Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0062
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die (Entthronung einer Dynastie.

Bon Frau; Mrtzring.

Als das Jahr 1848 zur Rüste ging, war „der
Freiheit Märzsaat" überall in Europa gemäht.
In London lag der Chartismus darnieder, in
Paris hatte der uachgemachte Bonaparte die Zügel
in der Hand, in Berlin und in Wien herrschte der
Belagerungszustand. Die ungarische National-
versammlung aber floh in der Nacht vom 30. auf
den 31. Dezember 1848 aus Budapest nach De-
breczin, hinter die bergenden Sümpfe der Theiß;
am 5. Januar 1849 hielt Windischgrätz, der Henker
Wiens, seinen triumphirenden Einzug in die un-
garische Hauptstadt und errichtete ein blutiges
Schreckensrcgiment, wie er es eben erst in der
österreichischen Hauptstadt gchandhabt hatte.

Da raffte sich die ungarische Nation noch ein-
mal zu hcldenmüthigcm Widerstande auf, und in
diesen Frühlingstagen vor fünfzig Jahren flatterte
ihre Trikolore siegreich empor. Es war der letzte
große Kampf der europäischen Revolution, den
erst, zur Ehre für die Besiegten, zur Schande
für die Sieger, die noch ungebrochenen Pranken
des russischen Bären Niederschlagen konnten.

Die ungarische Revolution, die in den März-
tagcn von 1848 ausgebrochen war, hatte sich von
vornherein von den Nevolntionen in Paris, Wien
und Berlin mannigfach unterschieden. Es ist
schief ausgedrückt, wenn bürgerliche Historiker
sagen, daß die Anfangs- und Endpunkte der
ungarischen Revolution nicht politischer, sondern
nationaler Natur gewesen seien, daß die unga-
rische Nation bei ihrem ersten Erwachen mehr
nach Selbständigkeit gegenüber dem Kaiser von
Oesterreich, als nach Freiheit gegenüber dem
Könige von Ungarn verlangt habe. Aber in dem
schiefen Ausdruck ist eine richtige Auffassung ent-
halten.

In dem Donaureiche waren die Deutschen
und die Ungarn die Träger der bürgerlichen, je-
doch erst wenig entwickelten Zivilisation.' Nicht
die städtische Bürgerschaft, sondern der kleine
Landadel bildete die einflußreichste und mächtigste
Klasse der ungarischen Bevölkerung. Seine heftigste
Beschwerde bestand darin, daß die Regierung
„ohne ihn über ihn" verfüge, und er beabsichtigte
durchaus nicht, die erstrebte Herrschaft mit Bür-
gern und Bauern zu theilen. Der oppositionelle
Adel glaubte schon ein Wunder von Gerechtigkeit
zu thrin, als er im Reichstage von 1843 bis 1844
den 101 Dcputirten der 52 Städte, die bis dahin
nur eine Stimme geführt hatten, deren 16 zu-
billigtc, womit sie auch noch in hoffnungsloser
Minderheit blieben. In den Städten ging denn
auch eine sehr starke Strömung dahin, mit der
despotischen Regierung und dem stockreaktionären
Hochadel gemeinsame Sache zn machen: nur ver-
stand Metternich nicht, diese für ihn günstige
Situation auszunützen.

Seine althergebrachte Politik, die raffinirt ent-
wickelten Ausbeutungs- und Unterdrückungs-
interessen des habsburgischen Absolutismus da-
durch aufrecht zu erhalten, daß er die einzelnen
Nationalitäten gegen einander ausspielte, traf die
Ungarn ain schwersten. Ein stolzes Herreuvolk,
saßen sie über zersplitterten Slaventrümmern, die

von Wien aus beständig gegen sie anfgereizt
wurden; das gemeinsame nationale Interesse
schmiedete immer wieder die verschiedenen Klassen
der ungarischen Nation zusammen. Und wie die
politische Knebelung, so traf auch die materielle
Ausbeutung des Systems Metternich die Ungarn
am schwersten. Ungarn wurde wie eine reiche
Kolonie behandelt, die im Interesse des Mutter-
landes, der sogenannten Erbländer, thatsächlich
aber des kaiserlichen Säckels geplündert wurde.
Die ungarischen Reichstage wurden einberufen,
uni Rekruten und Geld zu bewilligen, während
die Regierung nicht nur nichts that, um das aus-
gepowerte Land wieder materiell zu kräftigen,
sondern im Gegentheil alles daran setzte, um die
Entwicklung von Ackerbau, Handwerk, Industrie
und Handel zu hindern. Den überreichen Natur-
produkten des Landes wurde die Ausfuhr nur
unter sehr schweren Zöllen gestattet, so. daß die
herrlichsten Früchte, tut Werthe von Millionen,
alljährlich verfaulten, weil ihnen die Absatzkanäle
fehlten; dagegen wurden die ungarischen Märkte
ohne alle Hindernisse mit einer Masse österreichischer
Jndustrieprodukte überschwemmt: das geldarme
Land mußte große Summen ans Ausland ab-
führen, weil die sich eben erst entwickelnde natio-
nale Industrie mit den von allen Seiten herein-
strömenden fremden Jndustrieerzeugnissen nicht
konkurriren konnte. Darunter litt das ganze
Land; Adel wie Bürgerthum hatten das gleiche
Interesse, diese, völlig unerträglichen Zustände zu
beseitigen. Ihr Bündniß wurde aber auch noch
dadurch erleichtert, daß der Adel trotz aller Klassen-
selbstsucht einsah, wie gut sich sein Geldbeutel
bei der Umwandlung des feudalen in bürger-
liches Eigeitthum stehen würde; er war bereit,
auf seine Steuerfreiheit, auf Robotten und Zehnten
und allen sonstigen mittelalterlichen Kram zu
verzichten. Eine Fraktion des Adels unter Füh-
rung des Grafen Szechenyi bemühte sich sogar,
einen Theil der Wunden gu heilen, die Metternichs
unverständige Politik dem bürgerlichen Handel und
Verkehr schlug; sie gründete die Donaudampf-
schiffahrt, begann mit der Regulirung der Theiß,
baute Straßen, Kanäle, Brücken und ähnliche
Werke, die den materiellen Wohlstand des Landes
in immerhin hohem Maße förderten.

Aus diesen sozialen Verhältnissen erklärt sich
der eigenthümliche Charakter der ungarischen Revo-
lution. Sie schien energischer und kraftvoller anf-
zutreten, als sonst die bürgerliche Revolution in
Europa, und es war auch nicht blos ein Schein.
Aber der Grund lag nicht darin, daß die ungarische
Bourgeoisie entwickelter, sondern umgekehrt, daß
sie weniger entwickelt war, als die deutsche oder
gar die französische Bourgeoisie. Einerseits wurde
sie noch nicht gelähmt durch das revolutionäre
Vordringen eines zahlreichen Proletariats, anderer-
seits stand sie Schulter an Schulter mit einem
kräftigen, kriegserfahrenen, trotzigen Adel. Vieles
in der ungarischen Revolution erinnert an die
große französische Revolution von 1789; dem dünn
bevölkerten und erst halb zivilisirten Magyarenlande
standen nicht entfernt die Hilfsmittel des revolu-
tionären Frankreich zn Gebote, aber die vier
Millionen Ungarn erwiesen sich als unbesiegbar
für ganz Oesterreich, das sich, sechzehn Millionen
fanatisirte Slaven voran, über sic stürzte.

Freilich Budapest war nicht Paris, und was
1789 ein Vorspiel war, das konnte 1849 nur
noch ein Nachspiel sein. Unter all ihren glänzenden
und glorreichen Außenseiten litt auch die ungarische
Erhebung an den Fehlern, Halbheiten und
Schwächen, die einer bürgerlichen Revolution in
der Mitte des 19. Jahrhunderts anhaften mußten.

Die formelle Auffassung der bürgerlichen
Historiker, daß die ungarische Revolution nicht
politisch, sondern national gewesen sei, findet ihre
Begründung in den zwölf Forderungen, in denen
sich das Programm dieser Revolution erschöpfte.
Obenan stand ein der Nation verantwortliches,
von Oesterreich unabhängiges Ministerium, und
auch sonst überwogen die nationalen Gesichts-
punkte. Und als der erschreckte Kaiser den Grafen
Batthyanyi sofort mit der Bildung eines unga-
rischen Ministeriums betraute, schrumpfte der
Liberalismus der Revolution noch mehr zusammen.

Es entsprach den thatsächlichen Machtverhält-
nissen, daß in dem neuen Ministerium nur zwei
Portefeuilles der Bourgeoisie, alle übrigen aber
dem Adel zufielen. Weniger nothwendig war
vielleicht, daß sich die beiden bürgerlichen Minister,
Kossuth und Szemere, ohne besonderen Anstoß in
ihre bescheidene Rolle fanden. Kossuth feierte in
dem überschwänglichen Stil eines vormärzlichen
Romantikers den Adel, „dem Ungarn allein seine
Entstehung und seine Erhaltung verdanke", und
Szemere brachte ein Preßgesetz ein, das fast noch
gefährlicher war, als die vormärzliche Zensur,
indem es für die Herausgabe von Zeitschriften
unerschwingliche Kautionen forderte; erst eine
drohende Volksbewegung erzwang die Herabsetzung
der ungeheuerlichen Summen um die Hälfte.
Auch das Wahlgesetz, auf Grund dessen die neue
Nationalversammlung gewählt werden sollte, war
sehr engherzig; durch eine Reihe von Beschrän-
kungen schloß es viele Tausende von Staats-
bürgern aus, bezeichnender Weise aber nur, wenn
sie nicht zum Adel gehörten; jeder Adelige sollte
ohne Weiteres wahlfähig und wählbar sein. Als
die neue Versammlung zusammentrat, zählte sie
unter 370 Mitgliedern kaum 40, die über einen
blassen Liberalismus hinausgingen.

Inzwischen war in Wien der erste Schreck
überwunden und sofort der Entschluß gefaßt
worden, das ergiebige Ausbeutungsobjekt Ungarn
nicht fahren zu lassen. Unter der Hand wurden
die Kroaten und andere slavische Natiönchen gegen
das selbständige Ungarn aufgereizt, und es war
logisch genug, daß Kossuth als Finanzminister
von der Nationalversammlung auf ein Jahr die
Summe von 42 Millionen Gulden verlangte,
um eine disponible Streitmacht von 200000 Mann
auszurüsten und zu unterhalten. Aber unbegreif-
lich war, daß die adelige Mehrheit des Ministeriums
diese Machtmittel verwenden wollte, um die italie-
nische Revolution unterdrücken zu helfen, wo-
für dann das Wiener Kabinett den unter der
Leitung des Banns Jellachich beginnenden Auf-
stand der Slaven dämpfen sollte. Kossuth war
schwach genug, sich auf den schmählichen Handel
einzulassen; er sagte, daß er seine persönlichen
Sympathien mit den italienischen Freiheitskämpfern
seinen amtlichen Pflichten unterordnen müsse.
Vergebens erschöpfte sich die Opposition in be-
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen