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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0206
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— 3104

Ein Neinfall.

Bo» Emil Vosrnow.

„Seifert!"

Neben dem Kachel-
ofen, wo er, die Plempe
über die Beine gelegt,

mandad mit einer Fluth von Verwünschungen
zu überschütten.

„DerBoll'zeier! Was willst' von mir, hä?!...
Soll ich etwa'« itze schon de Latern' ha'm, wo's

i r" i'T'-iiHinnnmMHurrni

durch

Blick

die Dienstmütze zwischen j noch lichte is, hä?! Hob 'ch etwa'n wieder Erd-

die Knie geklemmt, ge-
sessen und tiefsinnig der
Hausmieze zugesehen
hatte, die ihre Jungen
pflegte, erhob sich der
angerufene Gemeinde-
diener.

„Herr Vorstand... ?"

„Hie is e Brief . . .
e wicht'ger Brief, wach'n
der Reichstagswahl, 's
soll'n 'n paar Hundert
Flugblattl'n im Ort ver-
breit' war'n, gegen die
Sozialer. . . ." Er buch-
stab irte: „Die Flugblät-
ter sind abzuholen bei
Herrn Kaufmann Fröbel,
Schwarzenberg, Anna-
bergerstraße, der die Ver-
theilung für unseren Be-
zirk organisirt hat. . . .
Du hast doch so nischt
zu dhun, Seifert, Du

äppeln g'maust, hä? Da . .. schau 'nein!" Sie
riß ihr Tuch vom Karren und fuhr mit den
dürren Armen zwischen die Lumpen, um ihre
Unschuld zu beweisen. Seifert wehrte lachend
ab, und von ihm geschoben, vom Herrn Vor-
stand herbeigewinkt und geschrieen, war sie end-
lich in der dörflichen Amtsstube.

Es kostete keine geringe Mühe, der stock-
tauben Marie klar zu machen, welche hoch-
wichtige Sache sie in Schwarzenberg für den
Herrn Vorstand besorgen solle. Als sie es endlich
begriffen hatte und man ihr den Namen des
Kaufmanns nannte, wehrte sie sich nochmals
aus Leibeskräften.

„Zum Fröbel-Koofmich 'nein? Nee, nee, da
geh' ich nimmer 'nein.. . dar Lump! Wie ich
vorigte Woch' emol a halb Pfundl Goffe ni'
bezahl'n kannte, da Hot 'r g'meent, ich soll Heu
fressen. . .!" Gemeindevorstand und Diener
hielten sich die Bäuche vor Lachen; schließlich
aber hatten sie die Alte doch so weit, daß sie
Alles zu besorgen versprach.

Bald zog sie wieder auf der staubigen Land-

straße in der Gluth des Sommertages mit ihrem
könnt'st Dich a'mal uff | Karren dahin, auf Schwarzenberg zu.
die Socken machen."

or der altmodischen, wurmstichigen
Schreibkommode, die das Zierstück der
anspruchslosen Bauernstube bildete, saß der
Gemeindevorstand. Dickbauchig, mit fleischigen
Fäusten und vollem, glattrasirtem Gesicht, saß
er da als ein behäbiger Erzgebirgsbauer, der
längst sein Schäfchen im Trockenen hat. Und
in der That — wenn er aus dem niedrigen
Stubensenster schaute, sah er auf seine Aecker
und Wiesen, auf denen wohlgenährtes Vieh
graste; drunten am Schwarzwasser klapperte
seine Mühle und im tiefsten Fache der Schreib-
kommode lagen die rothen „Bich'l" der Spar-
kasse in Schwarzenberg.

Seit drei Wochen war der Müllerbauer
Ermischer Gemeindevorstand. Er nahm's ernst
mit seinem neuen Amte, aber wenn er vorher
diese Arbeit gekannt hätte.... Gottverdammich!
Auch heute waren eine Menge Schreiben ein-
gegangen. Da waren Unterstützungswohnsitz-
sachen, eine Erhebung wegen einer Grenzstreitig-
keit, Zeugenvernehmung wegen des Zwistes des
Schulmeisters mit dem Pfarrer, Angelegenheiten
der nächsten Gemeinderathssitzung, ein Aushang
war zu schreiben wegen der Maul- und Klauen-
seuche im unfernen Kühnhaide... so 'ne Arbeit!
Und hier zu unterst... noch ein Schreiben. Be-
dächtig entfalteten es die dicken Finger und der
Gemeindevorstand las langsam: „. . . bevor-
stehende Reichstagswahl. .. Nothwendigkeit der
Abwehr sozialdemokratischer Umsturzbestrebun-
gen in unserem königstreuen, erzgebirgischen
Wahlkreis... energisches Eintreten für den Ord-
nungskandidaten Herrn Amtsrichter Or. Esche
zu Dresden . . . gegen den sozialdemokratischen
Agitator Ernst Grenz, Leipzig . .. Verbreitung
eines allgemeinen Flugblattes gegen die Sozial-
demokratie . . . wirklich patriotisches Entgegen-
kommen des früheren Gemeindevorstandes... bei
Ihnen gleiche Gesinnung erhoffend . . . mehrere
Hundert Flugblätter. . . Verbreitung im Orte

Sorge tragen_" Der Gemeindevorstand ließ

das Blatt sinken und murmelte einen Fluch.
Auch noch Wahlflugblätter verbreiten! Aber
der Hinweis auf seinen Vorgänger kitzelte ihn.
Sollte man ihn für einen weniger königstreuen
Mann halten? Das ging doch nicht.

Der Gemeindediener
seufzte und warf einen
Fenster auf die Straße,

Spätnachmittag war's. — Keuchend und

auf welche die Sommersonne heiß hernieder-j schwitzend fuhr die Taub-Marie von Schwarzen-
brannte. Er überlegte, daß er, um nach } berg wieder heimwärts. Wenn sie nur ihr
Schwarzenberg zu gelangen, über Lauter nach ! Häusel vor Dämmerung noch erreichte! Nach
Neuwelt laufen mußte und von da weiter. Schwarzenberg war's ja rasch gegangen, aber

Solch' ein Marsch!

Der Gemeindevorstand hatte Mitleid. „Ja",
brummte er, „die verdammten Sozialer!"

Eine schwüle Pause.... Da kam draußen
ein vierräderiger Handkarren vorbeigerasselt,
den ein verrunzeltes, altes
Bauernweiblein mühselig
durch den Staub der Straße
zog. Der Ortsdiener ath-
mete auf.

„Herr Vorstand . . .
die Taub-Marie ... die
fährt itze no'm Schwarzen-
berg 'nein .. .!"

„Host rächt", nieinte der
Vorstand. Dann riß er das
Fenster auf und brüllte
hinaus:

„M—-a—rie!!!"

Doch das Bauernweib-
lein schob weiter die Straße
dahin, als ob nichts ge-
schehen wäre. Der Gemeinde-
diener aber, der schon fürch-
tete, sie könne ihm entgehen,
schnaubte: „So'n daubes
Oost!" und stürzte hinter
ihr her.

Auf der Straße packte
er sie mit rauhem Griff an
der Schulter und, sein Ge-
sicht dicht vor dein ihrigen,
schrie er: „Host etwa'n ni
g'hört?!! Der Herr Vor-
stand . . .!"

Das Weiblein, das vor
Schreck fast in den Straßen-
graben gefallen wäre,sprang,
als es den Ortsdiener er-
kannte, wie der Blitz hinter
seinen Karren, um von hier
aus den Jünger der Her-

nun hatte sie die Berge zu fahren, und noch
dazu mit dem Packet.

Der verfluchte Packen! Lauter Gedrucktes.
Wozu brauchten die Leute all' das noch zu
lesen? Hatten sie nicht genug am „Schnee-

Trinken Se 'nen Schnaps mit, Mutter?
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