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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 15.1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.8184#0147
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bem enganschließenden Kleide, das am Halse
kvkett spitz ausgeschnitten ist. Das dunkle,
aufgelöste Haar fluthet in zitternden Wellen
um den weißen Nacken und zahllose kleine
Modelöckchen ringeln sich um die niedrige
Stirn und dämpfen das dämonische Feuer der
dunklen Augen. Zierlich gleiten die schlanken
Finger über die Tasten, süße Melodien hervor-
Zaubernd.

Eine nervöse Unruhe spiegelt sich auf dem
von Leidenschaften erregten Gesicht des jungen
Weibes. Beruhigend legt sie die linke Hand
auf das wildklopfende Herz, während ihre
Rechte nochmals leise die Taste» berührt.

Leise tritt sie an die Thüre und lauscht
hinein in die dämmernde Sommernacht. Die
Grillen zirpen, und dem lauten Quaken der
Frösche im Weiher leiht der Sommerwind
Flügel. Ganz in der Nähe flötet eine Nach-
tigall in süßem Werben. — —

Der Kies auf dem Wege knirscht unter
schnellen Schritten. Aus dem Halbdunkel tritt
rin Mann, vorsichtig um sich spähend.

Jauchzend eilt das Weib die Stufen hin-
unter, dem Ankömmling entgegen.

„Du Lieber, Guter!"

Kosend schlingt sie den Arm um den Nacken
des Mannes und zieht ihn hinein in den
Pavillon. — Ihre Augen glänzen und leuchten;
die Wangen glühen in purpurner Röthe. . ..
So sieht das Glück aus. Das süße, berauschende

Glück!

Auf einem Divan, in einer Nische versteckt,
hassen sie sich nieder.

„Irma! Du?!"

Das Weib fährt liebkosend durch den wirren
Haarschopf des Mannes und streicht ihm die
heiße, glühende Stirn.

„Erich! Wie lieb, daß Du gekommen!"

„Ich mußte doch kommen!"

Verständnißvoll schmiegt sich Irma an den
Mann, so daß er die Wärme ihres Körpers
durch das leichte Gewand fühlt.

„Guter, lieber Erich!"

Q. Langsam, unmerklich verdüstert sich das rothe
7^cht der Ampel, um dann, noch einmal auf-
llackernd, zu verlöschen.

Leidenschaftlich küßt Irma den Mann.

„Ich könnte fast eifersüchtig werden, wenn —
wenn ich Dich auf der Bühne seh'!"

^ „Und Du hast doch wenig Grund dazu. . .
Zch aber empfinde eine unsägliche Qual, wenn
'ch daran denke, daß Du einem Anderen ge-
hörst. Einem alte», greisenhaften Mann."

Irma kicherte.

„Der alte Mann!"

Leiser zirpen die Grillen; die Frösche im
Weiher haben ihr Quaken eingestellt und nur
jW Nachtigall flötet ihr Lied in die lauwarme
Sommernacht.

Neugierig, hämisch lächelnd schaut der Mond
durchs Fenster.

Ein Jahr ist vergangen.

Der herrschaftliche Park ist illuminirt. Eine
auserlesene Gesellschaft lustwandelt durch die
olütheureichen Gänge; gilt es doch die Taufe

Erstgeborenen des Herrn Kommerzienraths
Sernlinger standesgemäß zu feiern.

Erich ist auch unter den Geladenen. Er
oll einen, von einem befreundeten Dichter zu
Ehren des Taufkindes verfaßten Prolog sprechen.

giebt zwar Manchen unter den Geladenen,
rr ihn nig Eindringling betrachtet, aber er ist
vch ein Künstler, der seine Kunst in den Dienst

Gastgebers stellt. —

,, Der Speisesaal ist gedeckt. Herrliche Aus-
'atze und Blumen schmücken die Tafel. Erich
>uzt neben der Hausfrau. Des Prologs wegen!

Champagnerpfropfen knallen, Gläser klingen.
Lautes Stimmengewirr — dann tiefe lautlose
Stille.

Erich spricht den Prolog.

Es ist ein wahrer Hymnus auf die Reich-
thümer des Kommerzienraths, mit einem Aus-
blick auf die glänzende Zukunft des Täuf-
lings.

Wieder klingen die Gläser. . .. Und hohe
Fistelstimmen und tiefe Bässe rufen: „Hoch! —
Hoch! — Hoch!"

Spätherbst.

Im Erkerzimmer der Villa Oernlinger steht
ein kleiner offener Sarg, über und über mit
Blumen bedeckt. Inmitten der Kinder Floras
ruht der Sohn des Herrn Kommerzienraths.
Stiller Frieden lagert auf dem schmalen erd-
grauen Gesicht des kleinen Todten.

Ein mattes, fahles Licht erhellt das Schreib-
zimmer Oernlingers. Es paßt gut zu seiner
seelischen Stimmung.

Der Tod des Knaben geht ihn: nahe. War
doch dieses Kind der Gegenstand seiner Hoff-
nung.

Leise klopft es an die Thür und ohne eine
Antwort abzuwarten, wird dieselbe geöffnet.
Frau Irma! Geräuschlos kommt sie näher
und legt leicht die Hände auf die Schultern

ihres Gatten. „Warum so traurig, Oernlinger?
— Immer noch in Gedanken bei dem kleinen
Todten?"

„Immer!"

„Du mußt Dich aufraffen, Oernlinger! —
Noch hast Du mich!"

„Ach, ja! Dich! — Nur Dich! Nur. . ."

„Nur! sagst Du! Nur mich! — Du ver-
gißt, daß ich Dir den Sohn gegeben!"

„Ja, Du! — Du hast ihn mir gegeben, aber
auch wieder genommen, geraubt!"

„Du phantasirst, mein Lieber!"

„Du hast ihn sterben lassen! Mein armes
Kind!"

Lautlos ging Irma auf und ab. Wuth,
rasende Wuth verzerrte ihr Gesicht. Zerstampfen
möchte sie den weichen Teppich unter ihren
Füßen, in tausend kleine Stückchen. Die Wuth
treibt sie dazu, ihr Geheimniß zu verrathen.

„Alter, eitler Geck! — Dein Kind ! — Welche
Einbildung! ... Es ist zum Todtlachen!"

Krachend fällt die Thür ins Schloß. Irma
ist verschwunden und nur eiu feiner Parfüm-
duft verräth, daß sie dagewesen.

Oernlinger steht auf. Ein Schüttelfrost
durchläuft seine Glieder. Wie ein Spuk kommt
ihm Alles vor. Hatte er recht gehört? Ver-
stand er das höhnische Lachen? —

! Ja, er verstand es.
 
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