Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0207
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 3105

berger Volksfreund" und am „Ortsblattl" ?"
Sie wurden ja doch nicht gescheidter!

Seufzend hatte sie sich zur Rast auf den
Karrenrand gesetzt, als sie von zwei Arbeitern
überholt wurde, die von Schwarzenberg nach
Lauter gingen. Sie grüßten. „Tag ok, Tag ok
Baumgärtel-Sticker", dankte die Alte freundlich.
„Wan host denn da bei Dir?"

Die Beiden traten zu ihr und der Sticker
schrie ihr ins Ohr: „Horch... das is mei' Vetter
aus Lapz'ch .. . e Schriftsetzer, verstehst? ...
Su aner, der se macht, die Zeitungen."

Die Alte starrte den Leipziger mit weit
aufgerissenen Augen respektvoll au. Der tippte
nnt dem Finger auf den Karren. „Is wohl
schwer, Mutter?"

„Nu do", machte die Taub-Marie und schlug
das Tuch zurück. „Da greifen
Se amol das Päckel an. Das
ho' ich für'n Herrn Vorstand
beim Fröbel-Koofmich g'holt. Ni'
amol 'n Schnäpsel hot'r mir
gaben . . . rein for nischt schleppt
mer sich mit so an Luderzeug
'rum."

Der Leipziger Schriftsetzer
steckte recht unverschämt seine
Nase in den Karren. „Das . ..
ei Gottverdimian! ... das sein
ja Flugblätter, Mutter. Laßt
doch seh'n. . . ."

Er zog ein Blatt heraus. Der
Sticker reckte den Kopf über des
Vetters Schulter und dann lasen
sie sehr aufmerksam das Blatt.

Es dauerte lange und was sie
schließlich sprachen, verstand die
Marie nicht. „Das is also das
Flugblatt der Kartellcr", sagte
wohl der Leipziger. „So 'ne
Lüchen", schimpfte der Sticker,

„mir wollten Alles dheelen. So
'n abgestandener Mist!"

Da die Taub-Marie keine Zeit
mehr hatte, überließ sie den Bei-
den das Flugblatt und zog ihren
Karren pustend weiter den Berg
hinan.

Drunten auf der Straße stan-
den die Arbeiter noch lange und
berathschlagten mit ernsten Mie-
nen. Plötzlich lachte der Leip-
ziger laut auf. „Wenn wir 'n
Ding machten und wir thäten ..

Er flüsterte ins Ohr des Andern.

Jetzt brach auch der in ein
schallendes Gelächter aus. Sie
lachten so, daß sie sich auf den Meilenstein
am Wege setzen mußten. „Das wär' a Ding",
jubelte der Sticker, „aber ich mach's nich . . .
ich mach's nich ..." — „Dann mach' ich's",
sagte der Schriftsetzer, „wo sind die Flug-
blätter?" — „Die sein in Lauter . . . der
Langer-Albin Hot erscht gestern a Stick'r sechs-
hundert nuffgeschickt. Ich mecht wetten, daß
se 's nich merken. Do is der Müllerbauer
Ermischer Vorstand, der liest se nich erscht."
Und wieder lachten Beide hell auf. Noch
ein kurzes Berathschlagen, dann sah man
den Schriftsetzer querfeldein auf Lauter zu-
renueu.

Die Taub-Marie war inzwischen rüstig über
Lauter hinausgeschritten, rechts abgebogen und
wollte eben die Schwarzwasserbrücke nehmen,
als neben ihr, schweißtriefend, der Schriftsetzer
auftauchte. Er hatte einen mächtigen Packen
auf der Schulter, im nämlichen braunen Papier
wie der ihrige.

„Ei, du Göttchen", machte die Marie ver-
wundert, „do sein Sie doch schonn wieder! Und
mit 'nein Päckel?"

Der Schriftsetzer machte ein verdrießliches
Gesicht. „Nach Zwönitz muß ich 'nein", schrie
er ihr in die Ohren. „Verdammt weit, Mutter!"
Die Marie bedauerte ihn so gründlich, daß
sie dabei stehen blieb, und da gerade vom
Wirthshaus am Wege des Teufels Arm winkte,
so frug er: „Trinken Se 'neu Schnaps mit,
Mutter? 'uen feinen Pfeffermünz!" Die Alte
strahlte. „Warum denn nicht? So 'nen schönen,
jungen Menschen trifft man doch nicht alle
Tage!"

„Dann werd' ich derweile mein Päckel ins
Wägel legen", meinte der Schriftsetzer, that so
und dann traten sie beide ins Wirthshaus.

Wie nach einer halben Stunde die Marie
wieder ihres Weges zog, war sie guter Dinge.
Der nette Mensch! Er hatte ihr sogar ein
Ränftel mit Kuhkäse gekauft. Dann hatte er
seinen Packen aus dem Karren genommen und
sie ziehen lassen.

Gegen Abend hielt sie vor dem Hause des
Gemeindevorstands. Der Herr Vorstand öffnete
das Packet und nachdem er sich überzeugt hatte,
daß Flugblätter darinnen seien, meinte er: „'s
is schonn rächt. . . Und 's Gald?"

„Was for Gald?" fragte die Marie spitz.

„Nu, er wird Dir doch Gald mitgaben ha'm
for's Verdheelen. Hie macht doch Keener nischt
umsunsten." Doch die Marie blieb trotzig da-
bei: „Ich ho' kee Gald. Dar giebt Eenen »ich
amol an Schnaps, varwinger Gald."

Der Herr Vorstand fluchte. Sollte er
denn die Blätter auf seine Kosten vertheilen
lassen? Doch da erbarmte sich der Ortsdiener.
„Ich wer'sch machen, Herr Vorstand", sagte

er großartig. „Glei' itze wer'sch se noch breit
schaffen. Itze sein de Leite d'rheeme, da lasen
se 's ooch."

„Gutt, gutt", sprach der Vorstand erleichtert,
„da mach' feder." Und der Ortsdiener schob
die Dienstmütze zurecht, zog den Rock stramm,
nahm den Packen Flugblätter unter den Arm
und alsbald sah man ihn diensteifrig von Thür
zu Thüre gehen.

Etwa dreiviertel Stunde später trat der
Herr Pastor bei dem Gemeindevorstand ei».
Er bot kurz guten Abend.

,,'n Abend, Herr Paster", dankte der Vor-
stand. „Der Lahrer Hot sich noch nich g'stellt.
Er will sich emol von Jhn'n nischt sag'» loss'u,
spricht 'r."

„Ich komme nicht wegen des . . . des Schul-
meisters", erwiderte der Pastor.
Und aufrecht, wie ein Erzengel
Michael beim jüngsten Gericht,
wies er ein Flugblatt vor, mit
hohler Kanzelstimme fragend:
„Herr Vorstand, seit wann ist
es Sitte, daß der Ortspolizei-
diener sozialistische Flugblätter
austrägt?"

Der Gemeindevorstand riß
Mund und Nase auf. „Wie,
w—a—s? Sozialisch? ... Sie
woll'n mich wohl veralbern?"

„Durchaus nicht. Er sagt,
Sie hätten es ihm geheißen und
er hat sich auch in der Verbreitung
nicht hindern lassen. Hier. . -
lesen Sie, hier wird empfohlen, in
ganz Sachsen sozialdemokratische
Kandidaten zu wählen."

Der Herr Vorstand suchte mit
den Händen nach einer Stütze. Da
hielt draußen der Botenfuhrmaun
seinen Schimmel au und reichte
einen Brief durchs Fenster, den
ihm in Lauter ein Unbekannter
zur Besorgung gegeben hatte. Der
Brief lautete kurz:

„Hochverehrter Gemeinde-
vorstand! Gott Zufall hat ge-
wollt, daß unsere Flugblätter-
packete vertauscht wurden.
Hoffentlich haben Sie meine
Blätter den Wählern schon zu-
stellen lassen; das Gleiche mit
den Ihrigen zu thun, lehne ich
ab. Lasse» Sie sich keine grauen
Haare wachsen, denn der Staat
wird nicht Umstürzen, und so
gründlich und wahrheitsgetreu, wie in dem
Flugblatte, sind Ihre Bauern gewiß noch
nie über die Sozialdemokraten aufgeklärt
worden. Ein Schwarzkünstler

aus einer deutschen Seestadt."

„Su an Lump von ’n Sozialer hot mich
mit 'n Flugblattl'n beschwindelt", heulte der
Vorstand. „De falschen Flugblattl'n sein ver-
theilt!" Und zerknirscht sank der Ortsgewaltige
in seinen Lehnsessel.

Die Sonne schien an der prompten sozia-
listischen Flugblattvertheilung im oberen Erz-
gebirge ihre Freude zu haben. Ihre scheiden-
den Strahlen vergoldeten das graue Elend in
der Gemeindestube. Die Gesichter des Vor-
standes, des Gemeindedieners und des Pastors
hatten eine Form angenommen, die lebhaft
an die Pfleglinge des Gemeindeschäfers er-
innerten. Die Schwarzkunst hatte diesmal wieder
gesiegt.
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen