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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0140
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Brüdern und Schwestern getbeilt ist, dann
stehen sie in gruppen beisammen und reden
vom heiligen Kampfe, von einer schönen Zu-
kunft, vom ewigen Frieden, von der immer-
währenden Brüderlichkeit!

(das trippelt dort hinten, so ängstlich und
leise? ÜJas blickt so scheu, so lebensmatt
umher? 6s sind die (Beiher, Mädchen und
Kinder, die schuldlosen Schlachtopfer moder-
ner Barbarei, christlichen Kannibalenthums.
Jedes Mienenspiel, alles Leben ist aus den
leicbenfarbenen Gesichtern geflohen, und aus
den Augen, den weit offenen Augen starrt
der Billiger und greisenhafte Cheilnahms-
losigkeit.

Am (Oerktag in der Fabrik vom frühesten
Morgen bis die Sonne am Abend sinkt, am
Sonntag in der dumpfigen Kirche, — ohne
Sonnenschein, ohne Blumenduft welken sie
dahin.

lern im Orient aber, vor vielen Jahrhun-
derten, sprach ein grosser Gdelmensch: „Las-
set die Kindlein zu mir kommen und wehret
ihnen nicht, denn ihrer ist das Bimmelreich!“
und wieder: „Mer ein solches Kindlein auf-
nimmt in meinem Namen, der nimmt mich
auf!“

Und sie bauen ihm Kirchen und Cempel
und nennen ihn: „Berr und Meister!“ und
wenn sie ihrem Bruder heute die Baut vom
Leibe ziehen könnten, sie würden nicht war-
ten bis morgen!

Der Arbeiter und feine „Nreunöe'

Ls giebt keinen Menschen auf der Welt, der
so viele freunde Hat, als der Arbeiter. Im
Reichstage liefern sie sich förmliche Schlachten
im Streite darüber, wer es besser mit dem Ar-
beiter meint, der Aonservative, der Zentrums-
mann, der Aationalliberale, der freisinnige
oder ein anderer Volksbeglücker.

Run, der Arbeiter wird diesen Wettstreit

So zogen sie dahin in endloser Reibe,
schweigend, denkend, sorgend und hungernd,
umschwärmt von den Geistern der Krankheit,
erwartet vom Code, getrieben vom Glend, ge-
blendet von Gedankenlosigkeit und Hach-
beterei!

Lange noch stand ich einsam sinnend an
der Strassenecke und aus dem Sturme, der
brausend über die Släche dahinzog, hörte ich
einen gellenden, jauchzenden, herzerschüt-
ternden, herzerquickenden Ruf:

„Freiheit!“ n. mtenhof«.

am besten selbst entscheiden. Lr vertraue sich
zunächst einmal mit Leib und Seele den Kon-
servativen an. Diese werden ihn in nächster
Nähe der Fabrik in einen Stall sperren, den sie
„Arbeiterwohnung" nennen, sie werden ihm die
Niethe für diese „Wohnung" vom Lohn ab-
ziehen und ein großes Geschrei erheben über die
Mohlthat der Arbeiterwohnung. Dann werden
sie sich mit liebevoller Sorgfalt darnach erkun-
digen, ob der Arbeiter lesen kann, und wenn
er bejaht, so werden sie ihm eine Strafpredigt
halten, denn ein Arbeiter soll arbeiten, nicht

lesen. Sie werden ihm den fehler aber schließ-
lich verzeihen und ihm das Lesen frommer
Traktätchen bewilligen oder vielleicht gar eine
Zeitung gestatten, falls ein Areisblatt im
Distrikt vorhanden ist.

fügt sich der Arbeiter in all' diese Wohl-
thaten, so hat er ein sorgenfreies Dasein, fügt
er sich nicht, so halten die Aonservativen das
Zuchthaus für ihn bereit, wo er noch zärt-
lichere Fürsorge findet.

Aehnlich wird es dem Arbeiter ergehen,
wenn er sich seinen ultramontanen freunden
anvertraut. Auch diese sind um sein Wohl
außerordentlich besorgt, — allerdings ist es
ihnen hauptsächlich darum zu thun, daß es
dem Arbeiter wohlgeht, wenn er todt ist. Bei
Lebzeiten soll er fromm und demüthig dahin
leben und keinem sozialdemokratischen Verein
beitreten, aber im Jenseits, da soll ihm großes
Heil widerfahren, da bewilligt ihm die schwarze
Partei das unbeschränkte Aoalitionsrecht, den
Normalarbeitstag und vielleicht sogar eine
Lohnerhöhung.

Die Agrarier, die auch sehr eifrige freunde
des Arbeiters sind, wollen ihn vor den Ver-
führungen der Großstadt schützen und überhaupt
die Gefahren der Freizügigkeit von ihm fern
halten. Sie wollen ihn an die ländliche Scholle
fesseln, damit er die Freuden des Landlebens
genieße, die dem armen städtischen Arbeiter
schon nahezu unerreichbar geworden sind.
Namentlich die Pracht des Sonnenaufgangs soll
dem Arbeiter wieder vor Augen geführt werden
mit Hilfe eines recht frühen Beginns der Ar-
beitszeit, und es soll ihm dabei auch die Poesie
des Sonnenuntergangs nicht entfremdet sein,
denn der ländliche Arbeitgeber ist opferfreudig
bereit, die Arbeitszeit bis in die Nacht hinein
auszudehnen.

Die Aationalliberalen haben den Arbeiter
neuerdings gleichfalls ins Herz geschloffen und
bemühen sich im Reichstage um fein Wohl.
Sie wollen ihm Arbeitskammern verschaffen,
in denen er nichts zu sagen hat, und ihm gern
jede Reform bewilligen, die dem Unternehmer
nicht weh thut. Diesen edlen Bestrebungen
schließen sich auch viele freisinnige an, zur
höchsten Lntrüstung Lugen Richters, der noch
immer für die unbedingte Freiheit des Arbeiters
kämpft, nämlich für seine Befreiung von allen
Arbeiterschutzgesetzen.

Der Arbeiter wird nunmehr einsehen, daß
diese guten Leute seine wirklichen freunde sind,
denn sie alle drängen ihn ins sozialdemokratische
Lager.
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