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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0196
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neuen Umwandlung wußten sie nichts — eine Sammlung guter Er-
bauungsbücher, heiliger Schriften und nützlicher Sprüche der Weisheit
zu empfangen.

„Sie zogen heim, und mit ihnen ging die Bibliothek. Nun aber
trug sich das StauneuSwerthe zu.

„Der Abt ging daran, die Handschriften zu prüfen, zu sichten und
zu ordnen. In dem großen, kahlen Saal, den die Franziskaner zur
Aufstellung des Vermächtnisses bestimmt hatten, saß er, der würdige
Vater Bernabo, ein Mann noch in den besten Jahren, der in seiner
wilden Jugend zu Bologna und Pisa studirt und sogar eine Weile als
Landsknecht unter einem tapferen Condottiere gefochten hatte.

„Er las und blätterte und las. Die Sonne ging auf, stieg zum
Scheitel, die Glocke
läutete zur Frühmesse
und zur Vesper, die
Sonne ging unter.

Er entzündete das
Lämpchen und las.

Las, gebückt auf den
eichenen Tisch, die
Augen auf die win-
zigen, feinen Schrift-
züge geheftet. Lässig
hing die Kapuze her-
ab, der Gürtelstrick
war längst von fiebern-
der Hand gelöst, die
Sandale schlug im
Takte auf die Stein-
fliesen.

„Kein Kirchen-
vater, keine Lebensbe-
schreibung eines Ein-
siedlers, keine Heili-
gengeschichte war es,
die den Abt so mäch-
tig packte. Es waren
die Dir, mein Fer-
rante, ja so geläufi-
gen, einschmeicheln-
den Verse des römi-
schen Sängers der
Liebe, Ovids, dieKunst
der Liebe, die Liebes-
verhältnisse.

„Und das irdische
Feuer der Leidenschaft
glastete immer gewal-
tiger. Bernabo trieb
willenlos in der
neuen Strömung, die
Zauberklänge Catulls
und die schwärmerischen Weisen Tibulls entzückten ihn.

„Da er den dreifach Geweihten, da er Petrarca ergriff, da schmolz
die letzte Schlacke. Und wie ward ihm, als er nun des Erblassers
herrliches Buch, das als letztes unter den Rollen lag, als er den
Decamerone in den Händen hielt!

„Was ist das Feuerchen des Autodafes auf dem Signorienplatze
gegen die Lohe, die in des Abtes Brust emporschlug?

„Er lernte wieder sehen, hören, fühlen, in strahlender Seligkeit er-
schloß sich ihm die Welt. Amor, der süße Knabe, schwebte, den Pfeil
ans gestraffter Sehne, durch das offene Fenster, der Wein duftete aus
schlankem Kelche, holde Frauen boten die Purpurlippen zum Kusse.
Weiße Marmorbilder kündeten den Siegeszug des Schönen, und klingende
Dichterworte läuteten die neue Zeit ein.

„Bernabö, der Abt, stund auf und ward fortan ein Anderer.

„Die Mönchlein aber, denen bange war um ihren Hirten, drängten
nun in den Büchersaal und staunten über den Verivandelten. Mit
leuchtenden Augen wies er schweigend, ergriffen auf die gewonnenen
Schätze. Dann setzte er sich nieder und las ihnen vor, die sich um
ihn schaarten, wie die Küchlein um die Henne. Wie der heiß ersehnte
Regen die müde, ausgetrocknete Flur, so erquickte die Poesie die Mönchs-
gemüther. Und in tausend Keimen sproßte das neue Leben, drang
daseinskräftig in die Welt des Athmenden empor, zum Mitgenießen,
Mitempfinden, Mitkämpfen. Der Klosterbrüder Seelen erfüllte eine
heiße Sehnsucht nach der Heimath des Boeeaeio.

„Eine Woche noch hielten sie sich im Kloster und trieben ihr eigen
Wesen. Es sind nicht zu viel Messen in der Zeit gelesen worden.

Laienbrüder und Ge-
weihte saßen in der
Zelle oder im Bücher-
saale und lasen. Sie
lernten in der Welt-
fibel buchstabiren. Und
siehe, es ging.

„Eine schöne Ja-
nuarnacht war es —
Du kennst die klaren,
sternhellen Winter-
nächte um Florenz —,
da klirrte der Riegel
der Klosterpforte. Ei-
ner der Kuttenträger
nach dem andern kam
herausgeschloffen. Der
hatte schon ein welt-
lich Gewand, Jener
hatte auf das Haupt
die Sturmhaube ge-
stülpt und um das
Mönchshabit' den
Raufdegen gegurtet.
Zuletzt verritt auf ei-
nem Mäuler der Abt
Bernabo auS seinem
Kloster. Das lag im
Mondenscheine still
und verlassen. Nur ein
Kater strich miauend
durch das Schiff der
Kirche und spazierte
die Stufen des schlan-
ken Erkerthums hin-
auf, der letzte Wäch-
ter vergangener Herr-
lichkeit.

„Die der Ordens-
regel Haft entsprungen
waren, wurden in neuer Zeit neue Menschen, der ein bildender Künstler,
der Meißel und Pinsel führte, der ein Baumeister, dieser ein Kriegs-
mann, jener ein Staatsschreiber. Jeder indeß von ihnen trug seine
Lieblingshandschrift bei sich.

„In jener Nacht aber, da die Mönche in die Weite flüchteten, hat
der tobte Boeeaeio in seinem Grabe gelacht.

„Das, mein theurer Ferrante, ist die Geschichte vom Testamente
Boeeaeios. Ich selber habe es noch gesehen. Der mir über den Auszug
der Mönche berichtete, war der Enkel des Abtes Bernabo. Bernabo
ist in hohen Ehren als Staatssekretär zu Neapel gestorben."

„Habet Dank, Pietro", lachte, mit nun längst entwölkter Stirne,
Don Ferrante. „Doch die Luft weht kühl, lasset uns ins Haus
gehen."

Sie gingen, und draußen im Abendwinde rauschten die Cypressen.
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