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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0218
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2292

Der Sieg in (Rothcr. <4«^-

VTian hat alle Steine auf uns gehäuft,
Dies gab, um uns zu erdrücken,

Man hat uns in der Tinte ersäuft,
Verfolgt uns mit jeglichen Tücken.

Man hat uns bezeugt mit Siegel und Brief,
Die Zukunft sei uns verloren,

And Alles müsse uns gehen schief,

Als Pechvögel fei'n wir geboren.

Man lietz uns ersticken im eigenen Fett,
Man liest uns Irrlichter winken
And hat sich's ausgemalt gar so nett,
Alle wir im Sumxfe versinken.

Man hat uns todtgesagt tausend Mal,
And dennoch sind wir am Leben
And haben bei dieser glorreichen Wahl
Den schönsten Beweis gegeben.

wir haben ein halbes L^erzogthum
Auf einmal im Sturm genommen
And all die Philister dumm und stumm,
Die wissen nicht, wie es gekommen.

Sie brüten, was nunmehr wird geschehn
Und was man mit ihnen jetzt mache,
And ob man den rothen Hahn wird sehn
Jetzt bald aus dem nächsten Dache.

Ihr lieben Philister, beruhigt euch,

Ls wird noch viel besser kommen,

So wie das Herzogthunr wird das Reich
Von uns auch einst noch genommen.

Blaue Republikaner.

„Der russische Hofzug fährt zwischen
Paris und Cherbourg spazieren. In
den Stationen bringt das Publikum
den Waggons dieses Zugs, die zwar
leer sind, in denen aber der Zar ge-
sessen hat und sitzen wird, enthusiastische
Ovationen dar."

So ist es recht, ihr feisten, „blauen" Bürger,
Ihr würd'gen Lnkel der Cyrcmnenwürger,

Der kühnen Ltürmer des Bastillebaus!

Ihr seht den leeren tzofzug eines Zaren
Nit offnem SUunb an euch vorüberfahren
Und brecht in taufendstimm'gen Jubel aus.

wie könntet ihr es schnöde auch vergessen?

In diesem Wagen hat ein Zar gesessen
Und an den Rissen haftet noch sein Duft!

In diesem Wagen wird er wieder sitzen
Und eure Augen, Lnkel Dantons, blitzen
Und die Dylinder fliegen in die Luft!

Laßt euch vom fernen Petersburg mit frommen
Gefühlen doch des Zaren Aachrstuhl kommen
Auf dem der Gute öfters schon geschwitzt.

Leer wird er freilich sein, es hat indessen
Lin Zar —bedenkt: ein Zar! — darauf gesessen,
Genug des Grundes, daß ihr euch erhitzt.

Europäischer Theaterbericht.

Das Repertoire des Weltthenters ist zur Zeit
nicht besonders reichhaltig. Dem Geschmackc des
Publikums entsprechend werden Spektakelstücke be-
vorzugt. Das populärste derselben, betitelt „Die
Armenier", macht im Osten Europas noch
immer volle Häuser (da aus Furcht vor Knüttel-
männern Niemand gern das Haus verläßt). Das
Stück hat die Tendenz, den Absolutismus in seiner
ganzen Verwerflichkeit zu zeigen. Es fungircn
dabei russische und englische Koulissenschieber, wäh-
rend sonstige europäische Botschafter als Statisten

Mitwirken. Die Ausstattung ist sehr splendid,
es werden platzende Bomben und großartige
Massacres vorgeführt, die Handlung dagegen ist
äußerst lahm, denn sie besteht nur in Zwiegesprächen
zwischen den sogenannten Mächten und der Pforte.

In Westeuropa wollte man zu Ehren des zu
Besuch erschienenen Zaren ein Konkurrenz-Unter-
nehmen inszeniren, bestehend in dem Spektakel-
stück „Die Bomben der Fenier"; das Stück
ist abgcfallen ivegen Ungeschicklichkeit der Regisseure,
welche in ihrer bisherigen polizeilichen Amtsthätig-
kcit nur kleinere anarchistische Bombcn-Polterabend-
scherze zu arrangiren hatten und zn einer größeren
Aufführung das richtige Talent nicht besaßen.

Auf dem Gebiete der Tragödie sind wenige
Novitäten erschienen. Es ist hier das düftere
Trauerspiel „Iltis" zu crivähucn, welches vor-
führt, ivic ein gewaltiger Staat ein veritables
Sargschiff dienstlich herumschwimmeu läßt, bis es
mit Gesang und Hurrah der Bemannung untergeht.

In Deutschland ist auch ein soziales Trauer-
spiel „Die Arbeitslosen-Statistik" er-
schienen, welches sehr lehrreich ist, aber leider
nicht die genügende Beachtung findet.

Aufsehen macht auch das Jntrigueustück
„Schwarze Listen", welches die Anmaßung
großer Industrie-Barone und die Streberei von
Beamten, Aufsehern re. ins rechte Licht stellt.

Ain meisten ist auf dein europäischen Theater
die Posse vertreten. Neuerdings macht in Berlin
„Der Wecker", Posse mit Posaunensoli von
Jskraut, großen Effekt. Ganz Berlin lacht
darüber. Auch die alte Posse „Die Zünftler"
mit Lamentationen und Meistergesang, erzielt noch
bei jeder Ausführung große Hciterkeitserfolge.
Ferner ist der „Geschundene Raubritter",
dieses alte Effektstück der Jahrmärkte, in neuer
Bearbeitung erschienen. Es stellt einen aus alt-
adeligem Raubritterhause eutstamnrten Agrarier
dar, der durch die billige» Brotpreise ruinirt ist
und von Gerichtsvollziehern geschunden wird,

worauf er im Publikum Liebesgaben sammelt,
um sich eine neue Haut zn kaufen. Endlich trägt
auch die sächsische Lokalposse „Nu äben", welche
häufig aufgeführt wird, zur Belustigung des
Publikums bei. Sie führt in ergötzlicher Weise
die abenteuerlichen Schicksale des Rentiers Bemm-
cheu vor, welcher in seiner Mütze Maikäfer sam-
melte, daraufhin wegen Veranstaltung einer nicht
polizeilich erlaubten Versammlung ins Gefänguiß
kam, dort nächtlich eine dem Staate gehörige
Wanze tödtete und so auf der Bahn des Ver-
brechens nach und nach aufs Schaffot gelangte,
dort aber glücklich gerettet wurde, weil sein Ge-
burtsschein nicht zu finden war und weil man
einen Menschen, dessen Geburt nicht zu erweisen
ist, auch nicht hinrichten kann.

Unter den Darstellern des europäischen Welt-
tbcaters befinden sich gegenwärtig keine besonders
hervorragenden Kräfte. Der erste Held und Lieb-
haber Hohenlohe ist für dieses Fach schon etwas
zu alt; der Jutriguant Crispi ist nicht mehr
aktiv und der neu engagirtc russische Tragöde
Nikolai hat zu sehr.das Koulissenfieber. Nur
Herr Faure macht noch Effekt als Verkleiduugs-
künstler; bald erscheint er als Konservativer, bald
als Radikaler, im Handumdrehen verwandelt er
sich in einen Liberalen, um sofort als echter Ultra-
moutaner Bewunderung zu erregen. Zur Zeit
ist er monarchisch bis auf die Knochen, nimmt aber
Abends Unterricht in Sozialismus. Der frühere
große Schauspieler Bismarck findet nur noch
als komischer Alter in kleineren Possen Verwen-
dung, der Komiker Koller ist ganz verschollen
und der Naturbursche Schellendorf wurde
mitten in der Sommersaison plötzlich entlassen
und der Theaterfeuerwehr zugethcilt. So bleiben nur
untergeordnete Kräfte übrig, ivie Stumm, Ben-
nigsen, Lieber, die sämmtlich mehr im konii-
schcu Fache wirken; die Rezenscutin des Welt-
theaters, die Sozialdemokratie, weiß wenig
Gutes von ihnen zu berichten.
 
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