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Zwei Groschen gab' ich, hält' ich erst Bescheid,
Daß man von hinten sachtsani ihn belehrt,
Wie man die Ueberzeugung wechseln kann!
Es lebe Rußland!" schließt der gute Mann.
Sein kleiner Finger winkt. Die Schergen nah».
Und hoscnlos wird Popoff fcstgeschnürt.
Ein Heer von Gaffern drängt sich in die Bahn,
Als man ihn durch die Newskistraßc führt.
Die Gartenstraße schwankt der Zug hinan
Der Kettenbrücke zu, wo, unberührt
Vom Zeitcnwechscl, prangt ans stolzer Schau
Der russischen Themis weltbekannter Bau.
Der Polizeichef, dem der Auftrag worden,
Er bringt den Sünder seinem Herrn Kollegen.
Ein schwarzer Frack, bedeckt mit vielen Orden,
Ein Leugesicht, erfahren allerwegen
In Hochverrathsprozcssen und in Morden, -
Das ist der Mann, der Popoff tritt entgegen.
Selbst des Maltheserkreuzes blendend Funkeln
Muß vor des Auges Blitzen sich verdunkeln.
Bei welchem Regiment er früher stand,
In welchen Schlachten er fein Blut vergossen,
Stuf welcher Wahlstntt er die Orden fand,
Die blnmcnglcich der Heldeubrust entsprossen:
Das freilich ist uns Laien unbekannt!
Doch wie dem sei, gleich einein Leidgenossen
Tritt er zu Popoff, bittet Platz zu nehmen
Und sich allhier ein Weilchen zu bequemen.
Der sitzt allein im dänimernden Gemach,
Judcß der Schlüssel in der Thiire knarrt,
Und denkt betrübt dem bitter» Schicksal nach.
„Der Kasus freilich ist besondrer Art!
Ein Funke fiel ins Stroh— nun brennt das Dach!
Wie kam das nur? Hat mich ein Traum genarrt?
Wer kann die Folgen dieses Streichs ermessen?
Iwan! So ganz die Hosen zu vergessen!"
Und wieder dreht der Schlüssel sich. Ein Greis,
Dcß Haupt umwallt von silberweißer Mähne,
In blauem Waffcnrocke/ schreitet leis
Durchs Wartezimmer. Eine große Thräne
Rinnt über welke Wangen hell und heiß
Und tropft hernieder auf des Bartes Strähne.
Mit wehmuthvollem Angesicht er spricht:
„Der also ist's! Welch' Kinderangesicht;
„Als ob er an der Mutterbrust noch tränke!"
Dann laut: „O Jüngling! Nie vergaß ich Dein!"
(Popoff war über vierzig Jahr, man denke!)
„Ach! Deine Mutter kannt' ich schon als klein.
Wenn ich den Blick in alte Zeiten senke,
Umkränzt ihr Haupt ein lichter Heil'genschein!
O, daß die Herrliche so früh gestorben!
Nicht war' ihr Sohn im Sündenpfuhl verdorben!
„Doch Mitleid mit dem Sünder ziemt dem Frommen,
Dein zweiter Vater, Jüngling, will ich sein,
Das Schäflein, das im Weltgewühl verkommen,
Am Abgrund holt's der Fuß des Hirten ein;
Und hat er's liebreich auf den Arm genommen,
Erstrahlt aus Sündeunacht der Gnade Schein.
Drum magst Du Alles offen mir verkünden:
Wer hat Dich, Sohn, verstrickt in solche Sünden?
„Sie selber wären nie so weit gegangen!
Wie rein und schuldlos waren Sie als Kind!
Noch seh' ich Sie, wie Sie mit heißen Wangen
Den Schmetterlingen nachgelaufcn sind!
Doch falsche Freunde haben Sie gefangen
Mit Lug und Trug — Ihr Auge wurde blind!
Die Wahrheit wird dies Räthsel bald erhellen.
Drum offen: Wer sind Ihre Spießgesellen!
„Sie bleiben stumm? — Sie wollen's mir verhehlen?
So jung und so verstockt? —- Bedenke, Sohn:
Wirst Du die volle Wahrheit nicht erzählen.
So sing'ich Dir ein Lied in anderm Ton!
Ganz, wie Du willst! Es soll an mir nicht fehlen!
In Dcniuth wandl' ich Deinen frechen Hohn!
Bald ist die letzte Gnadenfrist verflossen —
Zum letzten Mal: Wer waren die Genossen?"
Popoff erwidert würdig: „Sie verzeihn!
Gern zeigt' ich Ihrem Wunsche mich gewogen,
Jedoch, bei Gott! es ist unmöglich! Nein!
Thut Einer etwas nicht, so wär's gelogen,
Sprach' Einer von Komplott! Ich ganz allein
Hab' heute nicht die Hosen angezogen!
Und dröhn Sie mit des Himmels schwerster Rache,
Ich schwöre: Keiner half mir bei der Sache!"
„Nur nicht geflügelt; frecher Sansculott!
Ihr Lügen wird die Sünde nur erschweren.
Heraus damit! Wer war mit im Komplott?
Die Namen, Freund, dem Vaterland zu Ehren!
O wüßten Sie, was Ihrer harrt: bei Gott!
Der Schrecken würde gleich Sie sprechen lehren!
Doch meine Langmuth heißt mich Ihnen schenken
Ein halbes Stündchen Zeit noch zum Bedenken.
„Hier ist Papier! Ergreifen Sie die Feder
Und schreiben Sie! Denn bleibt der Bogen leer,
So soll das neungeschwänzte Riemenleder—"
Wildfuchtclnd fährt der Arm die Kreuz und Quer.
Vor solcher Aussicht wird zum Schurken Jeder.
Popoff erblaßt und niacht sich drüber her
Und kritzelt ein paar Dutzend brave Namen,
Wie sie ihm grade in die Feder kamen.
Zwei Brüder Schilakow, ein Schund, ein Lehmann,
Scrzalow, Palkin, Sawitsch, Rosenbach,
Schulgin, Budimbudeikorow und Seemann,
Potantschikow, Strashenkow, Todt und Flach,
Delavergange, Graschaiberez und Kleemann,
Stich, Papkow, Jljiu, Ribin, Schindeldach,
Madame de Saint-Aubain, Herr Krückenreiter,
Burdjug-Lischai, Bagravi und so weiter.
Er schreibt und schreibt. Die blinde Willkür waltet.
Die besten Freunde kommen aufs Papier!
(Wie doch die Furcht den Menschen umgestaltet!
Von einem Gott sinkt er herab zum Thier.)
Eh' Popoff jetzt den vollen Bogen faltet,
Durchfliegt er schnell das klägliche Brevier.
„Pfui", schreit er, „pfui! Das hast du schlecht
gemacht!"
Und springt empört vom Stuhl auf und — erwacht.
Die Morgensonne färbt des Himmels Wangen
Und spielt im Fenster mit den weißen Rosen,
Und friedlich an des Sessels Lehne hangen
Die goldbelitzten, vielentbehrten Hosen,
Geputzt von Iwan auf des Herrn Verlangen.
Voll Rührung grüßt Popoff die Ahnungslosen;
Kaum nimmt er Zeit, das Strumpsband sich' zu
knüpfen,
Um in die langvermißten schnell zu schlüpfen.
„O Wonne! Alles war ein Traum! So rein,
Wie dieses Morgenlicht, ist meine Seele!
Budimbudeikorow sperrt Niemand ein!
O Glück! Kein Strang bedroht Strashenkows Kehle!
Madame de Saint-Aubain kann ruhig sein!
Sawitsch träumt süß inmitten seiner Pfähle!
Die Brüder Schilakow sind nicht gekettet!
Und ich von Schuld und Schurkerei gerettet!"
Ich seh', der liebe Leser rümpft die Nase,
Und manches edle Herrchen ruft empört:
„Was soll die federleichte Seifenblase,
Die Kindervolk und Narren nur bethört?
Kein Wort ist Wahrheit, alles leere Phrase!
Wo hat der Mann in aller Welt gehört,
Daß je sie Einen ohne Hosen trafen,
Um wegen Hochverraths ihn zu bestrafen?
Und wo soll der Minister sein, wir bitten,
Der so dem Pöbel schmeichelte und log?
Wohl sind wir ganz erklecklich fortgeschritten,
Doch wann ward ein Minister Demagog?
Fünf Rubel wett' ich, daß in unfern Sitten
Der gute Mann sich ganz erstaunlich trog!
In Frankreich mag dergleichen wohl geschehn.
Doch wir in Rußland haben's nie gesehn!"