Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
(Sine papierene Krone.

Von Franr Metzring.

Ueber das Schicksal der deutschen Revolution
von 1848 waren in den Wiener Oktober- und
den Berliner Novembertagen die entscheidenden
Würfel gefallen. Der österreichische und der
preußische Absolutismus hatten gesiegt. Sie konnten
ihre vormärzliche Herrlichkeit nicht unverändert
wieder Herstellen, nicht allen Moder wieder herein-
karren, den der revolutionäre Sturm hinausgefegt
hatte. Aber die Macht war in ihren Händen,
und ihr Schwert war deshalb nicht weniger scharf,
weil seine Scheide niit einigen konstitutionellen
Flittern verziert werden mutzte.

Noch aber lebte ein Kind der Revolution, die
Frankfurter Nationalversammlung. Sie hatte je
länger je mehr ihre Mutter verleugnet, in end-
losen Reden ihre Kraft erschöpft, den Zusammen-
hang mit den revolutionären Massen aufgegeben,
um mit den reaktionären Regierungen zu lieb-
äugeln; der österreichischen und der preußischen
Gegenrevolution hatte sie kaum noch mit ohn-
mächtigen Protesten zu begegnen gewußt. Ein
Kind der Revolution war sie aber doch, und seit-
dem der Säbel in Wien wie in Berlin herrschte,
blieb ihr nur ein Weg, auf dem sie vielleicht noch
siegen und in: schlimmsten Falle mit Ehren unter-
gehen konnte, der Weg einer zweiten Revolution,
zu dem sie die Nation aufrufen mußte. Allein
in aller unklaren Wirrniß, die sonst in ihr herrschte,
war die Nationalversammlung entschlossen, diesen
Weg, wenn nicht des Sieges, so doch der histo-
rischen Ehren nicht zu beschreiten.

Unter solchen Umständen lebte sie thatsächlich
nur noch von der Gnade der wirklichen Sieger.
So gründlich hatte sie alle eigene Macht zu ver-
trödeln verstanden, daß ihre ganze Existenzmöglich-
keit in dem Zwiespalte zwischen der österreichischen
und der preußischen Gegenrevolution wurzelte. Mit
dem Siege des vormärzlichen Absolutismus war
auch der vormärzliche Dualismus wieder erstanden:
die Frage, ob der österreichische oder der preußische
Despotismus das deutsche Volk vergewaltigen solle.
Konnte die deutsche Nation im Frühling 1848 mit
dem österreichischen wie mit dem preußischen Despo-
tismus aufräunien, so hatte die deutsche National-
versammlung im Frühling 1849, eben weil sie in
schnöder Verleugnung ihres Ursprungs den revo-
lutionären Weg wieder und wieder verschmäht
hatte, nur noch die Wahl, ob sie vom habsburgischen
Despotismus gebraten oder vom hohenzollernschen
Despotismus gesotten werden wollte.

Diese Lage der Dinge war so durchsichtig und
klar, daß ihre Konsequenzen sich auch in dem
Wölkenkuckucksheim der Paulskirche geltend machten.
Die bunten Kartenhäuser der Freiheit, die sich die
Ideologen der Bourgeoisie erbauten, fielen im
rauhen Luftzuge der Wirklichkeit von selbst um,
und seit der Jahreswende von 1848 auf 1849
spaltete sich die Frankfurter Nationalvcrsanimlung
mehr und mehr in zwei große Lager, zwischen denen
die Frage stand: Preußisch oder Oesterreichisch?
eine Alternative, deren dürre Trockenheit nicht
vertuscht werden konnte durch die nicht ganz so
mißtönende, aber dafür uni so mißverständlichere
Formel: Kleindeutsch oder Großdeutsch?

Die Mißverständnisse, die sich an die Formel:
Großdeutsch oder Kleindeutsch? knüpften und die
bis tief in die Geschichte der deutschen Sozial-
demokratie ihre Schatten geworfen haben, ent-
sprangen daraus, daß der dualistische Despotis-
mus ein spezielles Leiden des deutschen Volkes
bildete und deshalb verwirrend in die allgemeinen
Klassengegensätze griff, die diesem Volke mit allen
großen Kulturnationen gemeinsam waren.

Der großdeutsch-revolutionäre Standpunkt,
der mit Kassirung aller fürstlichen Souveräne-
täten alle deutschen Länder als einige und un-
theilbare Republik konstituiren wollte, war der
richtige Weg, um der deutschen Misere endlich
einmal ein Ziel zu setzen, aber er war auch die
Revolution, die Revolution und abermals die
Revolution. Er wurde vertreten von den Theo-
retikern der Arbeiterklasse, von Marx und Engels
und Lassalle und wie sie sonst hießen, ferner von
der Arbeiterklasse selbst, soweit sie damals schon
zum Klassenbewußtsein erwacht war, endlich noch
von den radikalsten Ausläufern der Bourgeoisie,
die in der Frankfurter Nationalversammlung viel-
leicht durch ein oder zwei Dutzend Köpfe ver-
treten waren. Dieser großdeutsch-revolutionäre
Standpunkt verlangte das souveräne Selbstbestim-
mungsrecht der deutschen Nation, also in erster
Reihe die Zertrümmerung sowohl des österreichi-
schen wie des preußischen Zwangsstaats.

Grundtief von dieser großdeutsch-revolutionären
Auffassung verschieden war die großdeutsch-reaktio-
näre Auffassung, die der großdeutsche Flügel der
Frankfurter Nationalversammlung in seiner weit
überwiegenden Mehrheit vertrat. Er wollte ein
deutsches Reich einschließlich des österreichischen
und des preußischen Zwangsstaats, was entweder
ein barer Widersinn oder die simple Wieder-
herstellung der vormärzlichen Bundestagsschande
war. Diese großdeutsche Reaktion sonnte sich
ganz unverdient in dem Glanze der Einheits- und
Freiheitskämpfe, worin sich die großdeutsche Revo-
lution mit Recht sonnen durfte; beide waren von
einander so weit entfernt, wie etwa Metternich
von Marx. Zog man von den Großdeutschen
der Paulskirche die äußerste, wenig zahlreiche Linke
ab, so blieb ein wüstes Konglonierat rückständiger,
namentlich feudaler, partikularistischer, ultramon-
tauer Elemente übrig, die bewußt oder unbewußt,
aus nüchterner Berechnung oder in sentimentaler
Unklarheit nur deshalb auf den Tisch trumpften:
Das ganze Deutschland soll es sein!, weil sie die
Revolution fürchteten.

Dieser Vorwurf ließ sich nun freilich auch
gegen die Kleindeutschen erheben, die mit der
großdeutsch-reaktionären Richtung darin überein-
stimmten, daß sie dem österreichischen so wenig wie
dem preußischen Zwangsstaat an den Kragen
wollten. Eben deshalb kennzeichnete Lassalle, der
nicht minder als Marx und Engels ein groß-
deutscher Revolutionär war, die kleindeutsche Rich-
tung „als das Produkt der bloßen Furcht vor
Ernst, Krieg, Revolution, Republik und als ein
gutes Stück Nationalverrath". Aber die klein-
deutschen Liberalen unterschieden sich dadurch von
den großdeutschen Reaktionären, daß sie nicht
einen baren Widersinn wollten und auch nicht
die simple Wiederherstellung der vormärzlichen
Bundcstagsschande, sondern daß sie aus dem

Schiffbruche der nationalen Revolution so weit
wie möglich die Klasseninteressen der Bourgeoisie
retten wollten. Sie wollten im Wesen der Sache das,
was seitdem wirklich historische Thatsache geworden
ist: die politische Einigung des Zollvercinsgebiets
unter preußischer Hegemonie, bei schtedlich-fried-
licher Trennung von dem österreichischen Gesammt-
staate, dem sie sonst alles Gute wünschten.

Hinter dem kleindeutschen Programni standen
die entwickeltsten und verhältnißmäßig weitsich-
tigsten Elemente der deutschen Bourgeoisie, und
es war kein Zufall, so sehk es ein Zufall zu sein
schien, daß die kleindeutsche Richtung in der Frank-
furter Nationalversammlung siegte. In einer
Reihe verwickelter Debatten und verworrener Ab-
stimmungen, aber verhältnißmäßig sehr schnell,
denn die drängende Noth ließ selbst den scheinbar
unerschöpflichen Quell der bürgerlich-parlamen-
tarischen Schwatzhaftigkeit versiegen, wurde die
Reichsverfassung vom 28. März 1849 fertig ge-
macht und der preußische König Friedrich Wil-
helm IV. zum Kaiser der Deutschen gewählt. Die
Bourgeoisie schob den österreichischen Despotismus
gleichmüthig bei Seite und bot dem preußischen
Despotismus Halbpart an beim Leichenraub an
der Revolution.

Der äußerlich wirksamste Hebel dieser schnellen
Entwicklung war die konsequent ablehnende Hal-
tung gewesen, die von den österreichischen Gewalt-
habern, namentlich seit ber Erstürmung Wiens
und der Ermordung Blums, gegen die Frank-
furter Nationalversammlung eingehalten worden
war. Ihnen lag nur daran, den österreichischen
Staat als europäische Macht wieder herzustellen,
womit die sicherste Bürgschaft dafür gegeben war,
daß die habsburgische Hegemonie über das zer-
rissene Deutschland wieder aufgerichtet werden
konnte; jede Befestigung der deutschen Zustände
widersprach dem habsburgischen Herrschaftsinteresse,
selbst wenn sie diesem Interesse äußerlich entgegen-
gekommen wäre, selbst wenn die deutsche National-
versammlung den österreichischen Kaiser zum Kaiser
der Deutschen gewählt hätte. Noch hatte die öster-
reichische Regierung mit dem ungarischen Aufstande
schwer zu schaffen und konnte sich nicht mit un-
getheilter Kraft den deutschen Dingen zuwenden,
aber wie zurückhaltend ihre deutsche Politik auch
noch war, so ließ sie doch klar erkennen, daß die
habsburgische Dynastie nicht daran dachte, frei-
willig aus Deutschland zu scheiden oder auch nur
einer andern Dynastie die Hegemonie über Deutsch-
land abzutreten.

Anders standen die Berliner Gewalthaber zu
der deutschen Nationalversammlung. Die preußi-
schen Uebcrlieferungen wiesen darauf hin, die
Artischocke Deutschland ohne viele Gewissensskrupel
blattweise zu verspeisen, und die preußische Re-
aktion hatte nicht so viel zuzusetzen, um nicht das
moralische Gewicht brauchen zu können, das die
feierliche Berufung zur Führung der deutschen
Nation durch eine, sei es auch sehr herunter-
gekommene Volksvertretung, immer doch noch
haben mochte. Auf der andern Seite verboten
freilich auch alle preußischen Ueberlieferungen, eine
Krone anzunehmen, die ein Parlament aus souve-
räner Machtvollkommenheit zu vergeben bean-
spruchte. Es handelte sich dabei weniger um die
Image description
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen