von Franz Mehring.
Uüt der Entthronung der habsburgischen
Dynastie war die ungarische Revolution auf ihren
Gipfel gelangt. Freilich auf einen Gipfel, von
dem oft gesagt worden ist, daß hinter ihm der
Abgrund gegähnt habe. In der That gingen die
Dinge nun reißend schnell abwärts; am 14. April
1849 wurde die Entthronung der Habsburger in
Debreczin beschlossen, am 13. August kapitulirte
das letzte ungarische Heer bei Vilagos, am 6. Oktober
endeten die ungarischen Generale, denen nicht die
Flucht über die türkische Grenze gelungen war, in
Arad am Galgen.
Gleichwohl ist es durchaus irrig zu sagen, daß
der Beschluß des ungarischen Reichstags vom
14. April die Ursache alles Nebels gewesen sei.
Ain wenigsten ließ er sich von dem „rechtlichen"
Standpunkt aus anfechten, von dem ans er an>
häufigsten angefochten morden ist; nachdem die
Wiener Politik unzählige Male die alt und neu
verbrieften Rechte der ungarischen Nation mit
Füßen getreten hatte, gab es keine gerechtere Noth-
wehr, als daß diese Nation sich ihrer treulosen
Bedränger entledigte. Aber auch politisch war der
Beschluß ganz unanfechtbar, sintemalen in allen
Revolutionen die kühnsten Schritte immer zugleich
die klügsten sind. Nicht daß sie mit dieseni Be-
schlüsse zu weit gegangen wären, ließ sich den
Ungarn vorwerfen, sondern umgekehrt, daß sie
nicht so weit gingen, die Konsequenzen ihres rich-
tigen Entschlusses zu ziehen. Diese Konsequenzen
bestanden darin, ihre siegreichen Fahnen über die
Grenzen zu tragen und noch einmal int östlichen
Europa einen revolutionären Brand zu entzünden.
Verzichteten sie darauf, so war mit der Ent-
thronung der habsburgischen Dynastie allerdings
nur ein halbes Werk gethan, das tute alle revo-
lutionären Halbheiten mit einem ganzen Siege
der Reaktion enden mußte.
Niemand belehrte die aufständischen Ungarn
darüber nachdrücklicher als die europäische Gegen-
revolution. Ani 1. Mai kündigte die anrtliche
Zeitung in Wien die russische Intervention zu
Gunsten Oesterreichs an. Es hieß in dem Artikel:
„Der Aufstand in Ungarn hat seit einigen Monaten
eine solche Ausdehnung genommen, und er zeigt
in seiner dermaligen Phase so entschieden den
Charakter einer Vereinigung aller Kräfte der euro-
päischen Umsturzpartei, daß das Interesse sämmt-
licher Staaten ein gemeinschaftliches ist, die öster-
reichische Negierung in dem Kampfe gegen die
Auflösung aller gesellschaftlichen Ordnung zu
unterstützen." Die einfachen Daten zeigen schon,
daß der demüthigende Bittgang der österreichischen
Regierung zur russischen Knute nicht erst durch die
Entthronung der habsburgischen Dynastie veran-
laßt worden war, wie reaktionäre Geschichtsklitterer
oft behauptet haben; die Zeit vom 14. April bis
zum 1. Mai genügte kaum, um einen Kourier
zwischen Olmütz und St. Petersburg hin- und her-
zusenden. Thatsächlich antichambrirte die Wiener
Politik schon lange beim Zaren, in der sicheren
Erkenntniß erstens, daß sie selbst zu ohnmächtig
sei, um die ungarische Revolution zu dämpfen,
und zweitens daß ein siegreiches Vordringen dieser
Revolution das östliche Europa und zunächst Polen
in revolutionäre Flammen setzen, Väterchen also
in seinem eigensten Interesse zu allen kontre-
revolutionären Liebesdiensten bereit sein würde.
Je offener sowohl das österreichische wie das
russische Kabinct erklärte, daß die ungarische Revo-
lution zu einer brennenden Gefahr für die euro-
päische Gegenrevolution geworden sei, desto klarer
lag vor den Ungarn der einzige Weg der Rettung,
den es für sie gab. Sie inußten thun, wovor
ihre Todfeinde so heillose Angst hatten, sie mußten
die revolutionäre Propaganda über die ungarischen
Grenzen tragen. Wiederholten sie dagegen unter
ungleich erschwerenderen Umständen den Fehler, den
sie bereits im Herbste 1848 begangen hatten,
schlossen sie sich in ihren eigenen Grenzen ein,
so war ihre Niederlage nur eine Frage der Zeit.
Denn der österreichisch-russischen Heeresmacht, die
sich in der Stärke von nahe an 300000 Mann
und 600 Geschützen gegen sic heranmälzte, hatten
sie kaum halb so viele Streitkräfte entgegen-
zusetzen.
* *
*
Zunächst war die militärische Lage für die
Ungarn sehr günstig. Vor dem Juni konnte die
russische Hilfe nicht mobil gemacht werden, und Ende
April war das österreichische Heer aus dein Lande
gejagt, bis auf einige Besatzungen, die von selbst kapi-
tuliren mußten, sobald die aufständischen Ungarn
auf Wie» vordrangen. Daß dies geschehen würde,
erwartete alle Welt; die österreichische Regierung
flehte schon den Zaren an, so schnell als möglich
ein russisches Heer nach Wien zu senden. Gleich-
wohl geschah nicht das Selbstverständliche und
Aussichtsreiche; vielmehr wandten sich die sieg-
reichen Ungarn von ihrer unbezwinglichen Festung
Komorn, von wo aus sie leicht nach Oesterreich
vorbrechen konnten, auf ihre eigene Landeshaupt-
stadt zurück, um die improvisirte Festung Ofen
zu belagern, deren österreichischer Kommandant,
der General Hentzi, froh gewesen wäre, wenn
man ihn unbehelligt gelassen hätte. Jedoch ver-
theidigte er sich geschickt und tapfer, nachdem er
einmal angegriffen worden war; erst am 21. Mai
wurde Ofen erstürmt, wobei Hentzi siel. Einen
Augenblick noch umstrahlte der Schinnner eines
großen Erfolges die ungarischen Waffen, und
unter allgemeinem Jubel hielt der neue Gouver-
neur Kossuth am 6. Juni seinen feierlichen Ein-
zug in Pesth.
Der scheinbare Erfolg war die thatsächliche
Niederlage der ungarischen Revolution. Mit der
militärisch und politisch gleich werthlosen Erobe-
rung Ofens waren kostbare Wochen vertrödelt,
war der günstige Augenblick zum Marsche auf
Wien versäumt, war dem geschlagenen öster-
reichischen Heere die nöthige Zeit gegönnt worden,
sich zu reorganisiren. Die Schuld an diesem
entscheidenden Mißgriff haben sich Kossuth und
Görgei wechselseitig zngeschoben. Görgei, der sich
durch seine hervorragende militärische Befähi-
gung zum Oberbefehlshaber des Heeres empor-
geschwungen hatte, will erst durch einen formellen
Befehl Kossuths und gegen sein militärisches Ge-
wissen zur Belagerung Ofens gezwungen worden
sein, während Kossuth behauptet, daß sein wirk-
licher Befehl, Görgei solle mit 30 000 Mann nach
Oesterreich vorstoßen und nur 10 000 Mann zur
Umschließung Ofens zurücklassen, von Görgei in
gerade umgekehrtem Sinne ansgeführt worden
sei. Da Görgci sehr bald zeigte, daß er sich auch
an die formellsten Befehle der Regierung nicht
kehrte, und übrigens ein sehr ehrgeiziger, eifer-
süchtiger und nichts weniger als revolutionärer
Charakter war, so trifft ihn sicherlich die Haupt-
schuld an dem ungeheuren Fehler, der die unga-
rische Revolution zum Untergange verdammte.
Aber auch Kossuth hat keineswegs alles gethan,
was in seiner Macht stand, um die Dinge von
vornherein in die richtige Bahn zu leiten; er
scheint erst allmälig zu der Einsicht gelangt zu
sein, daß die Ungarn mit der Belagerung Ofens
den Siegespreis aus der Hand gegeben hatten.
Der Gegensatz zwischen Görgei und Kossuth
beherrschte nunmehr den Gang der ungarischen
Revolution, natürlich aber nicht in dem Sinne,
daß wenn Görgei einige Fehler weniger und
Kossuth einige Tugenden mehr besessen hätte,
alles zum Besten bestellt gewesen wäre. Viel-
mehr hätte dieser Gegensatz sich überhaupt nicht
entwickeln und am wenigsten so tief greifende
Folgen haben können, wenn der ungarischen Nation
auf ihrer damaligen Kulturstufe nicht doch die
Fähigkeit revolutionären Denkens und Handelns
gefehlt hätte, die sechzig Jahre früher von der
französischen Nation bewährt wurde. Szemere
hatte allerdings als Ministerpräsident unter dem
GouverneurKossuth ein „revolutionär-demokratisch-
republikanisches" Ministerium gebildet, jedoch war
es keineswegs einheitlich zusammengesetzt, und die
Gesinnung seiner meisten Mitglieder entsprach sehr
wenig seinem stolzen Namen. Kossuth selbst war
nicht einmal Republikaner und spielte sich während
der wenigen Wochen, die er als Gouverneur in
Pesth verlebte, ziemlich unverhüllt als Kronprä-
tendent auf; so ließ er sich, um den Glanz der
Exekutive aufrecht zu "erhalten, eine Zivilliste von
300000 Gulden nuswerfen und, sehr charakte-
ristischer Weise, in Silber oder österreichischen
Banknoten auszahlen, nicht aber in „Kossuth-
noten", dem vom Ausstand ausgegebenen Papier-
geld. Görgei nun gar war nichts als ein mili-
tärisch befähigter, aber auch militärisch beschränkter
Kopf, dem sein persönliches Interesse über alles
ging; »ebendem Oberkommando beanspruchte und
erhielt er auch noch das Kriegsministerium, ob-
gleich er dadurch zu einem steten Wechsel seines
Aufenthalts zwischen Komorn und Pesth ge-
zwungen wurde, wodurch natürlich die Verwaltung
beider Aemter sehr erschwert wurde. Was von diesen
hervorragendsten Führern der ungarischen Revo-
lution galt, traf mehr oder minder auch auf die
meisten ihrer Generale und Minister zu; sobald
sie das Heft in Händen hatten, begannen unter
ihnen die verhängnißvollsten Eifersüchteleien und
Zänkereien.
Der Verzicht auf die revolutionäre Offensive
schlug nun aber auch lähmend auf die Massen
der Bevölkerung zurück. Sie glaubte den Ver-
sicherungen der Regierung, daß die nationale Un-
abhängigkeit mit der Vertreibung der Oesterreicher
aus Ungarn erreicht sei, und so verursachte die
Kunde des russischen Einmarsches einen panischen
Uüt der Entthronung der habsburgischen
Dynastie war die ungarische Revolution auf ihren
Gipfel gelangt. Freilich auf einen Gipfel, von
dem oft gesagt worden ist, daß hinter ihm der
Abgrund gegähnt habe. In der That gingen die
Dinge nun reißend schnell abwärts; am 14. April
1849 wurde die Entthronung der Habsburger in
Debreczin beschlossen, am 13. August kapitulirte
das letzte ungarische Heer bei Vilagos, am 6. Oktober
endeten die ungarischen Generale, denen nicht die
Flucht über die türkische Grenze gelungen war, in
Arad am Galgen.
Gleichwohl ist es durchaus irrig zu sagen, daß
der Beschluß des ungarischen Reichstags vom
14. April die Ursache alles Nebels gewesen sei.
Ain wenigsten ließ er sich von dem „rechtlichen"
Standpunkt aus anfechten, von dem ans er an>
häufigsten angefochten morden ist; nachdem die
Wiener Politik unzählige Male die alt und neu
verbrieften Rechte der ungarischen Nation mit
Füßen getreten hatte, gab es keine gerechtere Noth-
wehr, als daß diese Nation sich ihrer treulosen
Bedränger entledigte. Aber auch politisch war der
Beschluß ganz unanfechtbar, sintemalen in allen
Revolutionen die kühnsten Schritte immer zugleich
die klügsten sind. Nicht daß sie mit dieseni Be-
schlüsse zu weit gegangen wären, ließ sich den
Ungarn vorwerfen, sondern umgekehrt, daß sie
nicht so weit gingen, die Konsequenzen ihres rich-
tigen Entschlusses zu ziehen. Diese Konsequenzen
bestanden darin, ihre siegreichen Fahnen über die
Grenzen zu tragen und noch einmal int östlichen
Europa einen revolutionären Brand zu entzünden.
Verzichteten sie darauf, so war mit der Ent-
thronung der habsburgischen Dynastie allerdings
nur ein halbes Werk gethan, das tute alle revo-
lutionären Halbheiten mit einem ganzen Siege
der Reaktion enden mußte.
Niemand belehrte die aufständischen Ungarn
darüber nachdrücklicher als die europäische Gegen-
revolution. Ani 1. Mai kündigte die anrtliche
Zeitung in Wien die russische Intervention zu
Gunsten Oesterreichs an. Es hieß in dem Artikel:
„Der Aufstand in Ungarn hat seit einigen Monaten
eine solche Ausdehnung genommen, und er zeigt
in seiner dermaligen Phase so entschieden den
Charakter einer Vereinigung aller Kräfte der euro-
päischen Umsturzpartei, daß das Interesse sämmt-
licher Staaten ein gemeinschaftliches ist, die öster-
reichische Negierung in dem Kampfe gegen die
Auflösung aller gesellschaftlichen Ordnung zu
unterstützen." Die einfachen Daten zeigen schon,
daß der demüthigende Bittgang der österreichischen
Regierung zur russischen Knute nicht erst durch die
Entthronung der habsburgischen Dynastie veran-
laßt worden war, wie reaktionäre Geschichtsklitterer
oft behauptet haben; die Zeit vom 14. April bis
zum 1. Mai genügte kaum, um einen Kourier
zwischen Olmütz und St. Petersburg hin- und her-
zusenden. Thatsächlich antichambrirte die Wiener
Politik schon lange beim Zaren, in der sicheren
Erkenntniß erstens, daß sie selbst zu ohnmächtig
sei, um die ungarische Revolution zu dämpfen,
und zweitens daß ein siegreiches Vordringen dieser
Revolution das östliche Europa und zunächst Polen
in revolutionäre Flammen setzen, Väterchen also
in seinem eigensten Interesse zu allen kontre-
revolutionären Liebesdiensten bereit sein würde.
Je offener sowohl das österreichische wie das
russische Kabinct erklärte, daß die ungarische Revo-
lution zu einer brennenden Gefahr für die euro-
päische Gegenrevolution geworden sei, desto klarer
lag vor den Ungarn der einzige Weg der Rettung,
den es für sie gab. Sie inußten thun, wovor
ihre Todfeinde so heillose Angst hatten, sie mußten
die revolutionäre Propaganda über die ungarischen
Grenzen tragen. Wiederholten sie dagegen unter
ungleich erschwerenderen Umständen den Fehler, den
sie bereits im Herbste 1848 begangen hatten,
schlossen sie sich in ihren eigenen Grenzen ein,
so war ihre Niederlage nur eine Frage der Zeit.
Denn der österreichisch-russischen Heeresmacht, die
sich in der Stärke von nahe an 300000 Mann
und 600 Geschützen gegen sic heranmälzte, hatten
sie kaum halb so viele Streitkräfte entgegen-
zusetzen.
* *
*
Zunächst war die militärische Lage für die
Ungarn sehr günstig. Vor dem Juni konnte die
russische Hilfe nicht mobil gemacht werden, und Ende
April war das österreichische Heer aus dein Lande
gejagt, bis auf einige Besatzungen, die von selbst kapi-
tuliren mußten, sobald die aufständischen Ungarn
auf Wie» vordrangen. Daß dies geschehen würde,
erwartete alle Welt; die österreichische Regierung
flehte schon den Zaren an, so schnell als möglich
ein russisches Heer nach Wien zu senden. Gleich-
wohl geschah nicht das Selbstverständliche und
Aussichtsreiche; vielmehr wandten sich die sieg-
reichen Ungarn von ihrer unbezwinglichen Festung
Komorn, von wo aus sie leicht nach Oesterreich
vorbrechen konnten, auf ihre eigene Landeshaupt-
stadt zurück, um die improvisirte Festung Ofen
zu belagern, deren österreichischer Kommandant,
der General Hentzi, froh gewesen wäre, wenn
man ihn unbehelligt gelassen hätte. Jedoch ver-
theidigte er sich geschickt und tapfer, nachdem er
einmal angegriffen worden war; erst am 21. Mai
wurde Ofen erstürmt, wobei Hentzi siel. Einen
Augenblick noch umstrahlte der Schinnner eines
großen Erfolges die ungarischen Waffen, und
unter allgemeinem Jubel hielt der neue Gouver-
neur Kossuth am 6. Juni seinen feierlichen Ein-
zug in Pesth.
Der scheinbare Erfolg war die thatsächliche
Niederlage der ungarischen Revolution. Mit der
militärisch und politisch gleich werthlosen Erobe-
rung Ofens waren kostbare Wochen vertrödelt,
war der günstige Augenblick zum Marsche auf
Wien versäumt, war dem geschlagenen öster-
reichischen Heere die nöthige Zeit gegönnt worden,
sich zu reorganisiren. Die Schuld an diesem
entscheidenden Mißgriff haben sich Kossuth und
Görgei wechselseitig zngeschoben. Görgei, der sich
durch seine hervorragende militärische Befähi-
gung zum Oberbefehlshaber des Heeres empor-
geschwungen hatte, will erst durch einen formellen
Befehl Kossuths und gegen sein militärisches Ge-
wissen zur Belagerung Ofens gezwungen worden
sein, während Kossuth behauptet, daß sein wirk-
licher Befehl, Görgei solle mit 30 000 Mann nach
Oesterreich vorstoßen und nur 10 000 Mann zur
Umschließung Ofens zurücklassen, von Görgei in
gerade umgekehrtem Sinne ansgeführt worden
sei. Da Görgci sehr bald zeigte, daß er sich auch
an die formellsten Befehle der Regierung nicht
kehrte, und übrigens ein sehr ehrgeiziger, eifer-
süchtiger und nichts weniger als revolutionärer
Charakter war, so trifft ihn sicherlich die Haupt-
schuld an dem ungeheuren Fehler, der die unga-
rische Revolution zum Untergange verdammte.
Aber auch Kossuth hat keineswegs alles gethan,
was in seiner Macht stand, um die Dinge von
vornherein in die richtige Bahn zu leiten; er
scheint erst allmälig zu der Einsicht gelangt zu
sein, daß die Ungarn mit der Belagerung Ofens
den Siegespreis aus der Hand gegeben hatten.
Der Gegensatz zwischen Görgei und Kossuth
beherrschte nunmehr den Gang der ungarischen
Revolution, natürlich aber nicht in dem Sinne,
daß wenn Görgei einige Fehler weniger und
Kossuth einige Tugenden mehr besessen hätte,
alles zum Besten bestellt gewesen wäre. Viel-
mehr hätte dieser Gegensatz sich überhaupt nicht
entwickeln und am wenigsten so tief greifende
Folgen haben können, wenn der ungarischen Nation
auf ihrer damaligen Kulturstufe nicht doch die
Fähigkeit revolutionären Denkens und Handelns
gefehlt hätte, die sechzig Jahre früher von der
französischen Nation bewährt wurde. Szemere
hatte allerdings als Ministerpräsident unter dem
GouverneurKossuth ein „revolutionär-demokratisch-
republikanisches" Ministerium gebildet, jedoch war
es keineswegs einheitlich zusammengesetzt, und die
Gesinnung seiner meisten Mitglieder entsprach sehr
wenig seinem stolzen Namen. Kossuth selbst war
nicht einmal Republikaner und spielte sich während
der wenigen Wochen, die er als Gouverneur in
Pesth verlebte, ziemlich unverhüllt als Kronprä-
tendent auf; so ließ er sich, um den Glanz der
Exekutive aufrecht zu "erhalten, eine Zivilliste von
300000 Gulden nuswerfen und, sehr charakte-
ristischer Weise, in Silber oder österreichischen
Banknoten auszahlen, nicht aber in „Kossuth-
noten", dem vom Ausstand ausgegebenen Papier-
geld. Görgei nun gar war nichts als ein mili-
tärisch befähigter, aber auch militärisch beschränkter
Kopf, dem sein persönliches Interesse über alles
ging; »ebendem Oberkommando beanspruchte und
erhielt er auch noch das Kriegsministerium, ob-
gleich er dadurch zu einem steten Wechsel seines
Aufenthalts zwischen Komorn und Pesth ge-
zwungen wurde, wodurch natürlich die Verwaltung
beider Aemter sehr erschwert wurde. Was von diesen
hervorragendsten Führern der ungarischen Revo-
lution galt, traf mehr oder minder auch auf die
meisten ihrer Generale und Minister zu; sobald
sie das Heft in Händen hatten, begannen unter
ihnen die verhängnißvollsten Eifersüchteleien und
Zänkereien.
Der Verzicht auf die revolutionäre Offensive
schlug nun aber auch lähmend auf die Massen
der Bevölkerung zurück. Sie glaubte den Ver-
sicherungen der Regierung, daß die nationale Un-
abhängigkeit mit der Vertreibung der Oesterreicher
aus Ungarn erreicht sei, und so verursachte die
Kunde des russischen Einmarsches einen panischen