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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0074
— 2970
men waren: in so drängenden Umständen hat es j schwerem Schlafe, todtmüde nach mehrtägigem
aber keinen Sinn, die Regeln der parlanientari-! ununterbrochenem Dienst, der bei mangelhafter
schen Etikette zu beobachten, und weder der libe- Ernährung gethan worden war. „Ich ließ", so
ralisirendeBureaukrat Todt, noch der wohlwollende ^ erzählt Born selbst, „in dem geschlossenen Raum
Parlamentär Heubner waren die rechten Männer
am rechten Platze. Einzig der radikale Advokat
Tzschirner bewies revolutionäre Energie, aber auch
er beging den verhängnißvollen Fehler, den mili-
tärischen Oberbefehl den: ehemals griechischen
Oberstleutnant Heinze zu übertragen, einem Feig-
ling rmd Prahler, wenn nicht gar Verräther.
Heinze fiel am 7. Mai in die
Hände der Truppen, vermuth-
lich freiwillig, und sein Nach-
folger wurde Born, der bis
dahin die Barrikade in der
Schloßstraße, dem Darda-
nellenpasse zwischen Schloß
und Nathhaus, den feindlichen
Hauptquartieren, mit einem
Geschicke vertheidigt hatte, das
er nun auch in seiner neuen
Stellung durchaus bewährte.
Als die eigentlich treibende
Kraft in der Leitung des
Aufstandes hat von jeher
Michel Bakunin gegolten,
doch bestreitet ihm Born in
seinenDenkwürdigkeiten diesen
Anspruch: mit welchem Rechte,
muß hier dahingestellt bleiben.
In jedem Falle war die
ehrenvollste Seite dieses Auf-
standes die ungemein tapfere
und zähe Vertheidigung der
Barrikaden, und diesen Ruhin
theilt jeder der namenlosen
Kämpfer mit dem erprobtesten
Führer. Vier Tage, vom
Morgen des 5. bis zum Mor-
gen des 9. Mai, haben sich
diese ungeübten und schlecht
beivaffneten Soldaten der Re-
volution gegen einen Feind
gehalten, von dem sich schwer
sagen läßt, ob er ihnen an
Waffen oder an Zahl oder
an militärischer Ausbildung
überlegener war. Dabei be-
fleckt kein Diebstahl und keine
Plünderung, keine Mißhand-
lung und kein Mord den reinen
Schild ihrer Ehre, während
die Schwerter, die für Thron
und Altar und alle sonstigen
heiligen Güter gegen sie gezogen
wurden, mit diesen und an
deren Greueln über und über
besudelt worden sind. Die
Retter der Gesellschaft mor
die Trommel schlagen; sie tönte, als gälte es,
Todte aus dem Grabe zu erwecken — umsonst!
Einige Rathhausbeamte halfen mit, den einen
und anderen emporzuzerren. Wir schüttelten sie,
ich schrie ihnen ins Ohr, sie dürften jetzt nicht
schlafen, sie müßten zum Aufbruche bereit sein.
Sobald ich sie losließ, fielen sie wie die Klötze
Transport gefangener Aufständischer über die Llbbrücke in Dresden.
Waldheim gesperrt, vermuthlich die scheußlichste
aller scheußlichen Folterkammern, ivorin Frei-
heitskämpfer dieses Jahrhunderts gequält worden
sind. Es gab dort ein Dutzend Disziplinarstrafen,
die der Direktor Heink, ein feiger und grausamer
Wicht, ganz nach seinem Ermessen, für die unbe-
deutendsten Verstöße gegen die Hausordnung oder
rein ans Laune über die politischen Gefangenen
verhing: Kostcntziehnng; einfachen Arrest; Dunkel-
arrest; hartes Lager; Krankenkost dritter Klasse;
Springer; Krnmmschließe»; Klotztragen; Latten-
arrest; Ruthcnstrciche; Stock-
schlägc; Kantschuhiebe. Drei
Kantschuhiebe durste jeder
Aufseher nach eigener Willkür
austheilen. Der Springer be-
stand aus zwei schweren,. mit
Ketten verbundenen Fuß-
ringen von Eisen, die so lange
getragen werden mußten, bis
die Eisen die Haut abgeschun-
den und eine bis auf die
Knochen reichende Eiterung
erzeugt hatten. Die Kranken-
kost dritter Klasse beschränkte
sich auf eine Tagesration von
sechs Loth Seinmel. Der pol-
nische Major Badiczki erhielt
einmal sechzig Stockschläge in
einem Zuge, weil er in der
Wollschlägerei das bestimmte
Pensum nicht abgeliefert hatte;
nach den Stockprügeln be-
kam er noch hartes Lager und
Krankenkost dritter Klasse aus
vier Wochen zudiktirt. Röckel,
der ein ergreifendes Buch über
diese Hölle auf Erden ver-
öffentlicht hat, wurde einmal
vier Wochen lang zivölf Stun-
den täglich in einen eisernen
Käfig gesperrt, wo er weder
liegen noch sitzen, sondern nur
stehen konnte. „Keinen Strahl
des Lichts ließ die geschlossene
Fensterlade in diesen Käfig,
und meine Speise bestand aus
einem Pfund Brot täglich."
Viele der Unglücklichen cr-
lagenden unmenschlichenMiß-
handlungen, andere haben sie
überstanden, Heubner zehn,
Röckel sogar elf Jahre.
In erster Reihe verant-
wortlich für diese Thaten, die
den Nanien der Menschheit
schänden, war der Minister
v. Beust. Er wußte alles,
aber er schützte sein Werkzeug
Heink vor jeder Anfechtung.
deten, was ihnen vor die Klinge kam, stießen ! wieder um und schliefen weiter. Sie waren nicht JlndsoschnellvcrgißtderdeutschePhilister,daßschon
wehrlose Gefangene in die Elbe, massakrirten j mehr zu retten, sie gericthen fast alle in Gefangen- j im Jahre 1864 demselben Beust für seine heuch-
selbst einen österreichischen Offizier, den sie im schast." Und als sich die Masse der Dresdener I lerische und zweideutige Rolle in der schleswig-
holsteinischen Krisis ein Nationalgeschenk gespendet
Krankenbette eines Hotels fanden, und plünderten j Maikämpfer in Freiberg zerstreut hatte, um sich
unbarmherzig die feigen Philister, die ihnen! in kleinen Trupps vor den Verfolgern zu retten,
während des Kampfes Speis und Trank zu-! wurden noch manche andere gefangen, so Bakunin,
getragen hatten. j Heubner, Röckel, während Born mit Mühe und
Am Morgen des 9. Mai, als die Stadt fast- Noth den sächsischen Gardereitern entkam,
ganz eingeschlossen, nur noch eine Straße frei und
jede Hoffnung auf Entsatz durch das Land ge-! * * *
schwunden war, gab Born den Befehl zum Rück-
züge. Gegen 2000 bewaffnete Kämpfer zogen auf An den Gefangenen nahm die sächsische Regie-
der Straße nach Freiberg ab. Andere lagen noch j rung eine teuflische Rache. Vcrurtheilt durch eine
in allen Räumen des Rathhauses zerstreut, in! ehrlose Justiz, wurden sie ins Zuchthaus von
werden sollte. Da veröffentlichte die Wochenschrift
des Nationalvereins einen Artikel: 22000 Prügel
und das Nationalgeschenk für Beust, worin die
Geheimnisse des Zuchthauses in Waldheim ent-
hüllt wurden. Mit dem Nationalgeschenk
war cs vorbei, aber zu den höchsten Würden
der europäischen Diplomatie hat es Beust den-
noch gebracht. Nur in der ivahrhaftigen Ge-
schichtschreibung trägt sein Name ein Brandmal
für immer.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz Nachf. (G. m.b.H.) in Stuttgart
men waren: in so drängenden Umständen hat es j schwerem Schlafe, todtmüde nach mehrtägigem
aber keinen Sinn, die Regeln der parlanientari-! ununterbrochenem Dienst, der bei mangelhafter
schen Etikette zu beobachten, und weder der libe- Ernährung gethan worden war. „Ich ließ", so
ralisirendeBureaukrat Todt, noch der wohlwollende ^ erzählt Born selbst, „in dem geschlossenen Raum
Parlamentär Heubner waren die rechten Männer
am rechten Platze. Einzig der radikale Advokat
Tzschirner bewies revolutionäre Energie, aber auch
er beging den verhängnißvollen Fehler, den mili-
tärischen Oberbefehl den: ehemals griechischen
Oberstleutnant Heinze zu übertragen, einem Feig-
ling rmd Prahler, wenn nicht gar Verräther.
Heinze fiel am 7. Mai in die
Hände der Truppen, vermuth-
lich freiwillig, und sein Nach-
folger wurde Born, der bis
dahin die Barrikade in der
Schloßstraße, dem Darda-
nellenpasse zwischen Schloß
und Nathhaus, den feindlichen
Hauptquartieren, mit einem
Geschicke vertheidigt hatte, das
er nun auch in seiner neuen
Stellung durchaus bewährte.
Als die eigentlich treibende
Kraft in der Leitung des
Aufstandes hat von jeher
Michel Bakunin gegolten,
doch bestreitet ihm Born in
seinenDenkwürdigkeiten diesen
Anspruch: mit welchem Rechte,
muß hier dahingestellt bleiben.
In jedem Falle war die
ehrenvollste Seite dieses Auf-
standes die ungemein tapfere
und zähe Vertheidigung der
Barrikaden, und diesen Ruhin
theilt jeder der namenlosen
Kämpfer mit dem erprobtesten
Führer. Vier Tage, vom
Morgen des 5. bis zum Mor-
gen des 9. Mai, haben sich
diese ungeübten und schlecht
beivaffneten Soldaten der Re-
volution gegen einen Feind
gehalten, von dem sich schwer
sagen läßt, ob er ihnen an
Waffen oder an Zahl oder
an militärischer Ausbildung
überlegener war. Dabei be-
fleckt kein Diebstahl und keine
Plünderung, keine Mißhand-
lung und kein Mord den reinen
Schild ihrer Ehre, während
die Schwerter, die für Thron
und Altar und alle sonstigen
heiligen Güter gegen sie gezogen
wurden, mit diesen und an
deren Greueln über und über
besudelt worden sind. Die
Retter der Gesellschaft mor
die Trommel schlagen; sie tönte, als gälte es,
Todte aus dem Grabe zu erwecken — umsonst!
Einige Rathhausbeamte halfen mit, den einen
und anderen emporzuzerren. Wir schüttelten sie,
ich schrie ihnen ins Ohr, sie dürften jetzt nicht
schlafen, sie müßten zum Aufbruche bereit sein.
Sobald ich sie losließ, fielen sie wie die Klötze
Transport gefangener Aufständischer über die Llbbrücke in Dresden.
Waldheim gesperrt, vermuthlich die scheußlichste
aller scheußlichen Folterkammern, ivorin Frei-
heitskämpfer dieses Jahrhunderts gequält worden
sind. Es gab dort ein Dutzend Disziplinarstrafen,
die der Direktor Heink, ein feiger und grausamer
Wicht, ganz nach seinem Ermessen, für die unbe-
deutendsten Verstöße gegen die Hausordnung oder
rein ans Laune über die politischen Gefangenen
verhing: Kostcntziehnng; einfachen Arrest; Dunkel-
arrest; hartes Lager; Krankenkost dritter Klasse;
Springer; Krnmmschließe»; Klotztragen; Latten-
arrest; Ruthcnstrciche; Stock-
schlägc; Kantschuhiebe. Drei
Kantschuhiebe durste jeder
Aufseher nach eigener Willkür
austheilen. Der Springer be-
stand aus zwei schweren,. mit
Ketten verbundenen Fuß-
ringen von Eisen, die so lange
getragen werden mußten, bis
die Eisen die Haut abgeschun-
den und eine bis auf die
Knochen reichende Eiterung
erzeugt hatten. Die Kranken-
kost dritter Klasse beschränkte
sich auf eine Tagesration von
sechs Loth Seinmel. Der pol-
nische Major Badiczki erhielt
einmal sechzig Stockschläge in
einem Zuge, weil er in der
Wollschlägerei das bestimmte
Pensum nicht abgeliefert hatte;
nach den Stockprügeln be-
kam er noch hartes Lager und
Krankenkost dritter Klasse aus
vier Wochen zudiktirt. Röckel,
der ein ergreifendes Buch über
diese Hölle auf Erden ver-
öffentlicht hat, wurde einmal
vier Wochen lang zivölf Stun-
den täglich in einen eisernen
Käfig gesperrt, wo er weder
liegen noch sitzen, sondern nur
stehen konnte. „Keinen Strahl
des Lichts ließ die geschlossene
Fensterlade in diesen Käfig,
und meine Speise bestand aus
einem Pfund Brot täglich."
Viele der Unglücklichen cr-
lagenden unmenschlichenMiß-
handlungen, andere haben sie
überstanden, Heubner zehn,
Röckel sogar elf Jahre.
In erster Reihe verant-
wortlich für diese Thaten, die
den Nanien der Menschheit
schänden, war der Minister
v. Beust. Er wußte alles,
aber er schützte sein Werkzeug
Heink vor jeder Anfechtung.
deten, was ihnen vor die Klinge kam, stießen ! wieder um und schliefen weiter. Sie waren nicht JlndsoschnellvcrgißtderdeutschePhilister,daßschon
wehrlose Gefangene in die Elbe, massakrirten j mehr zu retten, sie gericthen fast alle in Gefangen- j im Jahre 1864 demselben Beust für seine heuch-
selbst einen österreichischen Offizier, den sie im schast." Und als sich die Masse der Dresdener I lerische und zweideutige Rolle in der schleswig-
holsteinischen Krisis ein Nationalgeschenk gespendet
Krankenbette eines Hotels fanden, und plünderten j Maikämpfer in Freiberg zerstreut hatte, um sich
unbarmherzig die feigen Philister, die ihnen! in kleinen Trupps vor den Verfolgern zu retten,
während des Kampfes Speis und Trank zu-! wurden noch manche andere gefangen, so Bakunin,
getragen hatten. j Heubner, Röckel, während Born mit Mühe und
Am Morgen des 9. Mai, als die Stadt fast- Noth den sächsischen Gardereitern entkam,
ganz eingeschlossen, nur noch eine Straße frei und
jede Hoffnung auf Entsatz durch das Land ge-! * * *
schwunden war, gab Born den Befehl zum Rück-
züge. Gegen 2000 bewaffnete Kämpfer zogen auf An den Gefangenen nahm die sächsische Regie-
der Straße nach Freiberg ab. Andere lagen noch j rung eine teuflische Rache. Vcrurtheilt durch eine
in allen Räumen des Rathhauses zerstreut, in! ehrlose Justiz, wurden sie ins Zuchthaus von
werden sollte. Da veröffentlichte die Wochenschrift
des Nationalvereins einen Artikel: 22000 Prügel
und das Nationalgeschenk für Beust, worin die
Geheimnisse des Zuchthauses in Waldheim ent-
hüllt wurden. Mit dem Nationalgeschenk
war cs vorbei, aber zu den höchsten Würden
der europäischen Diplomatie hat es Beust den-
noch gebracht. Nur in der ivahrhaftigen Ge-
schichtschreibung trägt sein Name ein Brandmal
für immer.
Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßler in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz Nachf. (G. m.b.H.) in Stuttgart