin muß in bittrer Roth
Lr unterm Strohdach weilen.

Ruch des Lukanus Lrnte war
Nicht allzu mager Heuer,

Lr heimste zwei Minister ein
Und trug sie in die Scheuer.

Die Zünftler waren auch im geld
Und banden ihre Garben,
wobei sie wohlverdienten Spott
Uls Lrnte sich erwarben.

Die reichste Lrnte aber fand
Die sozial! st sch e Presse
Sie erntete im deutschen Land
Unzählige Preßprozesse.

Hobrlsxähne.

Ich biu der Schreiner Säge,

Und schccre mich wenig drum,

Ob Hinz oder Kunz als Minister
Läuft in Berlin herum.

Sie müssen ja alle reden
Ganz in deinselben Ton,

Sie müssen ja alle dienen
Der alten Reaktioil.

Diejenigen Leute, welche gegen jede Bes-
serung der sozialen Zustände sind, nennen
sich die besseren Stände.

Sagt nicht, es sei nutzlos verschwendet,

Was ans Kolonien mau wendet —

Es blüht ja in der Kolonie

Die Nilpferdpeitschen-Jndnstrie.

„Es gelingt nicht mehr," sagt mau immer, aber der Sturz des
Kriegsministers Schellendorf ist unstreitig gelungen, denn man be-
zeichnet ihn als ein Kabinet-Stück.

Mag in der Sommerstille
Die Politik auch ruhn,

Es giebt auf einem Gebiete
Doch immer viel zu thun.

Die Sozialistenvcrfolgung,
Sie blühet weit und breit,

Die Sozialisten haben
Nie Saure-Gurken-Zeit.

Die Entdeckung des Nordpols ist bisher in höchst unziveckmäßiger
Weise angestrcbt ivorden. Man möge doch statt der Naturforscher ein
paar Berliner Polizeispitzel hinaussenden, die werden den Nordpol
sofort ausgeschnüffclt und mit Beschlag belegt haben.

2hr getreuer Säge, Schreiner.

Vor dem Einbruch der Erobrer,

Die Europa uns gesandt.

Doch sie könnten wiederkommen,

Jene unverzagten Stürmer

Auf dem „Fram", denn sie sind zähe,

Und der „Frain", er ist kein „Iltis".

Das Geheimniß lockt gewaltig,

Und die Neugier der Gelehrten
Ist erregt in höchstem Maße.

Daruin — daß ihr Ruhe haltet,

Ferner nicht den Frieden störet
Unsres cisumstarrten Eilands —

Wollen selbst wir Kunde geben
In des „Wahren Jacob" Spalten,

Von des Nordpols Sein und Wesen,

Von der Erde schönster Perle,

Von der Freiheit letzter Statt.

So vernehmt: Die Eisgefilde,

Die des Forschers Blick gesehen,

Bilden die erstarrte Brandung
Eines offnen blauen Meeres,

Und aus dieses Meeres Fluthen
Hebt des Nordpols sel'ge Insel
Sich in weißer Pracht enipor.

Hier, unnahbar dem Getriebe
Roher Herrschsucht, feiler Goldgier,

Wehet noch der Freiheit Odem, ^

Und ivir Menschen sind noch glücklich.
Denn kein Zar hier herrscht, kein Sultan,
Keine Soldateska kennt man,

Die den Mord als Handwerk übet,

Sich als Herr im Land geberdet
Und der Bürger Habe frißt.

Hier giebts keine Chauvinisten,

Hier giebts keine Rassenhetzer,

Auch für Diplomatenränke

Giebt's hier Anlaß nicht, noch Spielrauin.

Hier giebt's keinen „hohen Adel",

Weder Orden giebt's, noch Titel,

Um die Narren auszuzeichnen,

Die sich über andre Menschen
Dünkelhaft erheben wollen.

Etivas kühl zwar ist's am Nordpol,

Denn kein Steuer-Exekutor
Komnit, den Leuten „einzuheizen";

Auch Gerichts- und Kirchensportcln
Fordert Niemand; keinen Schutzzoll,

Keine Nahrungsinittelsteuer
Kennt man, und die dumme Frage,

Ob die Währung Gold, ob Silber
Sein soll, läßt uns gänzlich kalt.

Keine Jndustriebarone
Halten hier das Volk im Joche,

Uni Millionen zu erpressen
Aus der Armen Schweiß und Blute;
Auch von feilen Spitzeln sah man
Niemals eine Spur am Nordpol,

Polizei und Staatsanwälte
Geben hier sich keine Mühe,

Uin die Sonne zu verdunkeln,

Um das Nordlicht auszublasen,

Oder, was derselbe Wahnwitz:

Wort und Schrift zu unterdrücken.

Wir, des Nordpols freie Söhne,

Spotten drum der großen Lüge,

Welche Ihr „Kultur" benamset;

Und als echte Kommunisten
Theilen wir des Meeres Schätze,

Und wir wünschen: ferne bleibe
Eivig uns der Wust und Januner,

Ewig uns die Roth und Plage
Eurer abgelebten Welt."

Also schrieb der Sohn des Nordens,

Und der „Wahre Jacob" ivarnet:

Laßt die Leute doch in Ruhe,

Kinder, geht nicht an den Nordpol!

M. K.

Neuestes aus dein Laude der Dichter.

— In Schöppenstedt wurde Schillers „Bürg-
schaft" wegen des von „Möros, den Dolch im
Gewände" beabsichtigten Attentats als anarchisti-
sches Gedicht verboten.

— In Schildburg wurde ein Konzertsänger,
der das Gedicht „Es war ein König in Thule"
vortrug, wegen Majestätsbeleidigung verhaftet.
In der Zeile „dein sterbend seine Buhle einen
goldnen Becher gab", erblickt die Anklage eine
Beleidigung des Landesherrn.

— Konfiszirt wurde in Trippstrill eine Lieder-
sannnlung wegen des bekannten von Schubert
komponirten Liedes: „Das Wandern ist des
Müllers Lust", welches geeignet sei, dem Väga-
bundiren Vorschub zu leisten.

— In Muckerhausen wurde sännntlichen Mit-
gliedern eines Gesangvereins, der das Lied vor-
trug „Sah ein Knab' ein Röslein stehn" ein Straf-
mandat tvegen groben Unfugs zugcstellt. Eine
alte Jungfer hatte an dem erotischen Inhalt
Äergerniß genommen.

— Wegen Gotteslästerung ist in Pfaffenbach
ein Bürger wegen des Ausrufs: „Ach Gott, ivie
ist die Welt so schlecht!" zu Gcfängniß verurtheilt
ivorden. In dem Erkenntniß wird ausgeführt:
da die Welt das Werk Gottes ist, so sei ein solcher
Ausruf eine Gotteslästerung.

— In Lauterbach sang ein barfüßiger Kuhjunge
das Lied: „In Lanterbach Hab' ich mein' Strumpf
verloren." Er wurde wegen Behauptung falscher
Thatsachen zu drei Tagen Haft verurtheilt.

An Gründen sohlt's ihm nicht.

N.: Für Togo soll schon wieder ein höherer
Reichszuschuß bezahlt werden?

x. (Kolonialschwärmer): Ja, natürlich, weil die
Kolonie riesig aufblüht und sich vergrößert.

N.: So, und warum denn wieder mehr Geld
für Kamerun?

X.: I, selbstverständlich, weil die Kolonie ja
kolossal zurückgeht.
 
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