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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0138
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Verrücktheit. Wenn die Holzhauer nicht ge-
kommen wär'n, lag' ich noch immer oben und
sie hätten mich morgen eingefangen, wie einen
tollen Hund!"

„Und wo ist denn nu der Vater?" fragte das
Mädchen, mühsam seine Erschütterung ver-
bergend.

„Ich weiß nicht", versetzte er, „der ist im
Elende alt geworden und spürt's nicht mehr
so, er mag ärnt wo liegen und schlafen, brauchst

,Die Axt fällt mir aus den Händen und ich muß mich am
Baume halten, daß ich nicht umfalle."

keine Angst zu haben. Horch jetzt, Hannel", fuhr
er fort und strich mit der Hand über sein Ge-
sicht, „'s wird schlimm, todtschlimm! 's Arbeiten
auf 'm Stuhle ist vergeblich, ich thue keinen
Schlag mehr und Dein Vater auch nicht, an-
dere Arbeit können wir nicht thun und wenn 's
Bissel Geld alle ist, haben wir nichts und kriegen
nichts. Wenn 's Fest vorbei ist, müssen wir
aus dem Hause, und was dernach wird! — Du
gehst wieder nach Breslau, Hannel, Du kannst
noch andere Arbeit thn», und wenn Du hörst,
daß ich gestorben bin, und Dein Vater auch,
flenne nicht, darnach ist's besser für uns. Die
Kinderle muß die Gemeinde ernähren, die ver-
hungern nicht."

„Wilm", sagte das Mädchen, mühsam nach
Kraft ringend und den Arm von seinen Schultern
nehmend, damit sie dessen Leben nicht verrathe,
„ich soll fort, weil's ans Leben geht? Wilm!"
rief sie, ihm die Entgegnung abschneidend, „wer
war's denn, der die ganze Rakens Familie mit
erhalten hatte, wie die Noth so groß anfing
und wie die Mutter siech und elendig wurde,
und wer hat dann 's Letzte hergegeben, wie sie
starb, daß sie konnte begraben werden? Und
wer hat denn nu gearbeitet, daß ihm die Kraft
vergangen ist und hat den Lohn immer wieder
hergegeben? Sieh, Wilm, das bist Du gewesen,
und das hast Du blos gethan, weil ich Dein
Mädel bin, weil Du mir immer so gut gewesen
bist, daß ich Dir's nicht vergelten kann, sonst
wären Dir Rakens nichts angegangen. Und
nn soll ich fortgeh'n und essen, derweile Du
hungerst und umkommst, Du und der Vater?

-—» 2760 .—h--

Wilm!" rief sie, und umschlang ihn wieder mit
beiden Armen, „ich bleibe da und werfen sie
uns aus 'm Häusel, geh'n wir mitsammen
betteln!"

Wilhelm schüttelte trübe den Kopf. „Mach'
kein Geschrei, Hannel", sagte er mit seiner
leisen, eintönigen Stimme, „Du hätt'st 's Näm-
liche bei mir gethan, und wenn Du haben willst,
daß ich 'nauf gehe ins Gebirge und mich an
den ersten besten Baum hänge, so bleib' da!"

Das Mädchen zuckte zusammen und sah ihn
geisterlich an. „Sieh, Hannel", sprach er weiter,
„'s wird nicht lange dauern, da ist kein Brinkel
Brot mehr im Hause und Du wirst hungern
und krießen und Dich grämen und wirst Dich
krank ins Bette legen. Und ich werde derbei
stehen und die Fäuste vor den Kopf schlagen
und Dir nicht helfen können. Und die Kinderle
werden kommen und gar erbärmlich um ein
klein Bissel Brot schreien, daß es Dir die Seele
zerreißt und ich werd's nicht erseh'n können
und — Hannel!" fuhr er fort und drückte die
Hand vor die Augen, „geh' wieder nach Breslau!"

Hanna hatte das Gesicht an seiner Brust
verborgen und meinte, das Herz müsse ihr mitten
auseinander gehen; er aber legte seinen Arm
um sie und ließ den Kopf matt auf den ihrigen
sinken. So saßen sie lange in die Nacht hin-
ein. Der alte Weber aber war nicht nach Hanse
gekommen.

Pfingsten war's und der heilige Morgen
kam wie ein herniederschwebender Engel im
duftigen Glanze, das Antlitz im seligen Lächeln
verklärt und die Hände segnend über die weite
Erde ansgestreckt. — Kaum war das Licht rosig
über die Gebirgsgegend aufgegangen und brach
sich schillernd in den Myriaden Thautropfe»,
die auf Gräsern und Sträuchern hingen, daß
die Landschaft schier aussah wie eine Freuden-
thränen weinende Braut, so fingen sie auch
schon 'hie und da die Morgenglocken an zu
läuten und die stille Luft trug die Klänge fort
zu den Kirchen und Kirchlein in der Runde
und weckte dort neue Stimmen; strahlender
wurde der Morgen, weiter und immer weiter
hinaus erklang das Läuten, bis ringsumher nichts
war als Glockenton und sonniger Feiertag.

Die Herrschaften in der Fabrik waren zur
Kirche gefahren. Der Prediger ermahnte gar
schön und eindringlich, das Herz nicht gegen
die Segnungen des Geistes zu verstocken, das
wahre Christenthum, vor Allem der echt christ-
lichen Liebe in sich entzünden zu lassen, denn
das erste und vornehmste Gebot sei ja: Du
sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst!

„Ist es denn nun so schwer, sich zu lieben?"
fragte doppelsinnig der junge Fabrikherr, sich
zu der vor ihm sitzenden Klara beugend. Sie
neigte den Kopf auf ihr Gesangbuch und ant-
wortete nicht.

„'s ist aber heidnisch, teuflisch, seine Mit-
menschen zum Hungertode zu treiben", sprach
statt ihrer, laut genug, daß es Beide hören
konnten, eine tiefe Stimme, hart am Fenster
des Kirchstuhls. Der Fabrikbesitzer verrieth sich
mit keiner Miene, als aber der Geistliche den
Segen sprach und die Gemeinde auf die Knie
sank, bog er vorsichtig den Kopf aus dem Fen-
ster und das schwarze drohende Auge eines
ärmlich gekleideten, aber mit einer eigenthüm-
lichen Sicherheit dastehenden Mannes begegnete
dem seinigen.

Als die Equipage nach Hause rollte, scheuten
die Pferde vor einem Hindernisse im Wege.
Ein betrunkener Mann mit zerrissenen Kleidern
und verwildertem Haare taumelte auf und
wankte nach dem Fußwege hinüber.

Der junge Fabrikherr wies mit dem Finger
auf ihn. —

„Ein Stückchen meiner Webergesellschaft",
sagte er mit einem häßlichen Lächeln, „glauben
Sie mir nun, Kousine? Das sind auch unsere
Nächsten, doch der Fuß auf den Nacken ist für
sie der dienlichste Liebesbeweis."

Der Wagen fuhr weiter, der Betrunkene
aber bog in eine Seitenstraße ein und stolperte
dort in eins der letzten Häuser. Es war der
alte Rake.

„O Jemersch, Jemersch, Vater, wo seid Ihr
denn gewesen, wie seht Ihr denn aus, heute
zum lieben Feiertage?" rief Hanna dem wankend
Eintretenden entgegen. Der Alte blieb mitten
in der Stube stehen, sah mit stieren Angen bald
auf diesen, bald auf jenen Punkt und grunzte
einige unverständliche Laute vor sich hin. Wilm
erhob sich von seinem Schemel und hielt das
Mädchen zurück; in seinem Gesicht drückte sich
eine böse Ahnung aus. „Rake, Ihr seid ja
total voll, wo habt Ihr denn's Geld?" rief er
dicht vor ihn hintretend und seinen Arm fassend.
Der Weber sah ihn mit gläsernem, nichts-
sehendem Auge an und wankte einen Schritt
seitwärts.

„Hannel, halte mit, ich will ihn durchsuchen",
sagte Wilhelm mit unverhohlener Aengstlichkeit
und begann auch schon die Taschen des Alten
nmzukehren. Nur ein einzelner Kupferdreier
fand sich vor. Wilhelm sah erst diesen, dann
das Mädchen mit einem Blicke an, dessen traurige
Bedeutung vollkommen verstanden wurde.

„Rake, Rake!" schrie er und schüttelte den
Betrunkenen an beiden Armen, „wo ist denn's
Geld? 's Geld, Rake! Habt Ihr denn den
ganzen Lohn vertrunken?"

Da sing es an, in dem Gesichte des Alten
sich zu bewegen, immer stärker, bis seine
ganzen Züge verzerrt waren, in konvulsivischen
Zuckungen folgten die Schultern und die Arme,
der ganze Körper begann zu zittern, plötzlich
riß er sich mit einem gewaltigen Ruck aus
Wilhelms Händen, that einen Satz in die Luft
und stürzte, den Kopf gegen den Webstuhl
schlagend, zur Erde. Hanna schrie auf und
hielt sich an dem vor Schrecken starren Wil-
helm; ein vorübergehender Nachbar hörte den
prasselnden Fall, den Schrei, sah durch das
offene Fenster und winkte einen Zweiten herbei,
ein Dritter folgte neugierig; man drang in
die Stube, man fragte und die bebende Hanna
vermochte kaum die nöthige Erläuterung zu
geben; Wilhelm stand dabei, als vermöge er
den Mund nicht zu öffnen oder nur ei» Glied
zu rühren; man hob den Mann auf und legte
ihn auf das Bett; kalt und schwer lag der
Körper da, der Mund stand offen und strömte
einen ekelhaften Branntweingeruch aus. Nach
einer Weile kam der herbeigerufene Chirurg;
der schob das an dem Lager knieende Mädchen
zurück, untersuchte den Daliegenden gleichgiltig
und sagte dann mit geringschätzigem Achselzucken:
„Hier ist nichts zu thu», er ist tobt, — scheint
sich tobt getrunken zu haben!"

Einige Tage waren vergangen. In dein
grünen Schatten des Gebirgswaldes lag faul
auf das Moos hingestreckt ein stämmiger Bursche
und sah mit seinen schwarzen Augen träumend
in den wolkenlosen Himmel hinein. In einzelnen
Zwischenräumen summte er leise eine bekannte
Volksweise vor sich hin, und dabei überlief sei»
Gesicht ein halb spöttisches, halb behagliches
Lächeln. Nach einer Weile setzte er sich auf-
recht hin, streckte, sich dehnend, die Arme aus,
und war dann mit einem Sprunge auf den
Füßen. Er wollte eben langsam nach der
Lichtung hinqusschreiten, als er plötzlich seine
Schritts anhielt, behutsam hinter ein Gesträuch
trat und mit gespanntem Auge ins Freie sah.
 
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