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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0073
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— 2969


So waren die kleinbürgerlichen und proletari-
schen Klassen des Königreichs Sachsen verhältniß-
mäßig gut organisirt und noch durch keine
Niederlage geschwächt, als die Katastrophe über
die Frankfurter Nationalversammlung hereinbrach.
In der Forderung, die Reichsverfassung anzuer-
kennen, waren die sächsischen Liberalen und Ra-
dikalen einig, aber keineswegs in den Gründen
dieser Forderung. Die Liberalen wollten damit
„die Revolution schließen", obendrein unter der
Voraussetzung, daß es ihnen weder Gut noch
Blut koste, die Radikalen aber
wollten die Souveränctät des
Volkes schützen, nicht wegen,
sondern trotz der Reichsver-
fassung. Born sprach es offen
aus: „So lange es sich nur
um die Rcichsverfassung han-
delte, erwarteten wir vom
Volke keine Erhebung, denn
es gicbt nichts Widersinni-
geres, als durch eine Revo-
lution einen König zwingen
zu wollen, daß er eine Krone
anuehme. Jetzt ist die Frage
eine andere: Steht es den
Fürsten zu, mit den Ver-
tretern des Volkes zn spielen
und sie auseinander zu jagen,
wenn es ihnen so beliebt?

Das Volk hat das Recht,
seinen Abgeordneten in Frank-
furt die entschiedene Miß-
billigung ihres bisherigen Ver-
haltens kundzugeben; wir, die
Wähler, haben das Recht, sie
zurückzuberufen oder sie aus-
einander zu jagen, wenn sie
nicht gehen wollen, aber den
Fürsten steht dieses Recht
nicht zu. Indem wir die
Frankfurter Versamnilung
unterstützen, unterstützen wir
die Volkssouverünetüt und
nichts anderes." In diesem
Geiste haben sich die sächsischen
Arbeiter an dem Dresdener
Maiaufstande bcthciligt.

Die lärmenden Kund-
gebungen der sächsischen Bour-
geoisie für die Reichsverfassung
hatten wenigstens das eine
Gute, die Aufregung über
den boshaften und hartnäcki-
gen Widerstand der Regierung,
an deren Spitze nach der Ab-
wirthschaftung der März-
minister der Diplomat von
Beust stand, bis in die weite-
sten Kreise der Bevölkerung zu tragen. De-
putationen und Petitionen aus allen Theilen
des Landes bestürmten den König, der nach
anfänglichem Schwanken dabei beharrte, die
Reichsverfassung nicht anzuerkennen. Er wurde
darin von Berlin aus gesteift, wo die Gegen-
revolution nunmehr entschlossen war, die revo-
lutionäre Bewegung in den Mittel- und Klein-
staaten mit überwältigender Macht nieder-
zuschlagen, in der trügerischen Hoffnung, darnach
von den dankbaren Fürsten die preußische Hege-
monie über Deutschland anerkannt zu sehen.

Die sächsischen Kammern waren am 30. April
geschlossen worden, nachdem sie sich für die Reichs-
verfassung erklärt hatten; am 3. Mai wurde eine
Parade der Dresdener Bürgerwehr verboten,
iveil dabei ein feierliches Hoch auf die Reichs-

Verfassung ausgebracht werden sollte. An dem-
selben Tage kam es am Zeughause zum ersten
blutigen Zusammenstoß. Ein hölzernes Gitterthor
wurde von den andrängendcn Massen eingestoßen,
worauf die Besatzung sofort eine Salve abgab
und vier Menschen tödtete. Nunmehr versuchte
die Menge das Zeughaus zu stürmen und stieß
eben ein zweites Thor auf, als ein Kartätschcn-
schuß herauskrachte, mitten in ein Bataillon
Bürgerwehr hinein, das zur Zerstreuung des
Volks heranrückte. Zwanzig Menschen stürzten,

Barrikade an der großen Krauengasse in Dresden.

darunter vierzehn Todte. Die Wirkung war ähn-
lich, wie bei den zwei Schüssen, die am 18. März
auf dem Berliner Schloßhofe fielen: im Ru war
der offene Kampf entbrannt. Die Regierung, die
in Dresden selbst nur etwa über 2000 Mann
Truppen verfügte und diese Zahl durch Zuzüge
aus Chemnitz und Leipzig nicht viel mehr als
verdoppeln konnte, rief sofort durch Eilboten die
preußische Hilfe an, während der Ausstand die
ganze Altstadt mit mehr als hundert Barrikaden
bedeckte, die zum Theil äußerst kunstreich erbaut
waren. Eine hatte der berühmte Baumeister Gott-
fried Seurper errichtet, der ebenso wie die Kapell-
meister August Röckel und Richard Wagner leiden-
schaftlichen Antheil an dieser Volkserhebung nahm.

In der Frühe des 4. Mai floh der König auf
den Königstein. Die Neustadt hielt die Regierung

noch besetzt, aber von der Altstadt befand sich
nur das Schloß und das Zeughaus in der Ge-
walt der theilweise unsicheren Truppen. Es ist
den Aufständischen als schwerer Fehler angerech-
net worden, daß sie sich am 4. Mai auf einen
Waffenstillstand bis zum nächsten Tage einließen,
und thatsächlich hat auch die Regierung den grö-
ßeren Vortheil daraus gezogen, indem sie die er-
schütterte Disziplin befestigte und frische Truppen
heranzog. Doch darf nicht übersehen werden, daß
auch der Aufstand, wenn er sich mit einiger Aus-
sicht auf Erfolg halten wollte,
des Massenzuzugs aus dem
Lande bedurfte, daß er Mu-
nition und Waffen heran-
schaffen mußte: die Bürger-
wehr hatte sich, sobald erst
einmal Blut geflossen war,
vorsichtig zurückgezogen, und
auf den Barrikaden standen
weit, überwiegend Arbeiter mit
ihren muskulösen, aber nack-
ten Armen. Was eine Stadt,
wie das damalige Dresden,
an Rekruten lieferte, war
schnell erschöpft, und zunächst
rettete den Aufstand wirklich
der Zuzug industrieller und
ländlicher Arbeiter aus der
Umgegend: dann kam manche
Hilfe aus weiterer Ferne,
Maschinenbauarbeiter aus
Chemnitz und mehrere hundert
Bergleute aus den Kohlcn-
distrikten von Burgk, die
einige Böller mitbrachten, die
einzige und ziemlich wirkungs-
lose Artillerie des Aufstands.
Aber eine durchgreifende Hilfe
des Landes blieb aus; die
Leipziger Bürgermehr versagte
wie die Dresdener; trotz hef-
tiger Anstrengungen, die Rüge
und andere Literaten mach-
ten, zeigte sich jetzt, daß in
einer großen Handelsstadt
das Kaufmannskapital das
entscheidende Wort hat, und
dies Kapital läßt sich auf so
aussichtslose und waghalsige
Sachen nicht ein, wie der
Dresdener Maiaufstand war.

Nach den zuverlässigsten
Berichten ist die Zahl der
Aufständischen nie über 3000
Kämpfer gestiegen. Sie waren
theilweise ganz ungenügend
und durchweg schlechter be-
waffnet, als ihre Gegner,
die durch den preußischen Zu-
zug schließlich zu einer fünf-
fachen Uebermacht heran-
wuchsen. Damit erledigt sich auch der andere
Vorwurf, der besonders von militärischer Seite
den Aufständischen gemacht worden ist, daß sie
nämlich keine Angriffe gegen die Neustadt unter-
nommen, sondern sich auf die Vertheidigung der
Altstadt beschränkt haben, wobei sie auf die
Dauer erdrückt werden mußten; sie haben nie-
mals über so viele Streitkräfte verfügt, als zur
Ausführung aller der militärischen Maßregeln
nöthig gewesen wären, die ihnen zugemuthet
worden sind.

Jedoch soll keineswegs bestritten werden, daß
die Leitung des Aufstandes Manches zu wünschen
übrig ließ. Nach der Flucht des Königs hatte
sich auf den: Rathhause eine provisorische Regie-
rung eingerichtet, deren drei Mitglieder den drei
oppositionellen Fraktionen des Landtags entnom-
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