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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0069
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— 3211

„Anarchisten."

In die Wirthschast zum „Gelben Affen"
in später Nachmittagsstunde ein Gast. Es
ein langer, hagerer Mann mit glattrasirtem
sicht. und graumelirtem Haupthaar. Er sch
sich in dem leeren tinfreundlichen Lokal forsci

une und setzte sich dann in einen halbdun
Winkel.

Der Wirth, ein struppiger Mann in Heu
ärmeln, stellte dem Ankömmling ein Glas !
vor und verschwand wieder.

„So. da wären wir", murmelte der (
und unterwarf die schäbige Ausstattung
„Gelben Affen" nochmals einer gründlichen ij
fung; denn er war eigens dieses Lokals nv
aus der Provinzialhauptstadt hierher gereist.

Der „Gelbe Affe" war eine Anarchistenkw
Zwar hatten die Nachbarn niemals etwas
archistisches dort gesehen und gehört, aber in
Polizeiakten stand ausdrücklich verzeichnet,
notorische Anarchisten hier regelmäßig verkeh
und was in den Akten steht, das darf man i
bezweifeln.

Der Geheimagent Schubjacksky, der sich hier
auf die Lauer legte, zweifelte jedenfalls nicht
daran. Er war gekommen, um einen ordent-
lichen Fang zu machen, denn die Denunziationen
»egen Kutscher, Gastivirthe u.s.w., die er sonst
betrieb, nährten ihren Mann nicht, und seinen
Nebenerwerb, den Hoteldiebstahl, konnte er ohne-
dies nur auf Reisen ausüben.

Hollah, da kam schon Jemand — ein dickes
Männchen mit zwinkernden Augen und kahlem
Schädel; wie ein Anarchist sah der nun eigentlich
nicht aus — aber man konnte nicht wissen. Der
Dicke setzte sich an einen Tisch nebenan und
musterte -den Fremden mit mißtrauischen Blicken.

„Schlechtes Wetter heute —", begann Schub-
jacksky.

„Sind wohl fremd hier?" fragte der Dicke.

„Freilich — komme von Genf."

„Von Genf?" fragte der Dicke interessirt.
„Muß dort herrlich sein" — und er siedelte so-
fort an den Tisch des Fremden über, um zu er-
fahren, wie es in Genf ist. „Dir will ich ans
den Zahn fühlen", dachte Schubjacksky und öffnete
die Schleußen seiner Beredtsamkeit. Wenn inan
von Genf spricht, ist es leicht, die Diebe auf An-
archisten und Attentate zu lenken — der Dicke
ging eifrig auf dieses Thema ein, beide enthüllten
einander Sympathien für anarchistische Tenden-
zen, schließlich munkelte Schubjacksky von einem
geheimnißvollen Plane, der zur Befreiung des
Attentäters Lucheni im Werke sei, und dem noch
ivcitere llntcrnchmungen folgen sollten. Der Dicke
hörte mit Begeisterung zu und bekannte sich nun
ausdrücklich als Anarchist. Sie kamen auf die
deutschen Zustände zu sprechen und der Dicke
meinte, es sei Zeit, mit Fäusten dreinzuschlagen.

„Pah, mit Fäusten!" erwiderte der angebliche
Genfer. „Damit käme man nicht weit — Bomben
sind das einzig Wahre."

„Bomben", flüsterte der Dicke fast ehrfurchts-
voll — „aber woher Bomben nehmen?"

Schubjacksky lachte. „Bei dein heutigen Stande
der Chemie ist jeder Apothekerlehrling in der Lage,
Bomben zu fabriziren. Freilich darf inan sich
nicht dabei erwischen lassen."

„Erwischen — das wäre das Wenigste", be-
merkte der Dicke. „Sie glauben nicht, wie dumm
unsere Polizei ist."

„Wen: sagen Sie das!" rief der Fremde aus.
„Wollen Sie unsere hiesigen Anhänger zusainmen-
berufen, so könnten wir vielleicht —"

Er brach ab, als ob er schon zu viel gesagt
habe.

„Sie bringen doch nicht gar Bomben aus
Genf mit?" flüsterte der Dicke.

„Ich, fällt mir gar nicht ein!" sagte der
Genfer und zwar in einem so wenig überzeu-
genden Tone, daß der Andere für sich dachte:
Er hat zweifellos Bomben. „Wo logiren Sie
hier?" fragte nun der Dicke.

„Im Kaiserhof."

„Was — im ersten Hotel der Stadt?"

„Freilich; da ist man am sichersten gegen un-
liebsamen Besuch."

„Sie sind ein Genie", meinte der Dicke be-
wundernd.

In ihrer weiteren Unterhaltung ergingen sie
sich in den kräftigsten Redensarten über Staat
und Behörden; der Dicke ließ sogar eine saftige
Majcstätsbeleidigung vom Stapel.

„Was sagten Sic soeben?" fragte Schubjacksky
lauernd.

Jener wiederholte seine Worte; jetzt hatte sie
auch der Wirth gehört.

„Den Hab' ich", murmelte Schubjacksky, als
sie sich gegen Mitternacht endlich trennten.

„Den Hab' ich", murmelte aber auch der Dicke
und überzeugte sich, daß der fremde Anarchist
wirklich das Hotel zum „Kaiserhof" betrat.

Am nächsten Morgen in aller Frühe wurde
Schubjacksky durch heftiges Klopfen an der Zim-
mcrthür geweckt. Als er öffnete, um sich diesen
unziemlichen Lärm zu verbitten, drangen sofort
vier Schutzleute ins Zimmer, denen ein Polizei-
leutenant i» Uniform folgte.

„Ich habe Befehl", sagte der Leutenant, „Sie
zu verhaften und Ihren Koffer mit Beschlag zu
belegen."

Schubjacksky erschrak erst, dann brach er in
ein Gelächter aus.
 
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