Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0195
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3093

„Boccacio empfand die Schmach und schlug nun mit der Geißel
seines Witzes in seinem Decamerone die lüsterne Pfaffheit, die
Schwindler und Späher, Kuppler und Ehebrecher in der Kutte eilends
in die Flucht, so daß ganz Italien in ein ungeheures Gelächter ausbrach.

„Der Dichter aber besaß nicht die antike Festigkeit des Sinnes,
wie Petrarca, er war ein leichtlebiger Poet, der gerne Falerner trank
und schöne Weiber küßte mit „zwei spitzbübischen
rollenden Augen", mit blonden Locken, vollem
Busen und kleinen Füßchen. Da er aber anfing,
auszugleiten und die Kunst und Wissenschaft über
schlanken Damen völlig zu vergessen begann, da
riß ihn 1359 Petrarca bei ihrer Begegnung in
Mailand auf die rechte Bahn, weise zu sein und
Leben und Forschen in Einklang zu bringen.

„In diesen stillen Frieden nun, den Boccacio
sich mühsam genug erkämpft hatte, brach eines
Tages ein Mönch, einer der vertrockneten Asketen
mit dem blassen Büßergesicht und den gefährlichen
Schwärmeraugen, Ihr kennt den Schlag ja, einer
von denen, denen nie die Grazien lächelten, die
mit Geißeln und Fasten sich kasteien und die
irdischen Freuden als teuflisch hassen und ver-
fluchen.

„Mit frechem Eifer drang und schalt der
Bettelmönch auf den greisen Dichter ein, drohte
ihm init Fegefeuer und Hölle und schreckte sein
zartes Gemüth mit einer furchtbaren Prophezeiung.

Er gab ihm Kunde von der Weissagung des
Peter Petroni, die dieser auf dem Sterbebette —
er war kurz vor des Mönches Ueberfall verblaßt
— ausgesprochen, daß Boccacio bald sterben werde,
wenn er nicht von seinen heidnischen Bestrebungen
ließe. „„Habt Ihr", so rief der Eiferer, „in
Eurem teuflischen Decamerone nicht eine ketzerische
Fabel -von den drei Ringen erzählt, die sich liest
wie eine Umschreibung der verfluchten Schrift des
im Höllenfeuer brennenden Staufers von den
drei Betrügern? Mit dem süßen Honige Eurer
Poesie habt Ihr die Seelen vergiftet."" Alle
Schrecken der Unterwelt malte der Prediger;
eines Dichters Gemüth aber ist beweglich und
folgt zu-leicht nur dem flüchtigen, aber starken
Eindrücke des Augenblickes. Und Boccacio war
nicht frei von Aberglauben.

„Das Leben ist so süß, und ein Dichter ist
kein Held. Der Mönch ging, ging triumphirend
und nahm von dem Gebrochenen, den er segnete,
das Versprechen mit, daß er bei seinem nun-
mehr seligen und Dank Petroni vertagten Sterben
der Kirche, insbesondere des Ordens des heiligen
Franziskus und ganz besonders des Klosters zu
Fiesole im Testamente gedenken werde, dem der
Bekehrer Gioacchino angehörte. Wäre er ein
Mönch gewesen, hätte er sich nicht einer Habe
für das Klostergut versichert!

„Zwei Monate waren seit dem Abzüge des
Mönches verstrichen. Der war ins Land der
rauhen Deutschen gewandert, um den spendefrohen
Barbaren den Zügel des Esels des heiligen Hie-
ronymus — was für Märchen glauben diese un-
holden Deutschen nicht? — für klingende Gaben
zu zeigen. Für Boccacio war diese Zeit eine stete Qual. Die Perga-
mente verstaubten, die Tinte trocknete im Horne ein, der Griffel lag
ungebraucht in der Lade.

„Da, während er trübsinnig in seinem Ruhegemache lag, derweil
draußen die Sprosser tirilirend lockten, und der Athem der Orangen
durch die offenen Fenster drängte, eine wogende Fluth von Duft, sprengte
plötzlich scherzend, lachend, jubelnd eine glänzende Kavalkade vor des
Träumers Haus. Die Freunde waren es, schöne Knaben von hohem
Wuchs und mit klugen Blicken, in sammtenen Gewändern, strahlend
vor übermüthiger Jugendlust. Gereifte Männer die anderen, schlicht

und doch vornehm gekleidet, goldene Ketten um den Nacken, die Tole-
danerklinge an der Linken, staatsmännisch geschulte Herren, die in dem
politischen Spiele jener Tage ihre Hände hatten.

„Allen voran aber schritt eine schwebende Schönheit, ein stolzes,
hohes Weib, etwa dreißig Jahre alt; blonde Locken ringelten sich auf ihre
Schultern, und ihre dunklen Augen lachten. Sie eilte als Erste hinein.

„„Willkommen, Meister"", rief sie, und
ihre Stimme klang so glockenhell, daß Boccacio
emporfuhr und beschänit die Gäste, schwankend
und zagend begrüßte.

„Er erzählte, was ihm widerfahren, und die
Signora Leonora, die Dame, die ihn zuerst be-
willkommnet, hörte und lächelte, und die Anderen
thaten desgleichen.

„Erspart es mir, Don Ferrante, Euch aus-
führlich zu berichten, wie die schöne Freundin
den Unseligen entzauberte. Ihrer, Lippen Rede-
kunst trug es über die wildgewachsene des Fran-
ziskaners davon. „„Was"", rief sie und schüttelte
ihr Haar so zornig, daß sie in dieser Minute
einer dräuenden Meduse glich, „„Ihr, Boccacio,
das Entzücken und der Ruhm des modernen
Italiens, werdet zur Betschwester, weil ein ver-
laufener Mönch Euch mit der Prophezeiung des
Petroni ängstigte.

„„Wisset, das war ein schlechter Prophet. Er
sah sein eigenes Geschick nicht voraus. Der
Tyrann von Pisa, der grimme Doge Agnello,
befahl ihn zu sich, kredenzte ihm einen Becher
Weines, hieß ihn trinken und sprach: „Prophet,
Du weißt alles; sage, wie lange Du noch leben
wirst!" Und er: „Noch zehn Jahre!" Da
lachte der wilde Agnello und rief: „Gehe heim
und stirb, Du Thor! Du hast den Tod im
Leibe. Ich habe Dir Gift gegeben." Petroni
aber wankte heim und weissagte dann — von
Dir, Boccacio! So raffe Dich auf, verscheuche
die Dämonen der Finsterniß und sei wieder der
Du warst. Heißt das Leben, das Verdämmern
ohne Kraft, ohne Wissenschaft, ohne das Spiel
der Sinne? Dann wirf die leere Hülle von
Dir, dann bist Du schon gestorben.""

„So sprach Donna Leonora, die, wie ich
solch' einem scharfsichtigen Beurtheiler des Frauen-
herzens kaum noch zu sagen mich getraue, in
freiem Schwünge der Phantasie das Märlein von
Agnello rasch erdichtet hatte, um ihren guten
alten Dichter zur Helle ihres Daseins zurück-
zuführen.

„Und der Dichter genas, er sann und genoß
und lebte noch manche Jahre trotz des Petroni
Weissagung.

„Da aber sein Leben zur Rüste ging, ordnete
er mit Bedacht seine weltlichen Angelegenheiten,
und da er seine Bücherei betrachtete, lächelte er
schalkhaft in sich hinein und ließ den Notarius
Bartolo holen. Denn er hatte sich seines dem
Gioacchino gegebenen Versprechens erinnert, und
er wollte Wort halten.

„Mit aller Förmlichkeit vermachte er dem
Franziskanerkloster zu Fiesole seine Bibliothek
in Bausch und Bogen, mehrere hundert Handschriften, lauter Kost-
barkeiten; es war ein Schatz der klassischen Literatur und der modernen
Dichtung.

„Kaum war der letzte Weihrauchduft aus Boccacios Sterbehause
verweht, da kam, es war am 14. Dezember 1375, schon die erb-
schleicherische Rotte der Mönche aus Fiesole angezogen. Zwar hatten
sie blanke Goldgulden und stattliches Silberzeug, seidene und sammtene
Stoffe, gut für die Altäre der Heiligenbilder, erwartet, und sie-verzogen
ein wenig den Mund über die Bibliothek. Doch verhofften sie, von
den: bekehrten und bußfertig gewordenen Boccacio — denn von seiner
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen