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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0040
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2938

Lin Klick in Ztunims Zukunstsstaat.

EN, der König von Saarabien, der große
Scharfmacher, hatte seine Freunde alle zu einem
Riesenhäringsschmaus geladen, um am Ascher-
mittwoch deni Prinzen Karneval eine würdige
Leichenfeier zu geben. Auf den weingerötheteir
Gesichtern der Erwerbsgenossen von Heyl, Hilbek,
Möller und wie sie alle hießen, war deutlich zu
lesen, daß sie mit irgend einer schwierigen Frage
beschäftigt wurden. Und so war es auch. Nicht
mehr und nicht weniger wollte ihr würdiger Gast-
geber von ihnen wissen, als die Lösung des
Problems : wie man die Massen den sozialistischen
Führern abspenstig machen und hinter die Erwerbs-
genossen v. Heyl, Hilbek, Möller re. schaaren könnte.
Während die Gänge in ungleich schnellerem Tempo
als die Posadowskysche Sozialreform aufeinander
folgten und den Flaschen erbarmungslos die Hälse
gebrochen wurden, brachte einer nach dem andern
seine Vorschläge aufs Tapet. Schmatzend und
rülpsend kam es nur so heraus von Wahlreform,
Zuchthausgesetz, Einsperren der Sozialistenführer re.
Aber nichts wollte recht einschlagen.

Allmälig verabschiedeten sich die Gäste. Herr
v. Stumm gab dem letzten das Geleit bis zur
Thür und entschloß sich dann zu seiner gewohnten
Frühpromenade, —■ es war ja ohnehin schon
Morgen, — uiit sich von der kühlen Luft den
Weindunst aus dem Gehirn jagen zu lassen.

Wie er so zwischen den Feldern dahin schleu-
derte, vernahm er ein klägliches Schreien und
Weinen und bemerkte bei schärferem Hinsehen,
daß mitten im Krautacker in gewissen Abständen
kleine Wickelkinder versteckt lagen, die das Amt
von Vogel- und Hasenscheuchen zu versehen hatten.
Zwischen den Aesten einiger Kirschbäume waren
ebenfalls Babys an Bändern befestigt und schrieen,
daß es eine Lust war. Ein verständnißinniges
Lächeln huschte über das Antlitz des Königs.
Wer hatte nur diese ideale Ausbeutung der Kinder-
arbeit ersonnen und ihm diese reizende Ucber-
raschung bereitet? Den betreffenden Beamten
wollte er fürstlich belohnen.

Kaum war er einige Schritte weiter spaziert,
da begegnete ihm ein arg zerluniptes Bäuerlein,
das de- und wehmüthigst seine Mütze zog und

bat, ein Anliegen ganz ergebenst vortragen zu
dürfen. König Stumm nickte huldvollst. Und
nun erzählte ihm das Bäuerlein, daß es mit
seinem Weibe und sechs Buben in einem Loch,
genannt Zimmer, von drei Quadratmetern wohne;
außer der Familie sei aber auch ein Mutterschwein
cinqnartiert. Der enge, dumpfe, schmutzige Raum
könne aber leicht böse Folgen für die Gesundheit
des Schweines haben, welches leider nicht einnial
ihm, sondern dem Pächter gehöre. Das arme
Thier zeige bereits Symptonie von nervösem Kopf-
schmerz, Bleichsucht, Melancholie und andere be-
denkliche Erscheinungen. Damit es nun nicht
ganz zu Grunde gehe, wolle der gnädige Herr
das Mutterschwein gütigst in eine luftigere und
gesundere Wohnung übersiedeln lassen.

Der König verhieß, das Nöthige zu veran-
lassen. Seine Laune war mittlerweile unheimlich
glänzend geworden. Das waren ja die braven,
treuen Unterthanen, wie er sie sich stets von
Herzen gewünscht hatte. Und er besaß solche
Mustergeschöpfe, ohne davon gewußt zu haben!

Eben war er im Begriff, wieder umzukehren,
da sah er sich einem Haufen Arbeiter gegenüber.
Es war eine Streikversammlung auf offenem
Felde. Eine der zu Skeletten ausgemergelten
Gestalten näherte sich ihm und bot ihm den guten
Morgen. „Uns ist es so brillant gegangen",
erklärte ihm der Mann, „daß wir vollkommen
zufrieden waren. Und nun hat der Fabrikant
es gewagt, uns eine Lohnerhöhung anzubieten.
Das können wir uns nicht gefallen lassen. Wir
verlangen einen siebzehnstündigen Minimalarbeits-
tag und Verkürzung des Lohnes um die Hälfte,
sonst bleiben wir im Ausstand! Wir werden
sehen, wer nachgiebt! . . ." Ein entschlossenes
Murmeln ging durch die Reihen der Umstehenden.

Heiße Thränen der Rührung flössen über
Stumms Wangen. Heftig erfaßte er die Hand
des Arbeiters und schüttelte sie nach Noten. „Ich
werde mich für Ihre Forderungen voll und ganz
einsetzen. Sie sollen erfüllt werden!" versprach
er. „Und Du, mein herziges Kind, was fehlt
denn Dir?" fragte er, einem hübschen, blutjungen
Mädchen mit verweinten Augen zärtlich die Wan-
gen klopfend.

„Ach, ich bin so furchtbar unglücklich", schluchzte
die Arbeiterin, „ich war beim gnä' Herrn in sei'm

Schlafzimmer, . . . und er hat mir einen Korb
gegeben ... und jetzt trau' ich mich nicht mehr
nach Haus, weil ich sonst Schlag' krieg' von
meinen Eltern und Brüdern . . . nein ... die
Schand'... die Schand'...!"

König Stumm versuchte, auch die Kleine nach
Kräften zu trösten und sagte ihr seine Fürsprache
bei dem gnädigen Herrn zu.

Währenddem wankte ein greiser Mann müh-
sani, auf den Krückstock gestützt, den Hügel herauf.
Ein mächtiger, verwitterter Schlapphut beschattete
sein Antlitz, in das ein Leben voll Kämpfen und
Entbehrung seine tiefen Furchen gegraben hatte.
Das Feuer in seinen Augen schien erloschen, mit
zitternden Fingern spielte er in den Fäden seines
weißen Bartes. Und dennoch lag in der ganzen
Gestalt des Greises etwas so unendlich ehr-
würdiges und hoheitsvolles, daß die Anderen
scheu und schweigend um einen Schritt zurück-
wichen.

„Gott... das war ja der alte Liebknecht...!"
durchzuckte es den Herrn von Stumm. „Das
also ist aus Dir geworden...?! Na — hab's
ja gewußt... hab's Dir immer vorausgesagt..
Die bethörten Massen haben sich endlich von Dir
gewendet und Dich steh'n gelassen...! Recht ist
Dir geschehen ...!"

> „Erhabener Freiherr", lispelte der Greis, „ich
habe vor meinem Tode nur den Einen sehnlichen
Wunsch: Dir allerunterthänigst die Stiefel putzen
zu dürfen ...!"

„Gestattet!"

Der König von Saarabien gedachte nun den
süßesten Triumph seines Lebens auszukosten.

Der alte Liebknecht aber begann den König
Stumm zu bürsten, er bürstete ihn mit einer
wahren Leidenschaftlichkeit von der Sohle bis
zum Scheitel, daß ihm, dem König, Hören und
Sehen verging ...

Als Stumnr erwachte, lag er in einer höchst
undestnirbaren und unköniglichen Stellung neben
dem Bette auf dem Fußboden. Der Aschermitt-
woch war bereits bis zur Hälfte vorüber, und
mit dem geträumten Zukunftsstaat war's wieder
nichts ...! e.

Sieg des Lebens.

Nun komm', du klapperdürrer Wichl,
And reich' mir deine Rechlr;

Denn anders halle ich es nicht
Beim ehrlichen Gefechte.

Ja ehrlich bin ich, wahr und groß
Im Lieben wie int Hassen.

Nun hole aus zum ersten Stoß,

Ich will ihn gern dir lassen.

Potz Blitz! Der war so übel nicht,

Den du mir da gegeben!

Doch nun heran, du dürrer Wichl,

Jehl komme ich, das Leben!

Wie klopft das Her; vor Kampfeslust,
Welch' krafldurchwärmtrs Zittern,

Nun hoch den Topf und frei dir Brust,
Ich will ste dir zersplittern!

Hab' ich gewacht, Hab' ich gelräuml?

Ich stoße ja ins Leere!

Du Tod hast schon das Feld geräumt?
Das lhut kein Mann von Ehre!

Das Leben siegl, nun jubelt mit:

Wo es mit klaren Zinnen
Dem Tode kühn eulgegenlrikl,

Da weichl der Tod von hinnen!

Spartakus.
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