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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0095
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3238

^ Die Pariser Weltausstellung. ^

Und wieder wogt am Seinestrande,

Lin Menschenmeer und brandet laut —
was haben sie im Frankenlande
An neuen Wundern ausgebaut?
wer zählt die Völker, kennt die Namen
In dieses Riesenchors Gebraus?

Ls rief la France und Alle kamen,
Venn dies Mal schloß sich Reiner aus.

Das letzte Mal war das Int'reffe
Getheilt — man rückte nicht vom Fleck,
Ls feierte die „Völkermesse"

Den großen Umsturz — welcher Schreck!
Da das monarchische Empfinden
Dadurch aufs Gröblichste chokirt,

Hat man mit Drehen und mit winden
Sein Fehlen schließlich exkusirt.

vom wunderschönen Monat Mai.

Da die Arbeiter trotz allen freundlichen Zuredens seitens der „vossischen Zeitung"
an ihrem Maifest auch diesmal wieder festhielten, wird in gutgesinnten Areisen die
Absicht erörtert, bei derjenigen Reichsstelle, welche über den Iahrhundertanfang wider
den Aalender entschieden hat, auf Abschaffung des Monats Mai hinzuwirken.

Was soll in einem geordneten Staatswesen ein Monat, dessen bloßer Name
nachgerade aufreizend, demonstrativ und terroristisch wirkt!

Der Herr Rentier Schluckauf machte am Mai mit den Seinen in dem neuen
Summiräderigen einen Ausflug und begegnete in dem Vorgarten eines kleinen Ver-
gnügungslokals seinem Gärtner Maier, der bei Gelegenheit des Arbeiterfeiertags
auch seinen sechsten Iungen festlich beging, welcher in einem Wägelchen zum ersten
Male an die Luft geführt worden war.

„Sagen Sie mal, feiern Sie etwa den ersten Mai?" fragte Herr Schluckauf
mit drohend hochgezogenen Augenbrauen.

Auch dies Mal weht die Trikolore,

Lin Anblick, der nicht Vielen frommt;

Auch dies Mal grüßt sie die sonore
Marseiller weise — doch man kommt.

Der regste Lifer ward bekundet,

Durch Thaten selbst, nicht blos gedruckt;
wie kommt's, daß heut' -er Bissen mundet,
Den man vor Jahren ausgesxuckt?

Gezeigt hat sich ein großer Wandel,

Denn Recht und würde wurden Rauch,
Man hatte seinen Drerfushandel
Und rutscht vor Rußland auf dem Bauch.
Der Zar, der pfaff, der Lisensresser —

Ist Frankreichs hehres Ideal!

Marianne, gelt, dir stand' es besser,

Sie mieden dich, wie dazumal?

„viel was Schlimmeres!" erwiderte der Arbeiter lächelnd; „ich feiere sogar den
sechsten Maier." * *

Gelegentlich eines Besuchs des Aaisers von Vesterreich hatte eine naive Hof-
lieferantenseele den übermüthigen und politisch schon recht veralteten Hexameter des
Matthias Lorvinus für fein Schaufenster aufgefrischt:

Bella geravt alii! tu, felix Austria, nube!

(Ariegführen lasse die Anderen! Du, glückliches Oesterreich, freie!)

Lehmanns, die überall dabei sein müssen, hatten sich den Linzug und die
50000 Mark-Dekoration angesehen und standen nun vor dem Fenster und zerbrachen
sich den Aopf, was der Spruch wohl bedeuten möge. Selbst der eben nach der Quinta
versetzte Max Lehmann wußte keinen Rath. Da ließ sich endlich eine Stimme aus
dem Publikum hören:

„Na, Ainder, det is doch klar wie Aloßbriehe. Det Lrste heeßt: „Scheene
geriren sich die Alliirten! Det Andere is Ouatsch."

Inhalt der Unterhaltungs-Beilage.

Mittelstandspolitik. (Illustration.) — Das Gebet einer
Jungfrau. Eine Wiener Geschichte von Alois Ulreich. (Jllustrirt.)
— Nachtstück. Von Arno Holz. (Jllustrirt.) — Georg Baßler s.
(Mit Porträt.) — Briefkasten.

berliner Dekorationen.

Sieb’ die Gräber der Sreibeitsbelden —

Dicht Kreuz noch Stein;

Keine Pforte am Eingang, kein Spruch am Wege —
6$ darf nicht sein!

Sieb’ die ragenden Jlaggenmaste,

Den Glast und die Pracht!

Eine Jürstenvisite — ein winkender Orden —
Gleich war’s gemacht. Kikik.

Neues von Podbielski.

In Berlin ist in: gegenwärtigen Mai eine Kon-
ferenz einberufeir worden, welche den Zweck hat,
einen Verband gläubiger Postangestellten
zu gründen.

Das ist eine glänzende Idee von Pod, mit
der für die Besserung der sündigen Menschheit
Großes geleistet ruerden kann.

Wohl wenige Staatsbeamten haben Gelegen-
heit, den Menschen in seiner intimsten Häuslich-
keit zu jeder Tagesstunde so kemren zu lernen,
wie die Briefträger. Sie kommeir Morgens, Mit-
tags und Abends und sie sind fast immer gern
geseheir. Wie leicht muß es ihnen werden, einen
Adressaten, den sie beim unheiligen Lebenswandel
ertappen, zum Guten zu ermahneir!

Man stelle sich vor: der Student wälzt sich
Morgens 8 Uhr noch im Bett, gequält vom Kater
nach durchzechter Nacht. Da tritt der Briefträger
ein, hält ihm eine flammende Strafpredigt und
liest ihm dann ein Kapitel aus den „Stunden
der Andacht" vor.

Oder ein Rentier wird von: Briefträger beim
ziveiten Frühstück ertappt, ivie er bei Austern und
Portwein der Vollere! fröhnt. Der Briefträger,
aufs Tiefste entrüstet, steckt die Austern in seine
Brieftasche, trinkt den Wein aus und kündigt
dem genußsüchtigen Adressaten schwere Höllen-
strafen an.

Und die Zeitungsleser — wie sehr bedürfen
sie der treuen Fürsorge des frommen Briefträgers,
wie leichtsinnig handelte bisher die Post, indem
sie den Leuten oft die gefährlichste!! Zeitungen in
die Hände gab!

Der Briefträger muß die Zeitungen, welche
ihm zur Bestellung anvertraut werden, zuvor
sorgfältig lesen. Findet er darin politisch auf-
reizende Artikel oder sündhaft weltliche Feuille-
tons, dann muß er sie bei Pod deuunzireir, der
das Weitere schon veranlassen wird.

Zeitungen freiheitlicher oder gar sozialdemo-
kratischer Tendenz braucht er überhaupt nicht zu
bestellen. Die Frauen in den Bedürsnißanstalten
sind willige Abnehmer.

Bringt eine Zeitung einen staatserhaltenden,
von streng kirchlichem Geiste getragenen Artikel,
dann soll sich der Briefträger nicht damit be-
gnügen, das Blatt einfach abzugeben, sondern er
soll dein Adressaten den Artikel mit wirkungs-
voller Betonung vorlesen und erbauliche Betrach-
tungen daran knüpfen.

Freilich wird darunter die pünktliche Brief-
bestellung sehr leiden, aber das ist ganz gleich-
giltig; was macht sich General Pod daraus? Die
große Mehrzahl aller Briefe ist weltlichen Inhalts
und für das Seelenheil des Adressaten daher
ganz werthlos. Besser gar keine Briefe, als gott-
lose, denkt Pod, umsomehr, als das Porto für
die Briefe bereits bezahlt ist.

Eine schöne Aufgabe fällt dem gläubigen Geld-
briefträger zu. Er darf das Geld nicht mehr
gedankenlos abliefern, sondern er hat vor Allein
sorgfältig zu prüfen, ob der Adressat einer Geld-

sendung überhaupt würdig ist. Die Prüfung
hat sich auf den privaten und politischen Charakter
des Adressaten zu erstrecken und die Auslieferung
des Geldes ist zu verweigern, wenn die Gefahr be-
steht, daß das Geld zu unheiligen Zwecken dienen
könnte. Existirt gegen die Ablieferung kein Be-
denken, so hat der Briefträger einen Beitrag für
Kirchenbauten und Flottenzwecke gleich abzuziehen.

An solchen Briefträgern werden Gröber, Stöcker
und Pod ihr Wohlgefallen haben.

Besser.

Die Handelskammer in Bolingen
Thul eine große Thal:

Sir schafft für tüchtige Arbeiter —
Diplom und Zertifikat.

Die Handelskammer in Solingen
Die Rrbriter nicht kennt.

Sir husten nämlich allesamml
Ruf'« Eselsprrgamrni.

Die Handelskammer in Solingen
Verkalkulirt sich hat: —-
Schafft unsrer Arbeit bessern lohn!
Das wäre eine Thal! kiwic.

In Krähwinkel.

Hans: Um Gottes Willen, Herr Nachbar,
ist denn das wahr, was ich da im Blatt lese:
Die Pariser Weltausstellung wurde von einem
Sozialdemokraten eröffnet?

Kunz: Leider ist das Entsetzliche wahr.

Hans: Aber da muß ja unbedingt über die
ganze Ausstellung Militärverbot verhängt
werden!

Kunz: Die Sache liegt noch schlimmer. Jener
Sozialdemokrat ist Minister und steht mit an
der Spitze des französischen Staates.

Hans: Alle guten Geister! Geben Sie Acht —
dann wird Frankreich polizeilich aufgelöst.


 
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