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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0095
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. 2992

> Suzialreform. <-*

Wie tljat man dick sich einst enorm,

AlS glücklich die Sozialreform

Mit Ach und Urach zur Welt gekommen!

Doch war den Wieder» schwül zu Sinn.

Mau hat von allem Anbeginn
Sich nicht im Lemgo übernommen.

So unterblieb denn glücklich auch das Meiste
Und was geschah, geschah — im Stummschen Geiste.

DaF Ding war höllisch unbeyuem.

Doch mußte man trotz alledem
Zunächst ein wenig Eifer heucheln.

Man nahm mit Worten süsz und lind
Auf seinen Arm daF zarte Rind,

Um in der Stille eö zu meucheln.

war sich klar der Bourgeois, der feiste:

Wenn was geschieht, gescheht — imStummschen Geiste.

Es sah das bcffre Publikum
Vertrauensvoll auf Herrn v. Stumm,

Daß er dem Gabe au den Hemmschuh lege.

Und er verhieß in aller Form:

„Nur still! Mit der Sozialreform
Hat'F biF auf Weitre^ gute Wege,

Noch sind wir gottebfürchtig ja und dreiste.

Wenn wa^ geschieht, geschieht'^ — in meinem Geiste!

„Gin Lhor, den da^ im Grnst erschreckt,

WaK man da wieder ausgeheckt —

Man wird schon ein bei Leiten lenken.

Wer seine Pappenheimer kennt

Und Kühl den Schein vom Wesen trennt.

Der weiß, eg ist nicht dran zu denken.

Daß man was Gründliches und Ganzes leiste.

Mein, was geschieht, geschieht — in meinem Geiste.

„Laßt nur zunächst die Sache gehn!

Wir werden später so sie drehn.

Daß aus sie läuft zu unserm Segen,

Daß einen sehr soliden Strick
Von bestem Hanf wir ums Genick
Der frechgewordnen Arbeit legen.

Und unser Ueich bleibt immer noch das freiste.

Wenn es verwaltet wird — im Stummschen Geiste!"

Und nach des Lrefflichen Rezept
Hat man kastrirt, verhunzt, verschleppt
Das Werk, mit dem man sich gebrüstet.

Nachdem ein zager Schritt gethan.

Wich schnell man in die alte Bahn
Luriich — es wurde abgerüstet.

Das Phlegma blieb, der Spiritus — verreiste.

Und Deutschland wird regiert-im Stummschen Geiste!

Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.

Gegensätze. Gedicht von Z. — Schnitzel. — Getreu — bis
zum Schaffst. Eine Episode aus dem Leben Robespierres.
(Jllustrirt.) — Eine kleinbürgerliche Revolution. Von Franz
Mehring. — Die Arbeiterin. (Gedicht mit Illustration.) —
Rohheit und Menschlichkeit. Gedicht. — Freier Geist, wir loben
dich. Gedicht von Robert Seidel; in Musik gesetzt von
Th. Thieme. — Illustrirter Reichstagsbericht. — Die Leutenoth.
— Wie das Märchen von der Mauserung entstand. Von M. E.
Zweierlei Saat. Gedicht. — Die Heilung.

Blihdralzt -Meldungen.

Berlin. Der Reichskanzler Hohenlohe hat sich ein Velo-
ziped gekauft, um mit Hilfe desselben den Fortschritten der
Zeit einigermaßen nachzukommen. Die Scharfmacher werfen ihm
aber immer Steine in den Weg, um ihn zu Fall zu bringen.

— Die Abgeordneten v. Stumm und v. Kardorff wollen
ihre Mandate niederlegen, da komische Käuze nach Herrn
v. Ballestrem parlamentarisch unzulässig sind.

— Die Unsittlichkeit in den höchsten Kreisen
greift immer weiter um sich! Man sieht sich jetzt schon ge-
nöthigt, gegen den bekannten Erl-König, der unschuldige
Jünglinge mit seinem „Willst feiner Knabe du mit mir gehn?"
anzulocken pflegte, und für seine eigenen Töchter Kuppeldienste
leistete, energisch vorzugehen. Rach Einführung der lex
Heintze denkt nran die ganze erlauchte Familie von der Bild-
fläche verschwinden zu lassen.

— Der bekannte „Ruf mit Donnerschall" braust immer
noch! Eine kleine Veränderung nur ist mit ihm vorgegangen;
er will jetzt nicht mehr „zum Rhein", sondern „nach Samoa".

zfrüblingsabnung.

lwäcbNgen Flügclscblag des Südwinds
Dör' ick in den Lütten sausen,
tllnd im übervollen Strombett
Lrdgetarbte LAogen brausen.

Llnd es berrscbt nacb trübem Mlinter
Lrüklingsvvalten, Früklingsweben.

Aus geborstner scbwarzcr Lrde
wrüngt's bcrror zu neuem Leben.

Db sieb aucb lllatur verjüngte,

Mied die «enscbbeit Locb die gleicbe!
Dorren giebt cs nocb und Ilrnecbte,
Llnd die Armen drückt der lilcicbe.

Docb micb dünkt, icb böre rauscben
Freien Leistes Flügelseblag.

Wald wird komme», den wir akncn:
tDenscbkettstrüblings erster Dag.

Auf der Braulschau.

von unserem eigenen Mark Twain.

Ich hätte mich schon längst verheirathet, aber
ich fand niemals ein weibliches Wesen, das meinen
Wünschen vollständig entsprach.

Ich liebe die sanften, zartbesaiteten Frauen-
gestalten nicht, die ihrem Manne gelegentlich eines
Wortwechsels nur die gefüllte Suppenschüssel an
den Kopf werfen und die ihn bei verspäteter nächt-
licher Heimkehr höchstens init einem Besenstiel
liebkosen.

Aber ich hasse auch die schleichende Grausam-
keit mancher „höheren Töchter", welche ihre un-
glücklichen Mitmenschen unverhofft mit der De-
klamation voil Schillers „Glocke" überfallen oder
gar eine Beethovenschc Sonate auf dem Klavier
trommeln. Diese unheimlichen Geschöpfe sind im
Stande, ihre Opfer, die sich ihnen mit harmloser
Ehrerbietung genähert haben, in den Hinterhalt
eines Familienthees zu locken und sie bei ivarmem
Wasser und Zwieback langsam verhungern zu
lassen, ivobei sie die Todesqualen noch durch Ge-
spräche über Friedrich Nietzsche zu verlängern und
zu verschärfen wissen.

Solchen entsetzlichen Weibern ging ich wohl-
weislich sorgsam aus dem Wege, als ich mich
neulich auf die Brautschau begab.

Ich klopfte zuerst bei einer Löwenbändigerin
an, der schönen Cora, die zweihundertfünfzig Pfund
wog und zivölf Löwen mit ihrer Peitsche be-
herrschte. Sie war Wittwe, denn sie hatte ihren
ersteil Mann mit einer Eisenstange erschlagen,
weil er ihr die Erlaubniß zum Radfahren ver-
weigern lvollte. Das Schwurgericht, vor das sie
gestellt ivurde, hypnotisirte sie mit ihrem thier-
bändigenden Blicke derart, daß sie glänzend frei-
gesprochen wurde, und der Staatsanwalt sie fuß-
fällig um Verzeihung dafür bat, daß er die An-
klage hatte erheben müsseil.

Eine so schneidige Frau wünschte ich zu be-
sitzen und sie nahm meine Beiverbung freundlich
auf. Wir gingen zusamlnen in den Käfig und
sie zwang die zwölf Löwen, mir zu Ehren einen
Walzer zu tanzen.

Dabei machte ich nun aber die Bemerkung,
daß Cora mit ihrer Peitsche zwar viel umher-
fuchtelte, aber selten wirklich zuschlug. Auf meine
Frage, warum sie die Löwen nicht empfindlicher
prügele, erklärte sie, das Prügeln allein wirke
durchaus nicht erzieherisch und inan solle auch
Thiere nicht unnützer Weise mißhandeln.

Ich fiel aus allen Himmeln. So viel Sen-
timentalität hätte ich bei einer Löivenbändigerin
nicht erwartet. Und ich kann, wie schon belnerkt,
die empfindsaliien Weiber nicht leiden. Daher
reiste ich heimlich ab und ließ die schöne Cora
mit ihren zwölf Löwen sitzen.

Kurze Zeit darauf kani ich am Ufer des Nils
oberhalb Kairos mit einigen Kameeltreibern ins
Gespräch; sie erzählten mir von einem Nubier-
mädchen, das schon zwanzig Krokodile getödtct
habe und waren des Lobes voll über die muthige
dunkle Schöne.

„Das wäre eine Frau für mich" — dieser Ge-
danke schoß mir blitzartig durch den Kopf und
verließ mich nicht mehr, bis ich nach großen
Mühen die tapfere Nubierin ausfindig gemacht
hatte.

Ich traf sie unter einer Schaar von Fellahs,
die ihr lärmende Ovationen brachten, denn sie
hatte gerade wieder ein mächtig großes Krokodil
erschossen.

„Blume der Tropen, willst Du die Meine
werden?" flüsterte ich ihr zu.

Sie hatte nichts dagegen und wir feierten
unsere Verlobung. Die Fellahs, durch reichlichen
Bakschisch angefeuert, führten zur Verherrlichung
des Festes einen Tanz um das todte Krokodil auf.

„Wie kamst Du eigentlich dazu, diese Bestie zu
tobten?" fragte ich beiläufig meine holde Braut.
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