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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 13.1896

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https://doi.org/10.11588/diglit.8183#0230
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— 2304

>> (Effert - Tilfit.

Instruktion für Geschworene.

Öler da frelfprlcbt und verdammt
Hiebt ein ehrenvolles Amt.

Diesen iRubm nie zu verteherzen»
Oebm' er folgendes zu Derzeit.

Menu du Artbeil sprichst» alsdann
Sieb dir erst den /Ibenseben an.

Durch die blassen» bohlen Mangen
Schimmert tündlicbes verlangen.

Sind die Wacken voll und rund»

Dann itt auch das Derz gesund.

Der Besitz giebt auch Moral.

Mer nichts bat» dem ttt's egal:

Ztt bis oben voll Gemeinheit»
Doebverratb und Mord und Meineid,
vor Gericht und mitellos?

Gieb dem Ikerl den Gnadenttotz!

Mas man nennt ein gutes Leichen,
Das toll nicht dein Derz erweichen.
Ztt er unbestraft bisher»

Das belastet ihn noch mehr;

Denn Verstellung» Deuchelei
Ztt das Schlimmste noch dabei.

Dieses mutzt du stets bedenken
And danach dein Artheil lenken»

Das» was scheinbar für ihn spricht»

Grade das als Schuldgewicht
Zu die böte Schale wertend.

So itt alles ftrafvertehärfend.

Aber Neht vor dir ein Mann»

Der es hat und der es kann»

O» to frage zehnmal dich:

That er es auch sicherlich?

Mar für Ordnung er und IRub’,

Drau' ihm doch nichts Schlechtes zu.

Mer stets mit dem Fürsten hielt»

Glaubst du» dasz der lügt und stiehlt?

And wer liebt die Religion,

Der toll fein ein Teufelslohn?

Ztt er dennoch nicht ganz rein»

Dann kommt das vom schweren Mein,
Dem der Wette selbst erliegt»

Menn er 'mal zuviel gekriegt.

Lrutt» ja ernst ist deine Pflicht.

Drum vergisz nur dieses nicht:

Ordnung» Sitte» Vaterland
Muht in des Getchwornen Dand!

Der wahre Jacob.

Zur Berufswahl.

DXiein Lohn! Nicht jeder Mensch aus Lrden
Wählt sich mit Umsicht den Beruf.

Und klagt sodann mit Gramgeberden,

Daß er sich bittre Leiden schuf.

Drum, lieber Lohn, sei du hübsch klug »nd weise
Und mach' als Lchutzmann deine Lebensreise.

Bist du erst Lchutzmann. kannst du lackten,
Da's keinen Zügel für dich giebt;

Du darfst so ziemlich Alles machen.

Was deiner Herrlichkeit beliebt,

Brauchst dir sogar den Lcherz nicht zu versagen.
Mit deiner Plempe blind drauf los zu schlagen.

Denn sollte selbst heraus es kommen
(Und das wird selten nur geschehn!)

Daß du die Freiheit dir genommen.

Als Inquirent zu weit zu gehn.

Zu tief zu hauen und zu derb zu stechen.

Lo wird dir das noch lang den Hals nicht brechen.

Gesetzt, es hätte ein Herr Richter.

Der nicht bei der Reserve war
(Lie schützen manchmal das Gelichter),
verdonnert dich zu einem Jahr.

Du brauchtest darum keineswegs zu klagen.
Man läßt dich wieder 'raus schon nach — acht

Tagen.

Im Ureisblatt stand es jüngst zu lesen
(Lin Kreisblatt dient stets der Kultur!):

„Ls gilt als auserwähltes Wesen
Im deutschen Reich der Lchutzmann nur."
Drum, lieber Lohn, beherzige die Lehre
And wähle dir die Lchutzmannskarrisre.

De« nntionalliöeralc Delegirtc Zittenbold
an feinen Freund Vrustfleck.

Berlin, S. Oktober 1896.

Lieber Freund! Mir brennt die Stirne, jedes
einzelne Haar aus meinem Scheitel sträubt sich
kerzengerade in die Höhe, und in »reinem Hirn
hämmert eine Schniiede. Um die Schläfen preßt
sich ein glühender Stahlreifen, und vor den
Angen tanzen tausend gelbe, rothe, blaue Mücken-
schwärme, eine Feuergarbe in schillerndem Wechsel
der Farben.

Aber es war auch zu viel, cs war stärker
als ich. Als Delegirter für unseren Wahlkreis
war ich nach Berlin zum nationalliberalen Dele-
girtentagc gefahren, und mein Herz klopfte in
vaterländischem Takte, als der O-Zug j» die hohe
Halle des Anhalter Bahnhofes einfuhr.

Das Zimmer ist bestellt, das Gepäck droben,
ich will noch ein wenig schlendern, ehe ich zu
Abend speise. Am andern Morgen hieß es zur
Sitzung gehen und seine Pflicht erfüllen. Du
weißt, welchen Auftrag mir nieine Mandanten
mitgegeben hatten: nirgends anstoßen, nicht bei
unserem rechten Flügel, den Agrariern, die ich
allerdings als Großindustrieller nicht ausstehen
kann, nicht bei den Leuten vom Zentralverbande,
hübsch vermitteln, für einen Ausgleich sorgen.
Ich wollte mir den Kopf klar halten, denn ein
Eiertanz auf Prinzipien ist keine leichte Sache.

Doch ach, lieber Freund, das Fleisch ist schwach.
Ich trieb dahin in dem wogenden Menschen-
strome, der durch die Leipziger Straße fluthete.
Haus für Haus lockten Läden und Wirthshäuser;
um mich schoben sich die Passanten, Alte, Junge,
Arbeiter, Gigerls, schöne Mädchen, abgeflatterte
Kokotten, Equipagen brausten daher, die Pferde-
bahn klingelte, der Omnibus schwankte wie ein
gichtischer Koloß an mir vorüber.

Da sah ich plötzlich neben mir ein wunder-
liebliches Gesichtchcn, ein lockiges, goldrokhes Haupt,
Vergißmeinnichtaugen, süß, sehnsüchtig, schmach-
tend. Das ganze Persönchen in einem Duste
von Jugend und kräftig pulsirendem Leben, die
Toilette ausgesucht einfach, und ein Füßchen!
Du weißt, daß ich eine künstlerisch veranlagte
Natur bin, und dies Füßchen, in zierlichem Lack-
schuh, der die edel geformten Knöchel zeigte, hätte
einen Engel zum Rasen gebracht. Ich schaute
sie an. so begeistert, als ob sic unser National-
held, als ob sie der eiserne Kanzler wäre, und
sic lächelte leise, fast unmerklich. Ein Schauer
überlief mich, einen Augenblick fuhr mir mein
Heim durch den Sinn. Ich faßte instinktiv nach
dein Ringfinger der rechten Hand, und husch!
schlüpfte der verrätherische Goldreif in die be-
grabende Westentasche. Mein Herz pulste in
wilden Schlägen gegen die Brieftasche, worin die
braunen und blauen Banknoten und mein Dcle-
girtenmandat in sorgsaniem Verschlüsse ruhten.

Das Wagniß gelang, sie reichte mir den Arm,
ich zog stürmisch die seinbehandschuhte Rechte an
meine Lippen und küßte die schlanken Finger-
spitzen. Bald waren wir in der Ldumbrs
separee eines verschwiegenen Weinhanses, der
Rüdcsheimer schimmerte in den Römern, die
Austernschalen häuften sich auf der Schüssel.
Nein, wie verstand diese Alice — sie hieß Alice —
Austern zu essen, eine Künstlerin vom Wirbel
bis zur Zehe!

Dann erzählte sie mir — wir saßen neben
einander auf dem schwellenden Divan — ihre Ge-
schichte. Welch eine mechselreichc Erzählung!

In diesem Momente fühlte ich niich als
Menschenfreund auf der Höhe der Situation, ich
fand hier die heiß herbeigewünschte Gelegenheit,
die Fluth meiner Philanthropie ungebändigt, nicht
eingedämmt durch ängstliche Bedenken, unbeaus-
 
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