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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0120
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3017

macht, von denen das Korps Hirschfeld auf dem
linken und das Korps Grüben auf dem rechten
Rheinufer vorrückte. In zweiter Reihe brachte
Baiern ein Korps von 10 000 bis 15 000, Würt-
temberg eins von 8000 und Oesterreich in Vor-
arlberg eins von 10 000 Mann auf, so daß
ziemlich eine Uebermacht von 100 000 scharf ge-
drillten und reichlich ausgerüsteten Truppen auf-
geboten war, um die paar Zehntansende von
mangelhaft beivaffneten und geübten, oft auch
mangelhaft geführten Rebellen nicht sowohl zu
besiegen, als zu erdrücken. Die drei zum unniittel-
baren Angriffe bestinimten Korps Hirschfeld,
Grüben und Peucker standen unter dein Ober-
befehle des Prinzen von Preußen, der die lang-
ersehnte Gelegenheit, kriegerische Lorbeeren zu
ernten, trotz seiner gewaltigen Ueberlegenheit schlecht
auszubeuten verstand. Er führte den Krieg in
ungemein bedächtiger und zaghafter Weise, was
schließlich auch seinen guten Grund hatte. Denn
den Landwehren war bei alledem nicht recht zu
trauen, und seit dem 18. März lebte der preußische
Thronfolger in der nicht ganz ungerechtfertigten
Vermuthung, daß mit der Revolution nicht zu
spaßen sei.

Mieroslawski, der die Neckarlinie mit den
Stützpunkten Mannheim und Heidelberg hielt,
in der Front den Angriff Gröbens erwartete und
ans deni rechten Flügel schon von Peucker bedroht
wurde, hatte in richtiger Schätzung der pfälzischen
Streitkräfte den Befehl ertheilt, daß sie sich vor
dem Einfalle Hirschselds fechtend zurückziehen und
den Rhein überschreiten sollten, um diesen zu
decken. Als am 12. Juni fünf preußische Heer-
säulen in die Pfalz einbrachen, hatten sie in der
That leichtes Spiel; Sznayde und die provisorische
Regierung der Pfalz mit ihm flohen Hals über
Kopf in großem Wirrwarr» Ein fechtender Rück-
zug wurde es nur an wenigen Stellen. So in
Kirchheimbolanden, wo die rheinhessische Legion —
ohne ihre hasenherzigen Führer, die sich von einem
jungen heldenmüthigen Mädchen, Mathilde Hitz-
feld, der Tochter eines Arztes, an Todesverachtung
beschämen ließen — deni Feinde einigen Abbruch
that; leider vergaß sie bei dem nothwendigen
Rückzug ein Detachement von etwa 30 Mann
im Schloßgarten, das von den Preußen theils
niedergemetzelt, theils gefangen wurde. Die Be-
hauptung, daß auch diese Gefangenen nachträglich
füsilirt worden seien, ist von preußischer Seite
zwar bestritten, aber damit keineswegs widerlegt
worden; in andern Fällen ist es unbestreitbar und
unbestritten, daß die Streiter für Thron und
Altar, wie in Dresden, so in Baden und in der
Pfalz gefangene Aufständische kaltblütig ermordet
haben. Das Willichsche Freikorps hatte ein Rück-
zugsgefecht bei Annweiler, und bei Ludwigshafen
mißlang den Preußen der Uebergang über den
Rhein, obgleich sie die verbarrikadirte Stadt nach
mehrstündigem Kampf eroberten und die Bürger-
wehr zu ihnen überlief. Ihr Versuch, Mannheim
mit glühenden Kugeln zu bombardire», wurde
von Mannheim aus mit einem heftigen Granaten-
regen der badischen Artillerie erwidert, der die
Lndwigshafener Lagerhäuser entzündete und die
einquartierten Preußen im Schach hielt. Jedoch
im Großen und Ganzen war die Pfalz schnell
erobert; am 18. Juni wälzten sich die pfälzischen
Streitkräfte über die Knielinger Brücke nach
Baden, in einer Verfassung, die ihnen nicht ge-
stattete, nunmehr den Preußen den Rheinübergang
streitig zu machen; bereits am 20. Juni marschirte
Hirschfelds Korps über die Brücke bei Germers-
heim, ohne nachdrücklichen Widerstand zu finden.

Inzwischen hatte Mieroslawski am 15, und
16. Juni den Bundestrnppen Peuckers siegreiche
Gefechte bei Käferthal, Hirschhorn und Ladenburg
geliefert und damit für einige Tage Luft bekommen.
Er wurde nun aber durch Hirschfeld nach dessen
Rheinübergang im Rücken bedroht. Hirschfeld

theilte sein Korps, indem er die Division Brun
auf Bruchsal dirigirte, um dem badischen Heere
den Rückzug auf Karlsruhe zu verlegen, während
die Division Hannecken nach Mannheim in den
Rücken Mieroslawskis marschirte. Um die pfälzi-
schen Streitkräfte, die zwischen Bruchsal und Karls-
ruhe standen und durch badische Truppcntheile
ganz ansehnlich verstärkt worden waren, kümmerte
Hirschfeld sich nicht, was ihin übel genug hätte
bekommen können, wenn Sznayde einigermaßen
auf deni Posten gewesen wäre. Dieser unver-
besserlicher Tölpel hätte die Division Brun nur
in Bruchsal festhalten brauchen, um dein Auf-
stand einen großen Erfolg zu ermöglichen.

Denn Mieroslawski erkannte richtig die drohende
Gefahr. Er sicherte nothdürftig die Neckarlinie
gegen Grüben und Peucker, raffte ein Korps von
10000 bis 12000 Mann seiner besten Kräfte
zusammen und stürzte sich in kühnem Entschlüsse
auf die in feinem Rücken erscheinende Division
Hannecken. Bei Waghäusel kain es zum Treffen
und in siegreichem Anlauf warfen die badischen
Bataillone die preußischen Truppen, die unter
Verlust mehrerer Geschütze sich auf Philippsburg
znrückzogen. Da wurde der Erfolg der Rebellen
durch die Division Brun vereitelt, die, durch das
Geschützfeuer herbeigerufen, ans dem Schlachtselde
erschien, und nun erscholl unter den Dragonern
des badischen Heeres der schmachvolle Ruf: Ver-
rath! Ihren verrätherischen Obersten Beckert vor-
an, jagten sie von dannen, die eigenen Reihen
in wildeste Verwirrung werfend. Mieroslawski
konnte nur noch den Rückzug auf Heidelberg an-
treten, um durchs Gebirg auf einem enormen
Umwege den in der Ebene nunmehr verlegten
Weg nach Karlsruhe und Rastatt 31t finden.

Auf diesem Wege deckte Johann Philipp Becker
den Rückzug, mit seinen ungeübten Volkswehren,
ohne Geschütz und Reiterei. Ani Abend des
22, Juni zog er von Heidelberg nach Neckar-
gemünd, wo er ein paar Stunden rastete, kam
den 23. nach Sinsheim, wo er angesichts des
Feindes wieder einige Stunden ruhen ließ und
am 24. über Breiten nach Durlach. Er hatte
in 48 Stunden einen Marsch von 80 Kilometern
mitten durch den Feind gemacht. In Durlach
übernahm er noch die Trümmer der Pfälzer
Truppen, die inzwischen bei Ubstadt eine Schlappe
erlitten, durch dies Gefecht zwar Mieroslawskis
Rückzug erleichtert, aber, nun selbst in den Rück-
zug gerissen, den elenden Sznayde verjagt hatten.
Becker erhielt den Befehl, Durlach so lange zu
halten, bis Karlsruhe geräumt sei; er verschanzte
sich, so gut es ging, hielt am Morgen des 25. Juni
vier Stunden lang die Angriffe von zwei preußi-
schen Divisionen und von Peuckers Reichstruppen
aus und zog dann in bester Ordnung ab, nach-
dem er die Nachricht erhalten hatte, daß Karls-
ruhe geräumt und somit sein Auftrag erfüllt sei.
Beckers Leistungen in diesen Tagen sind selbst
voni preußischen Militärwochenblatt anerkannt
worden, und sie bilden auch wohl die glänzendste
Episode des ganzen Feldzugs.

Die Trümmer des badisch-pfälzischen Heeres,
ini Ganzen etwa 13000 Mann, sammelten sich
bei Rastatt und versuchten noch einen letzten
Widerstand an der Murglinie zu leisten. Zwei
Tage lang, am 29. und 30. Juni, wurde heftig
gekämpft. Dann wußte der sechsmal so starke
Feind sich nur dadurch den Sieg zu sichern, daß,
während Grüben und Hirschfeld die Stellung an
der Murg in der Front angriffen, Peucker sie
durch neutrales württembergisches Gebiet um-
ging und vom rechten Flügel her aufrollte. Da-
mit war der Feldzug entschieden, und den Resten
des aufständischen Heeres blieb nichts als der
Uebertritt in die Schweiz. Zuletzt ergab sich die
Festung Rastatt am 23. Juli auf Gnade und
Ungnade; jede Möglichkeit eines Entsatzes war
längst verschwunden.

--

Der Gesammtverlust, den die drei Korps
Hirschfeld, Gröben und Peucker an Todten, Ver-
wundeten und Vermißten in den, Feldzuge er-
litten haben, wurde von ihnen selbst, vermuthlich
viel zu niedrig, auf 1000 Köpfe angegeben. Die
Verluste der aufständischen Truppen lassen sich
nicht genau beziffern, doch werden sie noch höher
gewesen sein, schon weil das Niederstoßen wehr-
loser Gefangener nicht zu den Gewohnheiten der
zivilisirten Revolution, sondern nur der barbarischen
Gegenrevolution gehörte. Und den Opfern des
Kainpfes selbst reiht sich die lange Reihe der
Opfer an, die von den sieglosen Siegern kaltblütig
hingeschlachtet wurden, sei es durch die Kugeln
des Standrechts, sei es durch langjährige Zucht-
hausstrafen, sei es durch die pestilenzialischen
Höhlen der Rastatter Kasematten. Die Ermordung
Trützschlers in Mannheim steht ebenbürtig neben
der Ermordung Robert Blums in Wien; mit
ihm fielen noch 27 brave Männer unter den
Bluturtheilen der preußischen Kriegsgerichte. Sie
alle starben wie Helden, und vor ihrem Märtyrer-
thum verstummt die Kritik, die nicht verstummen
darf, so lange es die Untersuchung der Ursachen
gilt, an denen frühere Revolutionen gescheitert
sind.

Die Niederlage der kleinbürgerlichen Revolution
in Baden und in der Pfalz war die Niederlage
des deutschen Kleinbürgerthums überhaupt. Seine
höchste Kraftentfaltung in den Jahren der Re-
volution hatte sich dennoch als unzureichend er-
wiesen, um den Absolutismus und Feudalismus
zu brechen, oder um die verrätherischen Vorspiege-
lungen der Bourgeoisie zu durchschauen oder rin:
ein ehrliches und klares Verhältniß zur Arbeiter-
klasse zu gewinnen. Soweit es damals ein klassen-
bcwußtes Proletariat in Deutschland gab, hat
es ehrlich und tapfer in der Reichsverfassungs-
kampagne mitgethan: in Dresden und am Rhein,
wie in Baden und in der Pfalz: die Kommunisten
stellten überall die tapfersten Soldaten. Aber das
deutsche Kleinbürgerthum scheute trotzdem vor dem
einzigen Wege zurück, der diese Klasse historisch
aufwärts führen konnte; es erfüllte sich nicht,
was Engels bei einem Rückblick ans den badisch-
pfälzischen Feldzug schrieb: „Das deutsche Volk
hat die Füsilladen und Kaseniatten von Rastatt
nicht vergessen; es wird die großen Herren nicht
vergessen, die diese Infamien befohlen haben, aber
auch nicht die Verräther, die sie durch ihre Feig-
heit verschuldeten: die Brentanos von Karlsruhe
und von Frankfurt." Das deutsche Kleinbürger-
thum, das die Masse des Volkes bildete, von den:
Engels sprach, hat alles vergessen: die „Infamien
der großen Herren", die ruchlos das edelste Blut
in Strömen vergossen haben, und die „Ver-
räthereien der Brentanos von Karlsruhe und
Frankfurt", die alle ihnen vom Proletariat in
den Schoß geworfenen Früchte der Revolution
zu vergeuden verstanden. Der „Kartätschenprinz"
wurde der zu den Sternen erhobene, erste Kaiser
des neudeutschen Reichs, und die „Brentanos",
die der Entwicklungsprozeß des Kapitalismus
immer neu gebar, blieben die „Edelsten und
Besten", in deren Hände das „Volk" bei jeder
neuen Wahl abdankte.

Das hat erst sein Ende gefunden oder findet
doch mehr und mehr sein Ende, seitdem das deutsche
Proletariat zur Erkenntniß seines historischen Be-
rufs erwacht ist. Viele der Tapfersten, die in der
Reichsverfassungskampagne mitgestritten haben, die
Engels, Johann Philipp Becker, Liebknecht, Tölcke,
Fritzsche, Würkert und wie sonst noch hießen,
standen ein halbes Menschenalter später an der
Wiege der deutschen Sozialdemokratie, und seitdein
dies Riesenkindlein seine Glieder reckt und streckt,
sind deutsche Revolutionen mit den: verworrenen
Verlauf und dem tragischen Schluß unmöglich,
wie deren eine die badisch-pfälzische Revolution
von 1849 war.
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