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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0026
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. 2374 . —


"V

den Samen
drängte sich
Erde es nicht erwarten, das Korn, das ihr mit einem Fluch in den
Schooß geworfen, hundertfältig zurückzugeben.
Das Gefängniß selbst sah aus zahllosen, glühenden Augen hinaus
in die Finsterniß. Die Gefangenen arbeiteten noch nnd ein Durch-
einander von klopfenden, hämmernden, schnurrenden, zischenden Tonen

n schweren, schwarzen Wolkenfalten hing der
Nachthimmel über der Gefangenenanstalt.
Aus dunklen Falten rieselte unablässig ein
weichwarmer Regen auf die Felder nieder,
welche die Anstalt umgaben, und in deren
Erde die Gefangenen widerwillig und tranrig
hinabsenkten. Und da unten schwoll und keimte es und
empor, so gewaltig und frühlingssehnend, als könne die


drang aus den meist geöffneten, schweren Eisenfenstern, die in regel-
mäßigen Abständen neben- und übereinander die Banart des Gebändes
gleichsam mit leuchtenden Punkten auf die Mauer zeichneten.
Auf den gepflasterten Wegen, welche den Gefängnißhof durch-
kreuzten, klang der dumpfe Tritt des Militärpostens und hin und
wieder kam es undeutlich und windverweht, einer Geisterstimme gleich,
herüber, wenn der Soldat ein paar Worte mit dem Pförtner wechselte,
welcher drüben links im Thorhänschen die Wache hielt.
Dann aber machte sich der Sturm auf. Er spraug über die
hohe, unübersteigliche Mauer mit einein Satz hinweg und raste durch
den Hof und schüttelte die regennassen Aeste der vier Lindenbäume um
den großen Kandelaber, daß sie ächzten. Er klapperte lustig mit den
Glasscheiben der Laternen und suchte ihre gelben, trnbflackernden
Flämmchen zu verlöschen. Auch an den Manern des Gefängnisses
sanfte er hinauf und besuchte die Gefangenen in ihren einsamen Zellen,
lind die Gefangenen standen von ihrer Arbeit auf und gingen still,
wie es die Hausordnung befiehlt, hin und schlossen die Fenster, deren
Riegel kreischten und sich sträubten, wie Alles in diesem widerspenstigen,
unlustigen Hause.
Nun war es still. Die leuchtenden Fenster erloschen und wie ein
schwarzes gigantisches Rechteck ragte das Gefängniß in die Nacht. Auch

der Sturm war zur Ruhe gegangen, vorher aber hatte er dem Himmel
das düstere Gewand in Fetzen gerissen. Die flatterten nun von allen
Seiten herunter und enthüllten ihn in seiner strahlenden, tiefdunkel-
blauen Nacktheit. Drüben stieg der Mond herauf, wie ein großes,
glänzendes Goldstück und sein schönes, weihevolles Licht ging über die
Erde und erweckte die träumenden Frühlingsgeister. . . .
Der Posten im Gefängnißhof horchte plötzlich auf. Sein geübtes
Ohr vernahm ein langsames, quietschendes Geräusch. . . . Aha! einer
von den Gefangenen ließ sein Fenster herunter. Das wiederholte sich . . .
einmal und noch einmal... Der Posten war ein gutmüthiger Mensch,
er wußte, daß die Gefangenen sich auf diese Weise des Nachts unter-
hielten und daß er eigentlich verpflichtet sei, davon sofort Meldung zu
machen . . . aber cs war gewiß ein unschuldiges Vergnügen, das einzige
wohl, was die armen Menschen dort drinnen hatten. .. Und ruhig, als
habe er nichts bemerkt, patrouillirte er weiter.
Gerade oben das Eckfenster im zweiten Stock war es, das sich
zuerst öffnete. Und hinter den Gitterstäbcn erschien jetzt ein bleiches,
längliches Gesicht unter blondem Haar und von einem röthlichen
Christusbart umrahmt. Ein helleres Licht hätte gezeigt, daß kein ver-
brecherischer Zug dies Gesicht entstellte, aber unter den blauen Augen
malte ein Brustleiden seine schwärzlichen Schatten und diese Augen selbst
glänzten und flackerten, wie schnell sich verzehrende Flammen. Nur
sein feiner schmallippiger Mund war häßlich, weil sich ein starres
höhnisches Lächeln um ihn zog, voll trotziger Menschenverachtung.
„Seid Ihr da?" flüsterte es hinaus.
„Woll!" tönte es schräg unter ihm herauf, „ich bin da . . .
Karl!"
„Ah, mein Landsmann, der Berliner . . . und Fritz?"
„Kommt jleich! er holt blos noch n' paar Stücke Brot, die er
nffjespart hat vor Dir. . . . Hast Du ne Strippe?"
»Ja."
„Dann laß se man immer runter. . . . Biste da, Fritz?"
„Hier!" eine tiefe, branntweinheisere Stimme neben dem Berliner
sprach jetzt, „is Walter da?"
„Ja, hier bin ich."
„Verdammt, ick kriege den Bindfaden nich . . . noch etwas
tiefer ... so jetzt is es fest, zieh' rauf!"
„Wie lange haste denn Kostcntziehung, Walter?"
„Fünf Tage!"
„Na, denn futtre man erst, hast wohl mächtigen Hunger?"
„Ich danke, es geht; aber ich esse nachher . . . Fritz?"
„Was denn?"
„Meinen schönsten Dank!"
„Bitte, bitte, hat nichts zu sagen! Du hast mir's ja schon vor-
her vergolten."
„Ach quatscht doch uich!" kam nun Karl, der Berliner, da-
zwischen, „wat hecßt hier danken! Hier hilft Eener dem Annern. . . .
Wenn die verfluchte Rasselbande denkt, wir sind hier zum Hungern,
denn irrt se sich! Weswegen haste denn Kostentziehung, Walter?"
„Die alte Geschichte. Ich hatte mir eine Zigarre angesteckt und
der Aufseher faßte mich ab."
„Hattste denn Feier?"
„Gewiß, und das hab' ich sogar vor den Krallen dieses spür-
nasigen Hallunken gerettet."
„So ... na wceßte, denn kennten wir uns ejentlich mal so'n
Jiftbolzen leisten! Wofor manschen wir denn n' janzen Tag in 'n
Tabak rum! Ich laß' die Ladung passir'n, zieh an!"
„Rauch' zweie an, Walter, und laß sie mir runter, ich gebe Karin
eine rüber."
Und dieser kranke Mensch da oben, der eben jetzt eine empfind-
liche Hungerstrafe erlitt, weil er dem Drange, sich dies unerlaubte Ver-
gnügen zu verschaffen, nicht hatte widerstehen können — dieser blasse,
brustkranke Mensch zögerte keinen Augenblick, die im Stroh seiner
Matratze versteckten Zündhölzchen hervorzuholen und den Wunsch seiner
Gefährten zu erfüllen.
Dann pafften sie, unbekümmert um Gott und die Welt rind
machten ihre Glossen über die Gefängnißbeamten.
 
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