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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 16.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.8255#0216
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- 3114 •-

Marianne.

„Bis zum Ersten mag die Marianne noch
bleiben, es sind ja ohnehin nur noch vier Tage.
Aber dann geht sie, unweigerlich! Ich dulde keine
Sozialdemokraten in meinem Hause!"

Damit begab er sich, ohne Gruß, hinüber in
die Fabrik.

Frau Dora erhob sich und ging in die Kinder-
stube, wo Marianne, auf dem Boden hockend,
mit der kleinen, vierjährigen Elsa spielte.

Marianne war ein großes, kräftiges Geschöpf
mit freundlichem Gesicht. Schön an ihr waren
ein Paar schwellende, saftrothe Lippen und die
Augen, die einen milden, vertrauenerweckenden
Schein hatten — Augen, die man „treu" zu
nennen pflegt.

Herrin und Dienerin waren trotz des großen
Bildungs- und Vermögensunterschiedes Freun-
dinnen. Dementsprechend war denn auch jetzt
ihre Unterhaltung.

„Sie werden uns also zum Ersten verlassen,
liebe Marianne", vollendete Frau Dora den Auf-
trag ihres Mannes, „aber Sie wissen wohl, wo
Ihre Zufluchtsstätte ist, wenn es Ihnen einmal
nicht gut gehen sollte."

In die Augen des Mädchens traten Thränen.
Sie drückte die kleine tSIfa an ihre Brust und
sagte mit verhaltener Stimme:

„Ich werde immer an Sie denken. Hoffent-
lich brauch's ich ja nicht, aber wenn's doch mal
nöthig sein sollte, dann komme ich gewiß zu
Ihnen... ."

Und dann brach sie in lautes Weinen aus
und küßte das kleine Mädchen stürmisch. Auch
Frau Dora rannen, während sie der Marianne
sanft über die braunen Haare strich, große Tropfen
von den Wimpern nieder.

Es mar in: Juni im Jahre 1892. Schwül
und gewitterschwanger lastete es auf der neu ge-
schmückten Erde. Da durchlief eines Tages ein selt-

sam schauerliches Gerücht die Stadt: Die Cholera
sei da, hieß es. Ein paar von den schmutzigen
russischen Juden sollten sie eingeschleppt und das
Elbwasser mit ihrem Unrath verseucht haben. Aber
das glaubte ja Niemand! Und was behördlicher-
seits nur irgend geschehen konnte, um die Sache
zu vertuschen und zu bemänteln, das geschah.
Einige Leute hätten sich in unreifen Kirschen über-
gessen, hieß es, daher ein paar Cholerinefälle,
weiter sei es nichts.

Allinälig aber mehrten sich die Fälle, ohne
jedoch erhebliche Gegenmaßregeln seitens der Stadt
hervorzurufen. Als später die Seuche gleich einer
Hochaufschlagenden Flamme rasend um sich griff,
da war so gut wie gar nichts zu ihrer Abwehr ge-
schehen. Es fehlte an Aerzten, Leichenwagen, an den
nöthigen Rettungsstationen, ja selbst die Medika-
mente waren nicht in genügender Menge vorhanden.

Als der Fabrikant Johnson durch seinen Haus-
arzt von der drohenden Gefahr verständigt wurde,
dachte er zuerst an Flucht. Schon hatte sich der
größte Theil seiner Freunde und Bekannten auf
und davon gemacht. Aber die kleine Elsa lag an
den Masern darnieder und der Arzt hatte erklärt,
ein Transport könne das Leben des Kindes ge-
fährden. Natürlich weigerte sich unter diesen Um-
ständen Frau Dora ganz entschieden, Hamburg
zu verlassen. Und so blieb dem Fabrikanten eben-
falls weiter nichts übrig, als den Muthigen zu
spielen und zu bleiben, wo er war. Danach war
ihm aber gar nicht zu Muthe. Fortwährend meinte
er jenes verhängnißvolle Drehen in der Nabel-
gegend zu spüren, mit dem die Krankheit für ge-
wöhnlich beginnt. Selbstverständlich hatte er alle
Taschen voll Opiumpulver. Auch trank er Rum
und Cognae, mehr als er vertragen konnte. Ja,
selbst das früher von ihm als „sozialistisch" ver-
pönte Tabakkauen gewöhnte er sich an, da er ge- [
hört hatte, der braune Saft mache die Mundschleim- |
häute immun gegen die „verfluchten Bazillen".

Eines Tages erkrankte das neuengagirte Haus-
mädchen, und schon am Abend desselben Tages
war es eine Leiche. Der Fabrikant hatte seine
Frau fast mit Gewalt abgehalten, etwas für die
Unglückliche zu thun. Dagegen war er selbst hin-
gelaufen und seinem Einfluß gelang es, sofort
einen Sanitätswagen für das arme Mädchen zu
beschaffen, so daß es int Spital wenigstens Linde-
rung in seineir Schmerzen fand.

Für die Köchin und den Kutscher war der
Tod ihrer Kollegin das Signal zum schleunigen
Ausreißen. Johnson mußte daher, wenn er nicht
selbst Kutscher spielen wollte — und das wollte
er nicht! — seine beiden schönen Füchse ;it einem
lächerlich niedrigen Preise an den Händler ver-
kaufen.

Alles das hatte seine Stimmung nicht ver-
bessert und er wünschte sich eine Gelegenheit, seine
durch die Pflege des kranken Kindes und die un-
gewohnten Sorgen für den Haushalt hart mit-
genommene Gattin diese Mißstimmttng entgelten
zu lassen.

Gegen einen „unverschämt hohen Lohn" hatte
Johnson ein neues Dienstmädchen engagirt. Aber
schon einige Tage nach dem Eintritt desselben er-
krankte die kleine Elsa an der Cholera. Das Kind
hatte sich nur schwer an das neue Mädchen ge-
wöhnen können, jetzt, in seinen Fieberdelirien,
verlangte es leidenschaftlich nach seiner geliebten
Marianne.

„Hole die Marianne!" sagte Frau Dora zu
ihrem Manne.

Er sträubte sich.

„Hole die Marianne!" sagte sie noch einmal,
und da brach aus ihren sonst so sanften, grauen
Augen ein so wilder, leidenschaftlicher Haß her-
vor, daß Johnson, der im Grunde feige war, sich
ohne Widerspruch auf den Weg machte.

Und Marianne, die, ohne Dienst, bei ihrer
Mutter wohnte, ließ sich nicht lange bitten. Ja,
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