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^ Der Marausjlanö in Dresden. ■-<-

Äls der preußische König am 3. April 1849
die papierene Krone der Frankfurter Paulskirche
zerriß, zerschellte die geträumte Souveränetät der
deutschen Nationalversammlung an der wirklichen
Souveränetät der deutschen Dynastien. Aber die
Souveränetät der Nationalversammlung floß aus
der Souveränetät der Nation, die sich nach dein
kläglichen Untergange ihrer Vertretung vor die
Frage gestellt sah, ob sie sich wieder, wie vor den
Märztagen, als willenlose Schafherde in den Willen
der Fürsten fügen wolle.

So viel stand von vornherein fest, daß ein
revolutionärer Aufschwung, wie ein Jahr vorher,
nicht mehr möglich war. Die ökonomische Krisis,
der wirksamste Hebel der Märzrevolution, begann
dem industriellen Aufschwünge zu weichen; die
Klassenkämpfe der Revolution selbst hatten die
oppositionellen Klassen unter einander tief ver-
feindet; endlich saß in Oesterreich und in Preußen
die Gegenrevolution viel zu fest im Sattel, als
daß sic in einem raschen Anlauf auf die platte
Erde gesetzt werden konnte. Unbedingt wurde die
Souveränetät der Nation nur noch verfochten
von dein klassenbewußten Theile des Proletariats,
von den klarsten und tapfersten Elementen des
Kleinbürgerthums und von einzelnen Ideologen
der Bourgeoisie, alles in allem einer verschwin-
denden Minderheit des Volkes, die obendrein fast
überall, wo sie verhältnißmäßig noch ein starkes
Gewicht in die Wagschale werfen konnte, an
Händen und Füßen geknebelt war. Die Gegen-
revolution hatte sich eben gut vorgesehen; weder
am Rheine, noch in Schlesien fehlte cs an revo-
lutionären Zuckungen, doch, wurden sie durch
eine erdrückende Militärmacht sofort iiu Keime
erstickt.

Nur in zwei kleineren Staaten rief das Ringen
um die Reichsverfassung revolutionäre Kämpfe
von größerem Umfange hervor: in Sachsen, den:
großindustriellen, und in Baden, dem kleinbürger-
lichen Typus der deutschen Mittelstaaten. Die
Reichsverfassung selbst war dabei nicht sowohl
das Ziel, als das Banner des Kampfes: die
badische Regierung hatte sie anerkannt, während
in der sächsischen Kanrmer gerade die Vertreter
der Bewegungspartei gegen sie protestirt hatten.
Das preußische Kaiserthum war den Streitern
der Reichsverfassungskampagne nicht einen Schuß
Pulver, geschweige denn einen Tropfen Blut
werth: sie kämpften für die Souveränetät der
Nation, deren bloßes Symbol die Reichsverfassung
war. Hätten sie gesiegt, so wären sie über dies
Symbol hinweggeschritten, um der Sache willen,
die sich einstweilen in ihm verkörperte. „Denen
es Ernst war mit der Bewegung, war es nicht
Ernst mit der Reichsverfassung", sagte Engels
einfach und treffend. Freilich hatte diese Medaille
auch die gleichfalls von Engels aufgezeigte Kehr-

von Lranz Mehring.

feite: „Denen es Ernst war mit der Reichs-
verfassung, war es nicht Ernst mit der Bewegung."
Darin lag ein Widerspruch, woran die Reichs-
verfassungskampagne scheitern mußte, selbst wenn
sie sich sonst unter den günstigsten Bedingungen
hätte entwickeln können; im denkbar erfolgreichsten
Falle wäre sie nicht ein Abschluß alter, sondern
ein Anfang neuer Kämpfe geworden. Was ihr
dennoch ein rühmliches Andenken in der Geschichte
sichert, war ihr Charakter als letzter tapferer
Kampf der deutschen Revolution. Sie begann
mit dem Maiaufstandc in Dresden.

Das Königreich Sachsen bot in der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts das Bild eines Staates,
der seinem Inhalt nach wesentlich industriell,
seiner Form nach wesentlich feudal war. Es
würde an dieser Stelle zu weit führen, die Gründe
davon zu entwickeln; genug, die sozialen Reformen,
die das in seinem Kerne feudale Königreich Preußen
schon zur napoleonischen Zeit durchgeführt hatte,
wurden in Sachsen erst durch die Bewegung von
1830 nachgeholt, nunmehr freilich viel gründlicher,
als sie bis dahin in dem größeren Nachbarstaat
verwirklicht morden waren. Von 1830 bis 1843
herrschte in Sachsen eine Art von patriarchalischem
Absolutismus, der den materiellen Wohlstand des
Landes zu fördern und dadurch das politische
Selbstbewußtsein der Bevölkerung einzuschläfern
wußte; als dann dies Selbstbewußtsein dennoch
in den vierziger Jahren, wie überall in Deutsch-
land erwachte, kehrte auch die sächsische Dynastie,
wie alle deutschen Dynastien die rauhe Seite
heraus.

Hauptherde der politischen Bewegung waren
das Vogtland und das mittlere Erzgebirge init
ihrer starken Fabrikbevölkerung, daneben das so-
genannte Schönburgische, ein unter der besondern
Hoheit der Fürsten und Grafen von Schönburg
stehender Laudestheil, dessen Bewohner unter
doppelten Lasten seufzten. Der obere und der
untere Theil des Erzgebirges, die hauptsächlich
auf den Bergbau angewiesen waren, verhielten
sich noch sehr ruhig; Freiberg ist erst durch das
Jahr 1848 um den Ruf einer gut königlich und
ministeriell gesinnten Stadt gekommen. Auch das
fruchtbare Flachland des Leipziger und des Dres-
dener Kreises hielt sich im Ganzen zurück; direkt
reaktionär war großeutheils die Lausitz, die ihre
besonderen Einrichtungen und Ueberlieferungen
besaß. Unter den Städten des Landes hatte
Leipzig den weit überwiegenden Einfluß, der sich
bis zu einem gewissen Grade sogar über ganz
Deutschland erstreckte. Es gab hier eine liberale
und eine radikale Richtung, die oft in einander
flössen, ivic denn in vormärzlichcr Zeit ja über-

haupt noch keine scharfen Parteiuuterschicde be-
standen. Anscheinend überivog die radikale Rich-
tung, aber thatsächlich war sie die schwächere.
Neben einer ziemlich wohlhabenden Handwcrker-
klasse stützte sie sich in erster Reihe auf das Heer von
Literaten, die sich, zum Theil aus ihren Heimath-
ländern vertrieben und in unsicherer Lebens-
stellung, in der Metropole des deutschen Buch-
handels zusammengefunden batten und von hier
aus die Presse in ganz Deutschland beeinflußten.
Sehr viel stiller, aber sehr viel mächtiger war die
intelligente Kaufmannsklasse der reichen Handels-
stadt, die nicht über einen „besonnenen und zeit-
gemäßen" Fortschritt, nicht über die Forderungen
eines gemäßigten Liberalismus hinausgehen wollte.
Aber selbst dahinter blieb Dresden in vormärz-
licher Zeit noch sehr zurück; die weitreichenden
Einflüsse des Hofes und einer zahlreichen Be-
amtenklasse, denen nur ein mäßig gebildetes
und wenig wohlhabendes Bürgerthum gegenüber
stand, ließen hier nicht einmal einen schwachen
Liberalismus aufkommen. In der jüngeren
Generation der sächsischen Hauptstadt begann sich
allerdings eine radikalere Strömung geltend zu
machen, doch hatte sie einstweilen keinen besondern
Einfluß.

Es war denn auch nicht Dresden, sondern
Leipzig, das durch gemeinsames Vorgehen seiner
liberalen und radikalen Elemente nach Ausbruch
der Pariser Februarrevolution beiin Könige die
Ernennung liberaler Märzminister durchsetzte.
Diese Minister waren wie alle ihresgleichen, nicht
Fisch und nicht Fleisch, ängstlich nach Oben, miß-
trauisch nach Unten schielend; sie blieben in ohn-
inächtigen Anläufen stecken und waren nach Jahres-
frist abgcthan. Darüber hatte die radikale Be-
wegung im Lande sehr an Kraft gewonnen; sie
wuchs sogar ihrem alten Führer Blnm über
den Kopf, der bei aller Ehrlichkeit und Energie
doch ganz und gar in bürgerlichen Anschauungen
lebte. Jn> sächsischen Landtage bildete sich eine
sozialdemokratische Fraktion, sozialdeinokratisch
freilich noch nicht int heutigen proletarisch-revolu-
tionären, sondern im damaligen kleinbürgerlich-
proletarischen Sinne des Wortes; neben den
bürgerlich-radikalen, das ganze Land umspannen-
den Vaterlandsvereinen that sich ein Demokratischer
Volksverein auf, der von sozialistischen Literaten
geleitet wurde, auch er allerdings nur mit dem
Programm: Soziale Reformen, aber kein Kom-
munismus! Viel wichtiger war, daß der Berliner
Arbeiterkongreß vom August 1848 die Zentral-
leitung der Arbeiterbewegung int östlichen Deutsch-
land nach Leipzig verlegt hatte, von wo nament-
lich Stephan Born in Schrift und Wort eine
rührige Propaganda betrieb, die wenigstens in
der Hauptsache vom Geiste des Komnmnistischen
Manifestes beseelt wurde.
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