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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0004
2904
Dem scheidenden Jahrhundert.
"Änd wiederum ein neues Aabr» das letzte einer Dundert-
reibe!
Mer brächte nicbt dem Mecbsel dar ein heimliches Gekübl
der Meide?
Ls wallt uns leicbt und stolz das Muk, wenn wir den boben
Flug gewahren,
Den Menscbenkleiss und Menscbenmukb vollbracht in diesen
hundert Aabren.
Mir seb'n des Geistes kühne Spur, wie beldendatt er bat
gerungen,
Mis Ikiescnkräkle der Matur er in der Menschheit Dienst
gezwungen.
Das Aocb uralter Tyrannei, das strebende Gescblecbt zer-
schlug es,
And trägst du, wo die Grenze sei so unerhörten Sieges-
zuges,
Mo stille steht des Menschen Sohn trotz alles Forscbens,
alles Fleisses,
So ballt's zurück im Aubelton und wie Trtumpbgesang:
„Mer weiss es?"
Lum leeren Mort, zu einem Traum ward längst schon der
Wegritt der Schranke —
Lur Sonne über Leit und Ikaum fliegt wie ein Adler der
Gedanke.
So schreitet es einber in Krackt und Stolz, das scheidende
Aabrbundert,
Am vollgetüble seiner Macht, verehrt, vergöttert und be-
wundert.
And tragen wir trotz alledem: Dat es zu Aller Mutz und
Frommen
Das stolze Ikönigsdiadem der knirschenden Matur ge-
nommen,
Dat es den Ikeicbtbum und die Macht, die es errungen und
gewonnen,
Gleicbmässig Allen dargebraebt, gerecht und weise und
besonnen?
Dat es das Iknie gebeugt dem Fleiss, dem unermüdlichen
der Vielen?
Dat es gekrönt die Stirne beiss, belohnt die braune Dand
voll Schwielen?
Gab dankbar es den Meibekuss dem ungeschicktesten der
Fröbner,
Der tür die Andern denken muss, dem ärmsten aller Tage-
löhner?
Von Allem bat es nichts getban und wenn es zehnmal
- anders schiene:
Ls ist ein haltlos-eitler Mahn, dass es den Siegeskranz
verdiene.
Mach aussen bat es sieb betlcckt mit Tbaten mörderischen
iRubmes,
And andre Liele sich gesteckt als solche schönen Menscben-
tbumes.
Mach Annen bat die Sklaverei der Massen es nicbt über-
wunden.
Das Artbeil der Geschickte sei: „Gewogen und — zu leicht
bekunden!"
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Klassische Bildung. — Tabula rasa. — Stoßseufzer.
(Jllustr.) — Neujahrsgruß eines kosmopolitischen Nachtwächters.
Von Tarub. — Gedankenbalken. — Neichstagspräsident v. Balle-
strem. (Jllustr.) — Der Enderle von Kelsch. Gedicht mit Illu-
stration. — Das Resultat der Anti-Anarchistenkonferenz.
(Jllustr.) — Ein Fiasco. — Scherze. — Brieskasten.
Dieser Nummer liegt ferner de« Mlmanach
für 18SS bei.
Blihdraht-Meldungen.
Berlin. Um die Minister und Reichsboten im neuen
Jahre besser im Reichstag festzuhalten, sollen in der großen
Wandelhalle Sauhatzen veranstaltet werden, in den Couloirs
der Konservativen wird ein Roulette aufgestellt, die Schwar-
zen erhalten ein Museum, um darin die Lex Heinze studiren
zu können, während für die Fraktion „Drehscheibe", die
Nationalliberalen, ein Caroussel bereitgehalten wird.
— Der Bundesrath hat beschlossen, die Lippesche Streit-
frage durch Ausradirung des FUrstenthums beizulegen.
— Alle Zeitungen bringen beruhigende Neujahrsartikel.
Wir stehen mit allen Mächten auf „Gewehr bei freundschaft-
lichem Fuß".
— Herr v. Podbielski läuft seit einiger Zeit mit Scheu-
klappen herum, um nicht durch den unvermutheten Anblick
eines „Deutschen Postboten" wild zu werden.
Die Keicbsuerarossenbeit.
Und schmollet ihr auch „reichsverdrossen“,
3hr Pfäftlein, Junker, Bourgeois’, —
Ulir Kothen stehen kampfentschlossen
Huf scharfer Ulacht: — Kalt an! Uler da?!
Und möget ihr auch jedes kühne
Und freie Ulort mit Bann bedroh’n, —
Die Ulahrhcit spricht von der Cribüne
Des Reichstags laut, im Donnerton.
verheerend soll nun niedersausen
Der Schläge schonungslose Ulucht,
Jhr hört das Uolksmeer branden, brausen
Und wendet scheu den Tuss zur Tlucht!
Sophismen. -TW-
(Graf Posadowskl) im Reichstag am
12. Dezember: „Die öffentliche Unzufrieden-
heit ist eigentlich ein Zeichen großen Glückes,
weil objektiv glückliche Menschen meist sub-
jektiv unglücklich sind.")
Graf Bosabowsliy's Logik sagt Dir,
Daß Jedermann, der Hunger hat,
iKtos subjektiv an brmnger teide,
Jedoch sei objektiv er satt.
Auch die Logatresorm des Grafen
(Hiebt dito zu Triumphen Grund:
Wohl subjektiv vorhanden ist sie,
Doch objektiv ganz unter'»: Gund.
Eine Sihung der Anti-Ansrchisten-
Konferenx.
Bekanntlich ward die Konferenz zurHerathnng
über internationale Maßregeln gegen die An-
archisten unter strengstem Ausschluß der Oeffentlich-
keit in Rom abgehalten.
Der Vertreter Italiens, Canevaro, hielt bei
der Eröffnung folgende Ansprache:
Meine Herren! Als Hauptlieferant euro-
päischer Anarchisten hat sich Italien die Ehre
gegeben, zu dieser Konferenz die Initiative zu er-
greifen. Wir wollen Mittel suchen, welche ge-
eignet sind, den Anarchismus mit Stumpf und
Stiel zu vernichten....
England: Sehr gut, dann soll aber Italien
bei sich zu Hause anfangen.
Schweiz: Das geht nicht, denn dann müßte
cs die eigene Regierung zuerst ausrotten.
Italien: Ich kann nicht dulden, daß man
hier gesrozzelt wird. Machen Sie doch lieber
praktische Vorschläge.
Oesterreich: Ich schlage die altbewährte Aus-
weisungsmaßregel vor.
Belgien: Ist zu kostspielig, denn da die
Anarchisten gewöhnlich kein Geld haben, niüssen
wir die Reisekosten zahlen, wenn wir sie uns
gegenseitig znschicken.
Frankreich: Man könnte auch die Anarchisten
zu Generalstabsoffizieren ernennen.
Spanien: Damit sie sich gegenseitig die Hälse
abschneiden — endlich ein vernünftiger Vorschlag.
England <zur Geschäftsordnung): Bevor wir
in unsere Berathungen eintreten, sollten wir doch
feststellen, was man eigentlich unter „Anarchisten"
versteht.
Sachsen: Zum Mindesten gehören alle So-
zialdemokraten dazu, denn sonst nützt uns der
ganze Schwindel nichts.
Ein Antisemit: Und die Juden.
Ein Lippescher: Und die Preußen.
Rußland: Aber ganz besonders die Nihi-
listen.
England: Was sind denn das für Staats-
verbrecher?
Aus diese Frage weiß Niemand Antwort zu
geben. Der Eine meint, es seien Liberale, der
Andere hält sie für Katholiken, der Dritte für
Agrarier, der Vierte giebt der Vermuthung Aus-
druck, daß es Goldwährungsmänner sein könnten,
während Rußland steif und fest behauptet, daß
Nihilisten gleichbedeutend mit jenen Leuten seien,
die ohne Verfassung nicht leben wollten, also eine
Gefahr für das Bestehen des Staates bildeten.
Man kam schließlich überein, die Sitzung bis
nach Neujahr zu vertagen, um inzwischen Er-
kundigungen über die räthselhaften Nihilisten
einzuziehcn. ,,
Kleine Moralpredigt.
(Losgelassen vor der neuen lex Heinze.)
Unsittlich ist, ein Pfuhl von Sünden,
Was nicht bezähmt fein heißes Blut,
Doch sittlich ist es, Menschen schinden,
Um tzungersold, mit kaltem Muth.
Unsittlich ist das keusche Nackte,
Doch sittlich ist die Lüsternheit,
Die in der Uutte, die befrackte.
Und die im zweigefärbten Uleid.
Unsittlich ist's, den Leib zu preisen.
Das Schönste, das der Schöpfer traf.
Doch Arme aus den: Lande weisen
Ist sittlich, staatserhaltend, brav!
Dem scheidenden Jahrhundert.
"Änd wiederum ein neues Aabr» das letzte einer Dundert-
reibe!
Mer brächte nicbt dem Mecbsel dar ein heimliches Gekübl
der Meide?
Ls wallt uns leicbt und stolz das Muk, wenn wir den boben
Flug gewahren,
Den Menscbenkleiss und Menscbenmukb vollbracht in diesen
hundert Aabren.
Mir seb'n des Geistes kühne Spur, wie beldendatt er bat
gerungen,
Mis Ikiescnkräkle der Matur er in der Menschheit Dienst
gezwungen.
Das Aocb uralter Tyrannei, das strebende Gescblecbt zer-
schlug es,
And trägst du, wo die Grenze sei so unerhörten Sieges-
zuges,
Mo stille steht des Menschen Sohn trotz alles Forscbens,
alles Fleisses,
So ballt's zurück im Aubelton und wie Trtumpbgesang:
„Mer weiss es?"
Lum leeren Mort, zu einem Traum ward längst schon der
Wegritt der Schranke —
Lur Sonne über Leit und Ikaum fliegt wie ein Adler der
Gedanke.
So schreitet es einber in Krackt und Stolz, das scheidende
Aabrbundert,
Am vollgetüble seiner Macht, verehrt, vergöttert und be-
wundert.
And tragen wir trotz alledem: Dat es zu Aller Mutz und
Frommen
Das stolze Ikönigsdiadem der knirschenden Matur ge-
nommen,
Dat es den Ikeicbtbum und die Macht, die es errungen und
gewonnen,
Gleicbmässig Allen dargebraebt, gerecht und weise und
besonnen?
Dat es das Iknie gebeugt dem Fleiss, dem unermüdlichen
der Vielen?
Dat es gekrönt die Stirne beiss, belohnt die braune Dand
voll Schwielen?
Gab dankbar es den Meibekuss dem ungeschicktesten der
Fröbner,
Der tür die Andern denken muss, dem ärmsten aller Tage-
löhner?
Von Allem bat es nichts getban und wenn es zehnmal
- anders schiene:
Ls ist ein haltlos-eitler Mahn, dass es den Siegeskranz
verdiene.
Mach aussen bat es sieb betlcckt mit Tbaten mörderischen
iRubmes,
And andre Liele sich gesteckt als solche schönen Menscben-
tbumes.
Mach Annen bat die Sklaverei der Massen es nicbt über-
wunden.
Das Artbeil der Geschickte sei: „Gewogen und — zu leicht
bekunden!"
Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.
Klassische Bildung. — Tabula rasa. — Stoßseufzer.
(Jllustr.) — Neujahrsgruß eines kosmopolitischen Nachtwächters.
Von Tarub. — Gedankenbalken. — Neichstagspräsident v. Balle-
strem. (Jllustr.) — Der Enderle von Kelsch. Gedicht mit Illu-
stration. — Das Resultat der Anti-Anarchistenkonferenz.
(Jllustr.) — Ein Fiasco. — Scherze. — Brieskasten.
Dieser Nummer liegt ferner de« Mlmanach
für 18SS bei.
Blihdraht-Meldungen.
Berlin. Um die Minister und Reichsboten im neuen
Jahre besser im Reichstag festzuhalten, sollen in der großen
Wandelhalle Sauhatzen veranstaltet werden, in den Couloirs
der Konservativen wird ein Roulette aufgestellt, die Schwar-
zen erhalten ein Museum, um darin die Lex Heinze studiren
zu können, während für die Fraktion „Drehscheibe", die
Nationalliberalen, ein Caroussel bereitgehalten wird.
— Der Bundesrath hat beschlossen, die Lippesche Streit-
frage durch Ausradirung des FUrstenthums beizulegen.
— Alle Zeitungen bringen beruhigende Neujahrsartikel.
Wir stehen mit allen Mächten auf „Gewehr bei freundschaft-
lichem Fuß".
— Herr v. Podbielski läuft seit einiger Zeit mit Scheu-
klappen herum, um nicht durch den unvermutheten Anblick
eines „Deutschen Postboten" wild zu werden.
Die Keicbsuerarossenbeit.
Und schmollet ihr auch „reichsverdrossen“,
3hr Pfäftlein, Junker, Bourgeois’, —
Ulir Kothen stehen kampfentschlossen
Huf scharfer Ulacht: — Kalt an! Uler da?!
Und möget ihr auch jedes kühne
Und freie Ulort mit Bann bedroh’n, —
Die Ulahrhcit spricht von der Cribüne
Des Reichstags laut, im Donnerton.
verheerend soll nun niedersausen
Der Schläge schonungslose Ulucht,
Jhr hört das Uolksmeer branden, brausen
Und wendet scheu den Tuss zur Tlucht!
Sophismen. -TW-
(Graf Posadowskl) im Reichstag am
12. Dezember: „Die öffentliche Unzufrieden-
heit ist eigentlich ein Zeichen großen Glückes,
weil objektiv glückliche Menschen meist sub-
jektiv unglücklich sind.")
Graf Bosabowsliy's Logik sagt Dir,
Daß Jedermann, der Hunger hat,
iKtos subjektiv an brmnger teide,
Jedoch sei objektiv er satt.
Auch die Logatresorm des Grafen
(Hiebt dito zu Triumphen Grund:
Wohl subjektiv vorhanden ist sie,
Doch objektiv ganz unter'»: Gund.
Eine Sihung der Anti-Ansrchisten-
Konferenx.
Bekanntlich ward die Konferenz zurHerathnng
über internationale Maßregeln gegen die An-
archisten unter strengstem Ausschluß der Oeffentlich-
keit in Rom abgehalten.
Der Vertreter Italiens, Canevaro, hielt bei
der Eröffnung folgende Ansprache:
Meine Herren! Als Hauptlieferant euro-
päischer Anarchisten hat sich Italien die Ehre
gegeben, zu dieser Konferenz die Initiative zu er-
greifen. Wir wollen Mittel suchen, welche ge-
eignet sind, den Anarchismus mit Stumpf und
Stiel zu vernichten....
England: Sehr gut, dann soll aber Italien
bei sich zu Hause anfangen.
Schweiz: Das geht nicht, denn dann müßte
cs die eigene Regierung zuerst ausrotten.
Italien: Ich kann nicht dulden, daß man
hier gesrozzelt wird. Machen Sie doch lieber
praktische Vorschläge.
Oesterreich: Ich schlage die altbewährte Aus-
weisungsmaßregel vor.
Belgien: Ist zu kostspielig, denn da die
Anarchisten gewöhnlich kein Geld haben, niüssen
wir die Reisekosten zahlen, wenn wir sie uns
gegenseitig znschicken.
Frankreich: Man könnte auch die Anarchisten
zu Generalstabsoffizieren ernennen.
Spanien: Damit sie sich gegenseitig die Hälse
abschneiden — endlich ein vernünftiger Vorschlag.
England <zur Geschäftsordnung): Bevor wir
in unsere Berathungen eintreten, sollten wir doch
feststellen, was man eigentlich unter „Anarchisten"
versteht.
Sachsen: Zum Mindesten gehören alle So-
zialdemokraten dazu, denn sonst nützt uns der
ganze Schwindel nichts.
Ein Antisemit: Und die Juden.
Ein Lippescher: Und die Preußen.
Rußland: Aber ganz besonders die Nihi-
listen.
England: Was sind denn das für Staats-
verbrecher?
Aus diese Frage weiß Niemand Antwort zu
geben. Der Eine meint, es seien Liberale, der
Andere hält sie für Katholiken, der Dritte für
Agrarier, der Vierte giebt der Vermuthung Aus-
druck, daß es Goldwährungsmänner sein könnten,
während Rußland steif und fest behauptet, daß
Nihilisten gleichbedeutend mit jenen Leuten seien,
die ohne Verfassung nicht leben wollten, also eine
Gefahr für das Bestehen des Staates bildeten.
Man kam schließlich überein, die Sitzung bis
nach Neujahr zu vertagen, um inzwischen Er-
kundigungen über die räthselhaften Nihilisten
einzuziehcn. ,,
Kleine Moralpredigt.
(Losgelassen vor der neuen lex Heinze.)
Unsittlich ist, ein Pfuhl von Sünden,
Was nicht bezähmt fein heißes Blut,
Doch sittlich ist es, Menschen schinden,
Um tzungersold, mit kaltem Muth.
Unsittlich ist das keusche Nackte,
Doch sittlich ist die Lüsternheit,
Die in der Uutte, die befrackte.
Und die im zweigefärbten Uleid.
Unsittlich ist's, den Leib zu preisen.
Das Schönste, das der Schöpfer traf.
Doch Arme aus den: Lande weisen
Ist sittlich, staatserhaltend, brav!