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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0063
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redte» Warnungen: „Wird Oesterreich, sieggekrönt
in Italien, dabei stehen bleiben? Wird es dann
nicht seine Soldaten mit derselben freiheitsmörde-
rischen Absicht gegen Ungarn wenden? Die aus
Italien im Triumph heimkehrenden Truppen wer-
den die ungarische Freiheit erwürgen." Die über-
zeugenden Prophetcuworte verhallten im Winde;
mit 236 gegen 33 Stimmen beschloß die National-
versammlung die Waffenhilfe gegen die italienische
Revolution. Ein drohender Volksaufstand wurde
mit der Einflüsterung beschwichtigt, der Beschluß
sei ja gar nicht ernstlich gemeint, das unabhängige,
aber noch ungerüstete Ungarn bedürfe unbedingt
einiger Zeit, um sich zu sammeln; hätten die
Kabinette so oft die Völker durch politische Masken
getäuscht, weshalb solle nicht auch einmal ein
Volk ein Kabinett durch eine politische Maske
täuschen? Es war jene unheilvolle Politik, die so
oft schon die bürgerlichen Revolutionen ruinirt
hat: statt die getäuschten Feinde nicht vor sich und
die Freunde hinter sich zu haben, enden solche
diplomatische Revolutionsrechner immer damit,
umgekehrt die Feinde vor sich und Anhänger nicht
hinter sich zu haben.

Nun kam es sehr schnell so, wie die Opposition
vorausgcsagt hatte. Nach Radetzkys Siegen in
Italien machte sich der habsburgische Despotismus
daran, Ungarn niederzuwerfen. Der Bonus
Jellachich, von Wien her erst heimlich, aber bald
auch öffentlich unterstützt, brach mit Waffen-
gewalt ins Land; der Kriegsmimster Latour saudte
den ungarischen Festungs- und Truppenkomman-
danten den strengen Befehl, sich dem Ban zu
unterwerfen; er selbst sammelte alle verfügbaren
Truppen zum Einfall in Ungarn, wohin zugleich
der Feldmarschallleutnaut Lamberg als kaiserlicher
Kommissar gesandt wurde, um zwischen den krieg-
führenden Theilen zu vermitteln, das heißt, um
dem Bonus Recht und der ungarischen Regierung
Unrecht zu geben. Jedoch Lamberg wurde in
Budapest von der empörten Menge erschlagen,
dann erhob sich das Wiener Proletariat, um den
Abmarsch der Truppen nach Ungarn zu hindern;
auch Latour wurde getödtet, und der entsetzte
Hof flüchtete nach Olmütz, mitten in slavischcs
Gebiet. Vereinte sich jetzt der Aufstand in Buda-
pest mit dem Aufstand in Wien, so war eine
große Entscheidung möglich.

Aus dein treulosen Doppelspiele des Hofes
hattendie Ungarn viel, aber leider noch nicht genug
gelernt. Das Adelsministerium Batthyanyi war
unmöglich geworden; ein Landesvertheidigungs-
ausschuß, dessen belebende Seele Kossuth war,
leitete die Dinge. Kossuth zeigte in dieser Stellung,
daß ein Stück von einem Danton und ein Stück
von einem Carnot in ihm steckte; seine hinreißende
Beredtsamkeit entflammte die Massen, und mit
fieberhaftem Eifer betrieb er die Rüstung des
Landes, die schnell so weit vorgeschritten war, um
Jellachich iu schmähliche Flucht zu werfen. Kossuth
verlangte jetzt den energischen Vorstoß nach Oester-
reich hinein; mit ihm sagten alle entschlossenen
Revolutionäre, daß Ungarn — auf allen Seiten
von Oesterreich umgrenzt, im eigenen Lande überall
von magyarenfeindlichen Volksstämmen umgeben
— im Kampfe gegen Oesterreich unterliegen müsse,
sobald es sich in den engen Grenzen des eigenen
Landes fangen lasse. Es könne nur siegen, wenn
es diese Grenzen muthig überschreite, den Kampf
auf Oesterreichs Boden trage, die deutschen Pro-
vinzen, in denen die Elemente der Gährung
massenhaft aufgehäuft waren, zum Bündniß auf-
rufe. Allein auch jetzt drang diese revolutionäre
Richtung nicht durch. Ein großer Theil des Adels,
namentlich viele Offiziere des noch schwachen und
ungeübten Heeres wollten von einem revolutio-
nären Bruche mit Oesterreich nichts wissen. Sie
konnten unziveifelhaft manche triftigen Gründe für
ihre Ansicht geltend machen, aber der entscheidende
Gesichtspunkt blieb doch immer die eindringliche

Lehre der Geschichte, daß eine Revolution, die zu
weit zu gehen fürchtet, nicht weit genug gegangen
ist. Im offenen Kampfe gegen die Dynastie be-
griffen, wollten sie sich in den Loyalitätsmantel
hüllen. Indem sie eine Herrschaft von dreihundert
Jahren zu stürzen versuchten, pochten sie noch
immer auf ein sogen, historisches Recht. Gemalt
mit Gewalt vertreibend, klammerten sie sich an die
Einbildung, den „Rechtsboden" nicht zu verlassen.

Nach dem Falle Wiens lag Ungarn offen dem
Vorstöße des Feindes da. Obgleich der unfähige
Kamaschenknopf Windischgrätz ganz nutzlos lange
Wochen vertrödelt hatte, war es doch wenig über-
trieben, wenn er sich rühmte, in einem „Parade-
marsch" bis Budapest vorgedrungen zu sein. Die
ungarischen Truppen waren vor seinem erprobten
und zahlreichen Heere von Position zu Position
gewichen. Nur in Siebenbürgen hatte Bem mit
glänzendem Erfolge gekämpft und das gewaltige
Netz, womit Ungarn umsponnen werden sollte,
an einer Stelle zerrissen. Dem wunderbaren
Organisationstalente Beins war es gelungen, aus
ganz unzulänglichen Streitkräften eine achtungs-
gebietende Macht zu schaffen; die untere Theiß-
gegend blieb von Feinden frei, und die Ungarn
behielten ein großes, durch seine Naturbeschaffen-
heit sehr günstiges Terrain, worauf sie ihr junges
Heer organisiren und zu erfolgreichen Kämpfen
rüsten konnten.

Dennoch wäre die ungarische Revolution ver-
loren gewesen, wenn Windischgrätz auch nur ein
mäßiges militärisches und politisches Talent be-
sessen hätte. Während er auf Batthyanyis und
Anderer Friedensvorschlägc nur die stereotype Ant-
wort hatte: Mit Rebellen unterhandle ich nicht!
verschwendete er, wie nach dem Falle Wiens, so
auch jetzt nach der Einnahme Budapests die kost-
bare Zeit in der nutzlosesten und selbst zweck-
widrigsten Weise. Statt die cntmuthigten Gegner
zu verfolgen und ihre letzten Hilfsquellen abzu-
schneiden, wüthete er unter der Bevölkerung mit
dem Standrechte, womit er selbst einen Widerstand
groß zog, den er schon nach wenigen Wochen nicht
mehr bändigen konnte.

Der Landesvertheidigungsausschnß und die
Nationalversammlung kamen in voller Auflösung
nach Debreczin. Sie fanden dort einen kalten
und selbst unfreundlichen Empfang. In der ersten
Sitzung der Nationalversammlung erklärte sogar
Kossuth selbst, er würde der Erste sein, Verhand-
lungen anzuknüpfen, wenn Verhandlungen über-
haupt noch möglich wären. Aber Windischgrätz
verlange unbedingte Unterwerfung, er wolle die
völlige Vernichtung Ungarns. Schlimmer könne
es in keinem Falle kommen, bei fortgesetztem
Widerstand wäre nichts zu verlieren, aber viel-
leicht noch etwas zu gewinnen. Es war der Muth
der Verzweiflung, womit die 145 anwesenden
Volksvertreter schworen, nie in die unbedingte
Unterwerfung Ungarns zu willigen, vielmehr der
heilige» Sache der Nation bis zum letzten Athem-
zuge treu zu bleiben.

Kossuth selbst [entfaltete in diesen Tagen eine
bewunderuswerthe Thätigkeit, die es wohl erklär-
lich macht, daß er immer der Liebling der Nation
geblieben ist. Die Banknotenpresse und die Re-
gierungsbureaus wurden in Debreczin, die Gc-
wehrfabriken und Pulvermühlen in Großwardein
errichtet, die Werbung und Einübung der Honveds
mit rastlosem Eifer betrieben. Einzelne militärische
Erfolge, die neben Bem nun auch schon Görgey,
Klapka und Perczel errangen, erhöhten den Muth,
und es war inehr zum Heil, als zum Unheil der
ungarischen Sache, daß die Oesterreicher Ende
Februar 1849 in einer ziveitägigen Schlacht bei
Kapolna einen ziemlich unfruchtbaren Sieg er-
fochten, dessen kümmerliche Früchte Windischgrätz
nicht einmal einzuheimsen verstand. Trotzdem
vertraute die österreichische Kamarilla in Olmütz

seinen großsprecherischen Bulletins und glaubte,
den rechten Augenblick für eine große politische
Gewaltthat gekommen. Der Staatsstreich vom
4. März oktroyirte eine streng zentralistische Ver-
fassung, durch die Ungarn seine achthunderk-
jährige autonome Verfassung verlor und zur öster-
reichischen Erbprovinz herabgedrückt wurde. Das
fehlte nun gerade noch, um die letzten Ungarn,
die durch KossuthS Beredtsamkeit und die Mord-
gier des Windischgrätz noch nicht aufgestürmt
worden waren, in den Harnisch zu jagen. Nun
erklärten auch die Friedfertigsten und Zaghaftesten
den Krieg gegen die Dynastie für ihre Pflicht wie
für ihr Recht; einer Nation, die durch brutale Ge-
walt aus der Reihe der selbständigen Staaten ge-
strichen werden solle, bleibe nur der Vertheidigungs-
kampf auf Tod und Leben übrig.

In einem herrlichen Aufschwung erhob sich
das ganze Volk und fegte den Boden des Vater-
landes rein von seinen Unterdrückern. Die „Re-
bcllenhaufen" jagten die dünkelhaften k. k. Generale
vor sich her und trieben namentlich dem Henker
Windischgrätz die junkerlichen Marotten gründlich
aus. In den letzten Tagen des März war das
ungarische Heer bereits diesseits der Theiß in
einem großen Halbkreise konzentrirt, der sich,
durchschnittlich sechs bis acht Meilen von Pest
entfernt, von Balassa-Gyarmat bis Szolnok er-
streckte. Vom 1. bis 7. April schlugen die Ungarn
eine Reihe siegreicher Gefechte, die das österreichische
Heer auf Budapest zurückwarfen; am Abend des
7. April schlief Kossuth in Gödöllö in demselben
Bette, worin Windischgrätz am Morgen des gleichen
Tages noch von der Vernichtung der Rebellen
geträumt hatte. Nun haselirte dieser unverbesser-
liche Polterer, daß er von der Zentralstellung der
Hauptstadt aus den vernichtenden Schlag gegen
die Rebellenhaufen führen werde, aber das ging
selbst der Olmützer Kamarilla über den Spaß
und sie berief ihn ab. Seine Nachfolger waren
vielleicht nicht ebenso unfähig wie er, aber nicht
weniger unglücklich. Ueberall wo die ungarischen
Waffen im Felde erschienen, krönte sie der Sieg;
vom Rothcnthurmpaß bis zu den Preßburgcr
Schloßruinen, von der Drau bis zu den nörd-
lichen Karpathen flatterte die Trikolore, herrschte
die Honveduniform, ertönte der Rakoczymarsch.

Kossuth hatte die ungarischen Heerhaufen ins
Feld begleitet; wie er sie durch seine begeisternden
Reden zur höchsten Kraftanspannung anspornte,
so stählte er den eigenen Muth durch den Blick
auf ihre Heldcnthaten. Berauscht von dieser wunder-
gleichen Erfüllung seiner patriotischen Hoffnungen
und Träume, eilte er von Gödöllö nach Debreczin
zurück, um nun auch an seinem Theile zu han-
deln. Am 14. April erstattete er dem Reichstage
den ausführlichen Bericht über den Siegeslauf
der ungarischen Heere, schilderte in beredten Worten
das gute Recht und die unzerbrechliche Kraft
Ungarns, die Gewaltthätigkeit und die Schwäche
Oesterreichs und schloß mit dem Antrag, daß
„Ungarn sammt allen dazu gehörigen Theilen
und Provinzen in seine unveräußerlichen Natur-
rechte wieder eingesetzt, der Reihe der selbständigen
europäischen Staaten wieder angeschlossen und das
meineidige habsburgisch-lothringische Haus vor
Gott und der Welt des Thrones verlustig erklärt"
werde. Der Antrag wurde ohne jede Debatte
angenommen und am 15. April in einem feier-
lichen Manifest verkündet; die zukünftige Feststel-
lung der Regierungsform blieb der National-
versammlung Vorbehalten, einstweilen sollte Kossuth
unter seiner eigenen und der von ihm ernannten
Minister Verantwortlichkeit das Land in seiner
ganzen Ausdehnung regieren.

Mit der Entthronung der habsburgischen
Dynastie hatte die ungarische Revolution ihren
Höhepunkt erreicht.

(Ein zweiter Artikel über den Zusammenbruch der ungarischen
Revolution folgt später.)
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