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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0068
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2415

O

schon halbzerbrochencn

Eine berühmte Ehe.

G

ins Zimmer stürmten,
ihnen um. Sic michen
ihm zurück. Aber er

dem dicken, weichen Herrn von Besitz anzuvcr-
trauen. Und so ereignete sich denn die vcrhängniß-
volle Hochzeit. Man kann auch nicht anders sagen,
als baß Herr von Besitz sich anfangs sehr zuvor-
kommend benahm, seiner Frau täglich einige Kilo-
gramm Süßigkeiten schenkte und sie seiner unbe-
grenzten Anbetung und Unterwürfigkeit versicherte.
Uebrigeus hatte ihm seine erste Frau, eine
geborene Spekulation, die bessere Hälfte seines
Vermögens zugcbracht. Sämmtliche Kinder aus
dieser Ehe wurden einer Engelmacherin übergeben;
sie wurden regelmäßig mit großer Eile auf den
Namen „Gründung" getanft und pflegten ebenso
prompt zu sterben. Nun hatte sich der Johannis-
trieb bei ihm auf „das Ideale" geworfen.
Von der Hochzeitsreise zurückgekchrt, machte er
dann mit seinem Frauchen die vorschriftsmäßigen
Besuche. Wo ein meldender Dienstbote vorhanden
war, da schärfte der junge Ehemann ihm ein,
„Bildung nnd Besitz" zu melden, und natürlich
ließ er stets zuerst seine Frau ins Empfangs-
zimmer treten. Dann mar er unablässig bemüht,
durch Blicke, Geberdcn und gesprochene Andeu-
tungen die Bewunderung der Wirthe für sein
Weibchen anzustacheln und zu ermuthigcn; sein
drittes Wort war immer „Meine Frau —Er
trat auch viel sicherer auf als bisher. Weuu von
besonders gebildeten Dingen die Rede war, von
denen er noch nie gehört hatte, dann pflegte er
mit besonderer Behaglichkeit zu sagen: „Kennimus.
Hat vorgestern bei uns dinirt."
Das wäre ja nun eine ganz herkömmlich
idyllische, eine sogenannte glückliche Ehe gewesen
und auch geblieben, wenn nur die Natur des
Herrn von Besitz es zugegeben hätte, daß er je
mit einem Glücksertrag zufrieden gewesen wäre.
Aber es dauerte gar nicht lang, da erschien ihm
seine Frau unsagbar langweilig; er hatte sie ge-
ehelicht, um seiner Lust an ihr zu fröhnen und
sie sich denn doch viel, viel — pikanter vorgestellt.
Und da er schon mancherlei von ihr gelernt hatte,
so kam er leicht und schnell zu der Ucberzeugung,
daß sein Urtheil eigentlich in allen Dingen das
Entscheidende sein müsse. Er bcurtheilte jetzt die
Bilder, die sie sahen und kauften, die Musik, die
sie hörten, die Schauspiele, die sic sahen, und die
Bücher, die sie liehen, und das arme Weibchen,
das immer schüchterner in sich zusammensank,
durfte nicht mucksen, sagte zu allem „Ja" und

In Weimar, dem Musensih an der Ilm,
rümpften wohl einige Wenige die Nase darüber,
daß die Bildung nach Geld geheirathet habe; in
Neunkirchen aber war man sich ohne Ausnahme
einig, daß die Bildung eine glänzende Partie mache.
Nicht gern hatten die Eltern des Mädchens
ihre Einwilligung gegeben. Aber sie waren im
„freien Wettbewerb" mit Herrn von Besitz und
dessen Verwandten leider pekuniär sehr zurück-
gekommen und konnten schließlich nichts Besseres
thun — so glaubten sie wenigstens — als sie

Die Verlobung unserer Tochier Bildung mit
Herrn Kommerzienrath von Bests; beehren wir
uns hierdurch ganz ergebenst anzuzeigen.
Kraft und Frau» geb. Srhönhrit.

Bettes, an die-
sem selbst und ,
an den bunten
Bildern, mit de-
nen der Getödtete
sein arniseliges
Gemach ausstaffirt
hatte, hingen, miß-
farbenen Schaumflocken
ähnlich, mit blutgetränkten
Haarbüscheln untermischte Gehirnthcile, von denen
etliche auch an den Händen und Kleidern des
Rasenden und an dem
Geivehrkolben hafteten.
Als die Kameraden
drehte sich Wander nach
anfangs alle scheu vor
wurde, sobald er sie sah, ganz ruhig und warf
das klappernde Gewehr fort. Dann trat er auf
sie zu, streckte ihnen die Hände entgegen und sagte:
„Fesselt mich, ich habe meinen Vorgesetzten er-
schlagen . . ."

Dabei sprang der Unteroffizier vom Bett auf
uiid ging auf den Soldaten zu, jedoch rührte er
ihn nicht an.
Von den Lippen des Soldaten aber kam es
nach einer Pause wie ein Schrei: „Zu Befehl,
Herr Unteroffizier."
„Dann mach', daß Du rauskommst!"
Der Soldat ging.
Und diese unwürdige Behandlung ertrug der
Infanterist Wander an demselben Nachmittag —
einem freien, der Sonntagsruhe geweihten Nach-
mittag — fünf Mal, ohne zu murren.
Aber dem Unteroffizier Siebert genügte das
nicht. „Wir wollen das halbe Dutzend voll machen,
mein Boy!" meinte er boshaft grinsend und befahl
dem Wander, in zehn Minuten zum sechstenmale
bei ihm feldmarschmäßig anzutreten.

Wanders Kameraden harrten in ihrer Stube
voll ängstlicher Spannung auf sein Wieder-
erscheinen.
„Der Wander sah schrecklich aus, wie er zum
letzten Mal rüberging", meinte der lange Manthey.
„Was soll da gut oder schlecht gehen," er-
widerte der blasse Kamerad mit einem widerlich
schadenfrohen Lachen, „hier heißt's eben seine
Pflicht thun und das Maul halten!"
„Das hast Du ja gut auswendig gelernt,"
sagte Manthey, „aber . . . ."
„Horcht mal!" rief plötzlich ein anderer Soldat.
„Ja was ist denn?"
„Na, horcht doch blos mal!"
Und alle lauschten, von einer großen, un-
bestimmbaren Furcht ergriffen.
Vom Korridor her dröhnte es, wie dumpfe,
regelmäßige Axtschläge.
Sie stürzten alle hinaus und hinüber in die
Unteroffiziersstube.
Da stand Wander vor dem Lager des Unter-
offiziers Siebert. Er hatte das Gewehr am Lauf
mit den Fäusten gepackt und schlug mit der hur-
tigen Regelmäßigkeit eines Dreschers auf den
schauderhaften Klumpen los, in den sich der Kopf
des Unteroffiziers unter diesen gräßlichen, krachen-
den Schlägen verwandelt hatte.
Das blauweiß gewürfelte Bettzeug und das
Hemd des Todten starrte von schwärzlichem
Blut. An der weißen Kalkwand war cs empor-
gespritzt und auf dem Tisch am Kopfende des

Bildung
Weimar Verlobte Neunkirchen


V/
Ml,.


Die nächste Nummer des „Wahren Jacob" ist die Mai-Nummer. Etwaige Mehrbestellungen werden freundlichst umgehend erbeten.
 
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